Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Unsicherheiten"

Martina Bauer

Geschriebenes und zu Beschreibendes. Literatur und andere Formate.

13. 9. 2011 - 18:28

Unsicherheiten

Mit "Gefahr und die Bewältigung" würde Marlene Streeruwitz ihren neuen Roman "Die Schmerzmacherin." in wenigen Worten beschreiben. Sicherheitsindustrie, Demokratieverständnis und die Herkunft einer Person sind einige seiner Themen.

Ihr erstes Interview zum neuen Buch sei das, verriet Frau Streeruwitz, als wir uns an einem schönen Sonntag Abend im Funkhaus zu Wien trafen. Und fügte hinzu: Ich bin gespannt!
War ich ebenfalls: Denn in dieser (gewissermaßen) Pioneersituation ist noch kein Thema gesetzt, kein Punkt herauskristallisiert. "Macht mich fast nervös", entgegnete ich und sie darauf: "Das ist gut!" Schmunzeln, dann Lachen beiderseits!

Marlene Streeruwitz

Philipp Horak

Marlene Streeruwitz: "Ich finde, es muss rasch sein, es muss interessant sein, es muss das Leben in diesen Zeitlichkeiten wiedergeben."

"Die Schmerzmacherin." ist der neunte Roman - nach einer Pause, sagt Frau Streeruwitz gleich zu Beginn. Diese drei Jahre Zwischenzeit hatten Buchmarktgründe, aber auch persönliche. Sie spricht von Krise, ziemlicher Schreibunfähigkeit und dem Erstauen, dass ihr das noch passieren könne. "Das ist jetzt alles überwunden. Ich hab mir auch eine neue Freiheit erschrieben...für mich ist es eine neue Höhe, die ich erklommen hab."
Und bevor wir hier weitermachen, sag ich gleich: Wirklich ein feines Buch!
Eines, das übrigens noch vor Erscheinen auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis landete.

Wonneschauer

"Die Schmerzmacherin." führt - für mancheN vielleicht unerwartet - ins Genre Thriller; schon die ersten Seiten machen die Richtung klar: Eine erstarrte, ungemache Schneelandschaft. Darin verstreut - Vögel. Die Spurrinnen zwingen den Fahrenden ihren Weg auf. Assoziationen mit Alfred Hitchcock, Joyce Carol Oates oder "Fargo" tauchen auf. „Perfekt“, meint Frau Streeruwitz, vor allem weil diese aus dem englischsprachigen Raum kämen. Sie selbst hätte sich ja jahrelang nur im Englischen aufgehalten und: da gäbe es nicht dieses "mähliche Nebensatz-Herumgeschludere des Deutschen", das sie für ihre Erzählung sowieso nicht wolle. (Toll: kommt auf meine Zitate-Merkliste: Mähliches Geschludere!)

In obiger Schneelandschaft jedenfalls treffen wir Protagonistin Amy. Hier mitten im Nirgendwo an der deutsch-tschechischen Grenze ist sie unterwegs zu ihrer Ausbildung bei einer ominösen Sicherheitsfirma. Ein Wachstumsmarkt, die Sicherheitsindustrie, sagt Marlene Streeruwitz: "Das ist ein Bereich, der über die Irakkriege, das Auslagern und die Sparmaßnahmen des postkapitalistischen Staates zu unglaublicher Größe angewachsen ist. Das ist eine Riesenindustrie. Es sind jetzt weltweit zwischen 300- und 500 000 in Ausbildung. Und das sind alles Personen mit Waffen und mit Techniken, die Überwältigung bedeuten. Jetzt ist es nicht so einfach mit der Sicherheit....wir können nicht einfach nur sagen, das wollen wir nicht, aber es geht schon sehr darum, in der Politik und in unserer eigenen Beobachtung von Politk aufrechtzuerhalten, wer hat das Gewaltmonopol."

Buchcover

S. Fischer Verlag

Forschungsanlage

Im Handlungsverlauf von "Die Schmerzmacherin." werden wir nicht nur an Strategiemeetings, mentalen sowie militärähnlichen Übungen oder Trainings für den Ernstfall teilnehmen. Es wird auch verschwundene Personen, Übergriffe - Gewalt eben - geben. Eine Gewalt, die beim Lesen sehr real, beinahe spürbar daherkommt. Auf die Frage, wie man so etwas schreibt, antwortet Marlene Streeruwitz: "Das ist Arbeit." Folterszene wie Liebeszene.

Amy, unsere unsichere, gerne der Realität entfliehende und aus zerrütteten Familienverhältnissen - inklusive Restitutionsverfahren - stammende Hauptperson, wird sich da durchkämpfen. Genau wie es ihre Autorin gemacht hat. Drei Jahre Recherche - eben über Folter, Sicherheitsindustrie, Demokratie und Bedeutung des Gewaltmonopols des Staates - sind in den Roman geflossen. Das war nicht immer schön: "Das stürzt so auf eine ein und dann schlafen Sie ziemlich schlecht", so Streeruwitz.

Vielleicht verwunderlich bei diesen Themen, aber "Die Schmerzmacherin." liest sich leicht. Sie fesselt. Wie ein Thriller eben. Klingt dabei jung und poppig. Das Geschriebene oft wie ein Denken, ein innerlich-kommentierender stream of consciousness der äußeren Begebenheiten.

Die Schmerzmacherin. ist bei S.Fischer erschienen. Es ist, neben ihren zahlreichen Prosawerken, Hörspielen und Theaterarbeiten, Marlene Streeruwitz´ neunter Roman.

Apropos Außen: Beinahe sämtliche Räume, die Amy auf ihrer sozusagen Odyssee aufsuchen wird, wirken labyrinthartig, kafkaesk. Marlene Streeruwitz wollte damit dieses In-die-Zeit-Hineingepresst-untersuchen: "Was heißt das, dass Personen in dem Sinn keinen Lebensplan mehr fassen können. Es gibt ja keinerlei Entwurf - so wie ich das kenne - du machst die Matura, dann studierst du etwas und die Welt steht dir offen. Die Welt ist zu, es sind alle Türen geschlossen. Und genau darum geht es: Was heißt es, wenn die alle zu sind, welche werden da aufgemacht, wohin gerät eine Person dann." Roman ist für sie eben immer auch Forschungsanlage.

PS: Zum Buch gibt es eine Linksammlung zur Recherche.

PPS: Update und Gratulation! Marlene Streeruwitz´ steht mit ihrer "Schmerzmacherin" auch auf der sechs Titel umfassenden Shortlist für den Deutschen Buchpreis.