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Sammy Khamis

Are you serious...

27. 8. 2011 - 12:38

Müde, hungrig, angeschlagen

Ägypten im Sommer nach dem arabischen Frühling.

Ägypten ein halbes Jahr nach der großen Revolution. Nach dem Ereignis, das ein ganzes Volk, eine ganze Region geeint und die halbe Welt erstaunt und begeistert hat. Ägypten im Sommer nach dem arabischen Frühling. Zwar sind die Blüten der Pflanzen längst verwelkt, aber dafür tragen sie nun reiche Früchte. Die Saat an Demokratie, die vor sieben Monaten mit dem Blut der jungen Aufständischen genährt wurde, ist nun ein fester Stamm mit vielen wirren Ästen; ein Anfang für eine jährliche Ernte.

Nachdem Mubarak, das Synonym des uneinsichtigen, antiquierten, menschenfeindlichen und verschrobenen Autokraten, seit bald sieben Monaten abgesetzt, gedemütigt und vor Gericht geführt wurde, ist das Land in einer tiefen Starre. Die Straßen sind untertags ruhig und fast beängstigend leer, die Läden haben in der Regel nur abends für einige Stunden geöffnet und die Menschen (so man denn welche auf der Straße sieht), wirken gereizt und erschöpft. Nun hat dies alles nicht direkt mit der Politik der Regierung zu tun. Denn Ramadan, der muslimische Fastenmonat, entschleunigt das sonst so hektische Großstadtleben in Kairo und Alexandria. Wenn man so will ist der Alltag deshalb sehr ägyptisch. Geprägt von Gesprächen über Autos, Essen und Politik. Wann ist Eftar (das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang)? Was passiert in Libyen? Wo ist Gaddafi? Was geht in Syrien vor sich? Wie geht es in Bahrein oder im Jemen weiter?

Spieler auf der Straße

Sammy Gamal Khamis

Und dann natürlich tagespolitisch: Wieso erschießt die israelische Armee fünf Ägypter am Grenzübergang? Wieso entschuldigt man sich nicht dafür? Wann gibt es Wahlen? Medan a- Tahrir Donnerstagabend. Hupen, Licht, Straßenverkäufer. Eftar ist vorbei. Alle Geschäfte haben geöffnet. Amerikanische Fast-Food Restaurants verkaufen wieder, leuchten in ihren aufdringlichen Farben. Hier, genau hier auf dem Gehsteig vor diesem Laden sind zuerst Menschen erschossen und dann verarztet worden. Hier wurden Apotheken eingerichtet, hier wurde Essen verteilt, Handys aufgeladen. Hier wurde gefeiert.

Ich stehe heute dort wo ich in den Tagen nach den schlimmen Auseinandersetzungen mit meiner Familie gesessen habe. Gegenüber holt sich die Geschichte ihren Platz. Junge Männer verkaufen Fahnen von Ägypten, Libyen und Palästina. Es gibt T-Shirts: 25. Januar. Place of Liberation. Masr dayman (Egypt for ever). Egyptian youth. Erinnerung und Marktwirtschaft gehen Hand in Hand. Man liest die Graffitis. Aus „Nieder mit Mubarak”, wurde “Nieder mit der Armeeführung“. Die angegriffenen Personen ändern sich; die Schlagrichtung bleibt gleich: Leben, Freiheit, Menschenrechte (3ish, Horya, karama insaniya).

Wand in Agypten

Sammy Gamal Khamis

Man sieht auf dem Platz noch vier Zelte von Demonstranten. Um sie herum bauen sich wieder Polizisten auf. An den Eingängen zum Platz stehen sie in den gleichen Trucks, die am 28.Januar so viel Schrecken verbreitet haben, und die am selben Abend in andächtig vor sich hin kokelten.

Alexandria. Das konservative, keineswegs aber ruhigere Pendant zur Hauptstadt Kairo. Am zentralen Platz, wo im Januar die Bilder von Hosni Mubarak und seinem Sohn Gamal niedergerissen wurden, stehen heute große Werbetafeln mit der Aufschrift „For Rent“. Um den Platz Mahated Raml (Raml Station) wird Backgammon gespielt, geflucht und geschaut.

Und dann die Fragen: Weißt Du etwas Neues von Gaddafi? Wann kommen endlich die Wahlen? Was macht die Bruderschaft? Wann geht man wieder auf die Straße? Wieso macht die Regierung nichts?

Von Gaddafi weiß man nichts, man vermutet nur. Dadurch dass Ägypten und Libyen so eng verbunden sind (nicht nur sind es Nachbarstaaten, die sich durch die jüngste Geschichte vereint sehen, in Libyen arbeiten so viel Ägypter, dass fast jeder jemanden in der Familie hat, der dort arbeitet) ist die Aufmerksamkeit, die man dem exzentrischen Oberst zukommen lässt, enorm.

Wann kommen Wahlen? Parlamentswahlen sind für September anberaumt. Aus dem neuen Parlament soll das verfassungsgebende Konvent hervorgehen. Von ihm erwartet man eine demokratische Absicherung der Forderungen der Revolution. Man darf davon ausgehen, dass sowohl Frauenrechte berücksichtigt werden, wie die Religionsfreiheit eingeschränkt bleibt. Der Übertritt vom Islam zu anderen Glaubensrichtungen wird verboten, der Übergang zum Islam wird erlaubt bleiben. Der Präsident soll im Winter, vielleicht im kommenden Frühjahr gewählt werden.

Und die ominöse Bruderschaft? In einigen Kreisen, vor allem den liberalen, freundet man sich mit der Idee an die Islamisten in die Regierungsverantwortung zu nehmen. Denn gerade gut informierte Gruppen in Ägypten wissen um die politische und ökonomische Entwicklung der Türkei. Dort hat sich in den letzten 15 Jahren die AKP von einer bekennend religiösen Gruppierung hin zu einer moderat konservativen Partei gewandelt, die zwar in Satzung und Wahlkampfprogrammen ihre islamische Seite nach außen kehrt, damit aber vor allem verhindern will, dass sich am rechten, oppositionellen Rand eine weitere Kraft konstituieren kann. Nimmt man die Bruderschaft in Ägypten in die Verantwortung, so wird sie schnell moderat werden müssen, um die Anforderungen an die dringenden Reformen gemeinsam mit einer starken Opposition angehen zu können.

In Ägypten muss man sich nun damit abfinden, dass es weitergeht wie früher: man muss warten. Warten dass die Armee abzieht. Warten, dass sich die wirtschaftliche Situation bessert. Warten, dass Mubaraks-Prozess weitergeführt wird. Aber auch darauf warten, dass die Sonne untergeht, man nach 12 Stunden des Fastens wieder trinken, essen und rauchen darf. Denn so sicher es ist, dass die Sonne am morgigen Tag wieder aufgeht, so sicher geht sie auch unter und haucht den heißen Straßen des Landes wieder Leben ein…

Kein Leben in Ägypten

Sammy Gamal Khamis

In Ägypten ist im Moment kein Warten umsonst. Alles ist anders, alles bleibt anders. Und auch wenn man in der Sprache der Menschen die unverrückbare Zukunftsgleichgültigkeit hört („Wir werden sehen“, „So Gott will“, „Wir werden sehen, was Gott will“ usw.) so bleiben Forderungen und Macht in den Händen des ägyptischen Volkes. Und genau da gehören sie hin.