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Lukas Tagwerker

Beobachtungen beim Knüpfen des Teppichs, unter den ihr eure Ungereimtheiten kehrt.

3. 9. 2011 - 09:48

Major Malfunction

Ins Linzer Kunstmuseum Lentos hat Ralo Mayer eine Ausstellung über Raketenabstürze, Burn Out und Beschwörungstheorie gebaut.

4,6 Milliarden Jahre alte Meteoritensplitter liegen im Untergeschoss des Kunstmuseums Lentos. "Diese Steine sind älter als alles andere auf der Erde, diese Steine sind älter als die Erde selbst." erläutert der Künstler Ralo Mayer. Man könne sich kaum etwas vorstellen, was mehr "Natur" sei als so ein Stück Meteorit. Und doch seien die Steinchen schon immer mit menschlicher Kulturgeschichte verbunden. "Von frühen Mythen über die Erzeugung erster Eisenwerkzeuge aus meteoritischem Eisen bis hin zur Wissenschaft, die das Alter des Sonnensystems und der Erde über Meteoriten bestimmt hat."

Ralo Mayer hat die Meteoriten für wenige Euro im Internet erworben. Mit dem Philosophen Bruno Latour könne an den Steinen die künstliche Trennung von "Natur" und "Kultur", der Dualismus zwischen "Objekt" und "Subjekt" erkannt werden. Die Meteoriten-Splitter sind Zwitterwesen, einerseits sagenumwobene geradezu magisch aufgeladene Kultobjekte, andererseits Grundsteine einer Wissenschaft, die unser Bild von "Natur" zeichnet.

Die moderne westliche Wissenschaft verdränge, so Latour, derartige Zwitterwesen, "Quasi-Objekte" wie Latour sie im Anschluss an den Philosophen Michel Serres nennt, und vermehre solche "Quasi-Objekte" zugleich in einem nie vorhergesehenen Ausmaß. "Wir sind nie modern gewesen" lautet Latours Ansage. Und bei Serres heißt es: "The quasi-object, when being passed, makes the collective, if it stops, it makes the individual. If he is discovered, he is “it” [mort]."

Explosion des Space Shuttle Challenger

Kennedy Space Center, NASA

Explosion des Space Shuttles Challenger am 28.1.1986, 73 Sekunden nach dem Start. Sieben RaumfahrerInnen kamen dabei ums Leben.

Ralo Mayers Ausstellung im Lentos trägt den Titel OBVIOUSLY A MAJOR MALFUNCTION. Dieser Wortlaut ist der etwas lapidare Kommentar des NASA-Sprechers unmittelbar während der Explosion der Raumfähre
Challenger (hier auf youtube). Das Ereignis kann als Unfall betrachtet werden, aber auch in der Tradition archaischer Kulthandlungen. "Der französische Philosoph Michel Serres beschreibt diesen Challenger Absturz parallel zu einem antiken Baal-Mythos, bei dem Leute in einem großen Metallgefäß dem Gott Baal geopfert wurden. Die wurden da drinnen verbrannt. An sich ist es das gleiche Ritual. Wir schicken diese Astronauten hinauf und die verglühen." sagt Ralo Mayer.

Noch befremdlicher erscheint das Verhältnis von Mythos und Wissenschaft, wenn Ralo von Jack Parsons erzählt. "Dieser Mitbgeründer der NASA war quasi der Stellvertreter von Aleister Crowley in den Staaten. Vor den ersten Kleinraketenstarts, die in den 30er Jahren in Pasadena in Kalifornien passiert sind, hat er Aleister Crowley-Gedichte aufgesagt. Und dann baut er die ersten Feststoffraketen, die der US-Armee einen Vorteil im Luftkrieg gegen die Nazis verschaffen."

In der Ausstellung überlagern sich dutzende solcher Erzählungen. Anekdoten, Zusammenhänge und Hintergründe assoziieren die historische Zeitspanne zwischen dem Challenger Absturz 1986 und dem Absturz der Columbia 2003. Ralo Mayer will eine "alternative Zeitgeschichte" entwerfen.

Spiegelcover von 1986 mit Gaddafi

Spiegel

Spiegel-Cover vom April 1986

"Das Jahr 1986 beginnt damit, dass der Komet Halley wieder vorbeizieht, der nur alle 76 Jahre kommt und ein unglaublicher Unglücksbote ist. Dann wird Gaddafi bombardiert, dann stürzt die Challenger ab, dann ist Tschernobyl. Also lauter Dinge, die jetzt wieder sehr aktuell sind." 1986 war auch das Jahr, in dem die Nazi-Vergangenheit des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim im Wahlkampf thematisiert wurde, der Beginn einer kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit in Österreich.

Dass die interstellare Raumsonde Voyager eine Audio-Nachricht ins All schickte, auf der just der Ex-SA-Mann Waldheim als UN-Generalsekretär eine Grußbotschaft an die Außerirdischen spricht (O-Ton), ist eine weitere Fußnote aus der verquickten Geschichte von Technik, Wissenschaft und Weltpolitik.

Ausstellungsansicht

APA

Blick in die Ausstellung

Durch die Materialfülle funktioniert die Ausstellung wie ein Irrgarten. Auf Monitoren wechseln sich Bilder technischer Katastrophen ab, die sich stärker oder schwächer ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben: die Bewegung der nuklearen Wolke von Tschernobyl, der 11. September, die brennende Bohrinsel Deepwater Horizon, Fukushima.

In dem 40 minütigen Film KAGA KAGO KAGO BE, spricht ein Avatar-hafter blonder Junge in stakkato-artigen, hypnotischen Sätzen von den vergangenen Ereignissen, von Menschen und Dingen. Das Script wirkt wie eine Schleife aus Logbuch-Einträgen einer vergangenen Zukunft, die das Zeitgefühl beim Zuschauer irritieren. Das Okkulte und das Rationale bilden keine Gegensätze mehr nach dem Ende der großen Erzählungen. Ralo Mayer setzt mit der Ausstellung einer kapitalistischen Esoterik der Börse seine Beschwörungstheorie der Quasi-Objekte entgegen. Die jüngere Vergangenheit dabei in Erinnerung zu behalten ist Voraussetzung für vernünftige Fortschrittsskepsis.

Rekonstruktion des abgestürzten Space Shuttle Columbia

Kennedy Space Center, NASA

Räumliches Ausgangsbild der Ausstellung: die Rekonstruktion der abgestürzten Raumfähre Columbia 2003.

Die Ausstellung "Obviously a major malfunction" läuft bis 23.Oktober 2011 im Lentos Kunstmuseum Linz.