Erstellt am: 25. 8. 2011 - 21:00 Uhr
Super Sad Letdown
Es sei das perfekte Buch über die amerikanische Wirtschaftskrise, eine unterhaltsame, gewiefte, spitzzüngige Satire, ein Zukunftsroman für die heutige Generation. Bei solchen weit ausholenden Lobpreisungen werde ich grundsätzlich immer etwas misstrauisch. Trotzdem schlug ich die erste Seite der "Super Sad True Love Story" auf, schließlich versprach mir der Klappentext ein literarisches Glanzstück, das die gegenwärtigen Krisen mit einer tragischkomischen Liebesgeschichte zu verquicken vermag.
Posthumante Dienstleitungen vs. italienische Orgien
Amerika steht kurz vor dem Bankrott. Das ehemalige, jetzt an den Yuan-gekoppelte Wirtschaftsimperium ist tief verschuldet und die Chinesen bluten das Land aus. Auch die "Nordeuropäer" wollen die ökonomischen Beziehungen mit den USA kappen, schließlich haben die Staaten einen Krieg mit Venezuela begonnen, den sie zu verlieren scheinen und was wiederum hohe Entschädigungszahlungen bedeutet.
Rowohlt Verlag
Durch dieses ganze Chaos stolpert der Shteyngarts Anti-Held Lenny Abramov. Der 39-jährige arbeitet für ein Unternehmen, das mit "Posthumanen Dienstleistungen" das große Geld machen will. Ganz nach dem vorherrschenden Motto "verkaufe um dein Leben" reist Lenny nach Rom, um superreiche Kunden für sein Projekt der "unbeschränkten Lebensverlängerung" zu gewinnen. Doch anstatt die großen Fische an Land zu ziehen, verschuldet sich der romantische Literatur- und Buchnarr nicht nur, sondern verfällt auf einer orgiastischen Party auch noch der zarten koreanischstämmigen Amerikanerin Eunice Park. Trotz ihrer Konsumabhängigkeit und Abgeklärtheit wittert Lenny die große Liebe und schmiedet den Plan, Eunice wieder nach Amerika zu holen, um fortan mit Hilfe der Technologie glücklich und zufrieden in alle Ewigkeit mit ihr zu leben. Doch mit der ökonomischen Katastrophe, die Amerika in den Abgrund zu reißen droht, beginnt auch der Kampf um die aus der Mode gekommene, romantische Liebe.
Big Äppärät is watching you
Aus diesem Gerüst hätte der 1972 in Leningrad geborene und mittlerweile erfolgreiche Gegenwartsschriftsteller Gary Shteyngart ein visionäres, spannendes und irrwitziges Lesevergnügen aufbauen können. Doch leider verbirgt sich hinter dem dünnen, pechschwarz eingefärbten Zerrspiegel der Realität gähnende Leere. Zu sehr bleibt die am Reißbrett entworfene Zukunftsvision in gegenwärtigen Entwicklungen stecken.
Brigitte Lacombe
So regiert beispielsweise statt den Smartphones der "Äppärät" den zwischenmenschlichen Austausch. Das supertechnologische Scanngerät zeigt neben "Bonitätsstufe", Cholesterinwert und sexuellen Vorlieben auch immer gleich die Attraktivität - in der Zukunft "Fickfaktor" genannt - des Gegenübers an. Auch die vorherrschenden Werte der futuristischen Gesellschaft sind extrapolierte Übertreibungen der Gegenwart. Es regiert der Schönheitswahn, der mit poronhafter Unterwäschenmode auf die Spitze getrieben wird und der Gesundheitswahn nimmt durch den gesellschaftlichen Ernährungszwang diktatorische Ausmaße an. Und wer es sich leisten kann, versucht durch Waschungen mit "SmartBlood" und sogenannte "Dechronifizierungsbehandlungen" den Alterungsprozess überhaupt zu stoppen. Diesen Verjüngungswahn hat Tery Gilliam in seinem großartigen Film "Brazil" schon Mitte der Achtziger viel subtiler und cleverer auf den Punkt gebracht.
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Die Verbindung zu den althergebrachten Werten soll die "analoge" Hauptfigur Lenny Abramov übernehmen, die sich uns in Tagebucheintragungen offenbart. Schließlich liebt er Bücher (die bei der technologieverliebten Masse nur mehr die Funktion besitzen, wie alte Socken zu stinken), ist heilloser Romantiker (schließlich zählt ja nur mehr der "Fickfaktor") und scheitert dadurch bei allen Versuchen, in dieser turbokapitalistischen Welt Erfolg zu haben. Ihm stellt Shteyngart recht plakativ das vierundzwanzigjährige, "digitalisierte Mädchen der Begierde Eunice Park gegenüber, die durch ihre Einträge auf dem social network "GlobalTeens" uns die böse Fratze der konsumgeilen, nur auf Oberflächlichkeiten bedachte Jugend enthüllen soll. Das super Traurige an dieser den Roman umklammernden Liebesgeschichte ist aber, dass sie nicht funktioniert. Die konträren Charaktere sind derart hölzern und teils in sich widersprüchlich, dass man sich nicht richtig mit ihnen identifizieren oder gar mitleiden kann.
Was übrig bleibt ist eine schwarz-weiß-malende Satire über ein untergehendes Amerika, eine vorhersehbar konstruierte Dystopie, die von Klischees eines kulturpessimistischen Blicks getragen wird. Da wo dieser Roman durch seine von der Realität fast eingeholte Analyse zu punkten vermag, verdirbt mir der kraftvoll geschwungene Holzhammer und der dahinter in die Höhe gestreckte Zeigefinger leider den Spaß.