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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

29. 8. 2011 - 15:15

Die Schuld des Autors

John Grishams neuer Roman "Das Geständnis" ist eine lieblose Geschichte voller Klischees und Stereotype.

Reverend Keith Schroeder hat es normalerweise mit einem anderen Klientel zu tun. Als aber der glatzköpfige, tätowierte Travis Boyette sein Büro in New Jersey betritt und sich als verurteilter Sexualstraftäter zu erkennen gibt, glaubt der Priester das wahrhaftig Böse vor sich sitzen zu haben. Doch der Teufel ist angeschlagen: Boyette wirkt schwach und gebrechlich, ein Gehirntumor sei daran schuld. Vor seinem Ende möchte er noch eine letzte Beichte ablegen - und einen Mord gestehen.

Bereits vor acht Jahren hat Boyette in Texas die 17-jährige Nicole entführt, vergewaltigt und ermordet. Das tote Mädchen hat er nach eigenen Aussagen irgendwo im Wald vergraben. Denn weder die Leiche noch der wahre Mörder wurden je gefunden. Stattdessen wurde der unschuldige Afroamerikaner Donté Drumm deswegen vor Gericht gestellt und in Texas zum Tode verurteilt. In zehn Tagen soll er hingerichtet werden.

The Green Mile

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The Green Mile

Dead Man Walking

John Grisham - Das Geständnis

Heyne

John Grisham: "Das Geständnis" ist 2011 in deutscher Übersetzung von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya bei Heyne erschienen.

Dass die Uhr erbarmungslos tickt, setzt alle Betroffenen gehörig unter Druck. Boyette trägt einen Tumor in sich, weshalb er bald sterben wird. Reverend Schroeder plagt sein Gewissen und seine moralische und berufliche Pflicht, den Tod eines Unschuldigen rechtzeitig zu verhindern - stirbt Donté Drumm, kann der Priester nie wieder ruhig schlafen. Drumms Todeszeitpunkt wiederum ist sogar gerichtlich festgesetzt. Zwischen all diesen Deadlines spinnen sich naturgemäß einige komplizierende Bande, angefangen bei Drumms Verteidiger, der dem Priester und seiner Entdeckung keinen Glauben schenken mag. Denn für einen Schwarzen, der ausgerechnet in Texas zum Tode verurteilt wird, ist Rettung relativ aussichtslos. Insbesondere weil Drumms Geständnis vor acht Jahren von der korrupten Polizei erzwungen wurde. Heute kann sich niemand leisten, einen Fehler zuzugeben und den schwarzen Mann nicht hinzurichten.

Hinzu kommt, dass Travis Boyette, der wahre Mörder, keine Ahnung mehr hat, wo er die Leiche damals genau vergraben hat. Bleibt nur eine Lösung: Der Priester muss mit dem Sexualstraftäter allein nach Texas fahren, um die Leiche zu finden und die Hinrichtung doch noch zu verhindern.

Todeszelle vor der Hinrichtung

flickr.com/photos/wootom

Vor einer Hinrichtung

Dead Man Boring

Der US-Starautor John Grisham ist mit seinen Bestsellern ein gutes Stück dafür verantwortlich, dass das Massenpublikum Einblick in juristisches Vokabular erhält: Jury, Akte, Klient, Urteil, Richter, Schuld, Berufung - der studierte Rechtsanwalt hat schon fast alles behandelt. In seinem jüngsten Roman widmet er sich der Königin aller Beweismittel: dem Geständnis.

Leider beschränkt sich die erzählerische Dimension seines neuen Romans auf die einfache Formel: "Böser Mann tötet hilfloses Mädchen, guter Mann wird dafür bestraft". Das wäre noch nicht verwerflich, würde Grisham seine Figuren wenigstens mit einer emotionalen Tiefe ausstatten, die den Leser selbst in einen Zwiespalt aus Schuld und Sühne, Moral und Recht, stellen würde, in dem sich die Figuren ja eigentlich befinden sollten. Aber hier versagt Grisham total: Er erzählt eine Geschichte, bei der man das Gefühl hat, sie schon hundertmal gehört zu haben. Und das mit Figuren, die bestenfalls als uninteressante Stereotype der Justiz herhalten können.

John Grisham

John Grisham

John Grisham

Die Klischees in diesem Roman sind endlos: Der Mörder wird als dummes, brutales (daher auch tätowiertes) und gefühlloses Monster geschildert, das nicht einmal im Angesicht des Todes in einen moralischen Konflikt gerät. Boyette möchte zwar gestehen, tut dies aber stets halbherzig und ohne emotionalen Druck. Boyette dürfte an nichts Gutes mehr glauben, will aber dann doch, dass ausgerechnet ein Priester ihm hilft. Wirklich interessant wäre es gewesen, wenn Boyette gerade jetzt um seine Menschlichkeit kämpfen würde. In Texas spielt es sich inzwischen noch schlimmer ab: Ein Afroamerikaner wird zu einem Geständnis gezwungen, obwohl es genügend Beweise gäbe, die seine Unschuld beweisen würden. Richter, Polizisten, Gouverneure - alle sind korrupt und wollen, dass der schwarze Mann die Todesmeile entlang geht. Und wie man das bereits aus "Die Jury" kennt, ist auch der KKK nicht weit und macht heftig Stimmung.

Das Interessanteste an diesem Roman ist lediglich die Verknüpfung aus Priesterschaft und Anwaltskanzlei - beide, die sich schweren Fehltritten des menschlichen Lebens annehmen müssen, bei denen sich allzu oft Moral und Recht überschneiden. Die zwei Berufsbilder könnten sich eigentlich nicht ähnlicher sein: Beide beinhalten die Verteidigung eines Schuldigen, einmal vor der Justiz, dann vor Gott. Auch dass ausgerechnet Texas der Ort der Sühne ist, ist absichtlich gewählt. Seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 in den USA wurden nirgends so viele Menschen hingerichtet wie in Texas, ein überwiegender Teil mit afroamerikanischen Wurzeln. Grisham hätte hier die Chance gehabt, die Hintergründe der Todesstrafe in den USA zu beleuchten. Stattdessen wird bei ihm sogar die Zwei-Klassen-Justiz zum Klischee. Ein Roman, der dermaßen krampfhaft versucht authentisch zu sein, darf nicht mit so einem plumpen "Gut gegen Böse"-Schema arbeiten. Das Schwarz-Weiß-Denken des Autors lähmt seine Geschichte, die mehr Tiefgang und Grauzonen verdient hätte.

So bleibt es eine oberflächliche, emotionslose Erzählung, die sich sicher hervorragend in einer oberflächlichen, emotionslosen Verfilmung adaptieren lässt. Hoffentlich greift die Leserschaft deshalb nicht zur Selbstjustiz.