Erstellt am: 30. 8. 2011 - 10:32 Uhr
"Meine letzten Worte "
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Weißt du noch, als du mich zum ersten Mal besucht hast, vor 19 Jahren, und ich noch voll in Fahrt war und rumgealbert habe, was die Welt braucht, was ich ihr geben kann und der ganze Kram? Das ist weg. Heute habe ich keinen Antrieb, kein Verlangen mehr, und Appetit habe ich nur noch aus Langeweile. Falls Leute draußen meine Worte lesen: habt kein Mitleid mit mir und empfindet keinen Hass. Aber ihr sollt wissen, dass ich niemals Menschen töten wollte.
Charles Manson und seine sogenannte Family haben in den Spätsechzigern mit einer Reihe von Morden berühmt-berüchtigte Geschichte geschrieben. Am bekanntesten ist der Mord der Mansonfamily an Roman Polanskis Ehefrau Sharon Tate und drei weiteren Polanski-Freunden in dessen Villa. Später ermordet die Family das zufällig ausgewählte Ehepaar La Bianca.
In beiden Fällen werden mit Blut Beatleszitate an die Tatorte geschmiert und damit die erste giftige Saat an Faszination ausgestreut, die bis heute reiche Früchte trägt.
Selbst getötet hat Charles Manson in keinem der Fälle, aber er hat die Aufträge dazu gegeben. Später kann Manson aber anderer Morde überführt werden. Die Polizei geht inzwischen von 40 - 50 Morden von Charles Manson und seiner Bande aus. Bewiesen wurde nur ein Bruchteil. Im Falle der Tate und La Bianca-Morde wurden allerdings alle an der Tat Beteiligten sowie Charles Manson selbst zum Tode verurteilt. Später wurden die Todesstrafen in lebenslängliche Haft umgewandelt. Charles Manson wurde ein Popstar, der bis zum heutigen Tag auf seiner Unschuld beharrt. Wer in der Causa Charles Manson nicht ganz sattelfest ist, der liest hier weiter, bevor wir uns seinem seltsamen neuen Buch widmen.
Never Say Never To Always
Die in Israel lebende Journalistin Michal Welles hat Manson in den vergangen 20 Jahren regelmäßig im Gefängnis besucht und steht im ständigen Kontakt mit dem verurteilten Mörder. Mit der Zustimmung und Unterstützung von Manson hat sie nun aus dem reichhaltigen Archiv ihrer aufgezeichneten Gespräche und Briefkorrespondenz so etwas wie Charles Mansons kritisch kommentierte Memoiren destilliert. Oder das war zumindest der Plan.
EPA / California Department of Correct
Charles Manson ist für seine ausufernden Tiraden nämlich nahezu genauso berühmt-berüchtigt wie für seine kriminelle Energie. In dem Buch "Meine Letzten Worte" bekommt man ein Best Of von Charles Manson-Ansprachen. Und erfährt nichts Neues. Der Mann leugnet nach wie vor jede Schuld, stellt sich als ewiges Opfer dar und predigt unentwegt Blödsinn - versetzt mit scharfzüngigen Wahrheiten. Und bringt damit das System Charles Manson unfreiwillig auf den Punkt.
Is There No One In Your World But You?
Eins kann ich dir sagen, ich wäre nie in der Lage so etwas zu tun. Dazu habe ich gar nicht den Mumm. Fünf Menschen starben in dieser Nacht, und direkt nach der Tat kamen die Mädchen zur Ranch und erzählten mir, was sie getan hatten. Als ob sie das in meinen Augen aufwerten würde. Als ob ich diese Tat respektieren müsste, weil sie einen Beweis für bestimmtes Talent darstelle oder so was.
Stellen wir uns kurz mal die Frage, warum Charles Manson eigentlich zum Popstar wurde. Warum MusikerInnen von Sonic Youth, Guns'n'Roses bis Psychic TV derart fasziniert und inspiriert waren von dieser grausamen Episode der amerikanischen Geschichte? Natürlich wegen all dem schillernden Ambiente bestehend aus Okkultismus, Sex, Gewalt und Popkultur. Aber was die Leute letztlich in den Bann von Charles Manson zieht, ist sein kompromissloser Nihilismus. Der libertine Akt des Auflehnens um des Auflehnens Willen. Sich von so etwas inspirieren zu lassen, provoziert natürlich moralische Debatten. Aber Popkultur war noch niemals unschuldig.
Hannibal Verlag
Das autorisierte Vermächtnis von Charles Manson ist eine Geschichte ohne Sicherheitsnetz. Obwohl die Autorin versucht, sich von Manson zu distanzieren, zum Beispiel, indem sie auf ihren jüdischen Hintergrund verweist, wenn Manson mit rassistischen Tiraden auffährt, verliert sie trotzdem Seite um Seite jegliche Distanz.
Ich sage dir, Frau, bringe das Buch raus. Sorge dafür, dass Leute wie du verstehen, dass mir schlimme Sachen zugestoßen sind. Sieh dich um, sieh dir den Tod und die Zerstörung und den Missbrauch und das Betrügen und Morden an, und dann sag mir noch mal, dass die meisten Menschen Gutes wollen, nur ich nicht. Was heißt überhaupt gut?
Dieses Buch ist eine einzige exemplarische Verführung und charismatische Manipulation. Vorsichtig genossen ist es auf eine bizarre Art wohl das ehrlichste Zeugnis, das Manson jemals ablegen konnte.