Erstellt am: 24. 8. 2011 - 18:15 Uhr
Kenn ich, mag ich
Kitsune
"Alesia" von Housse de Racket ist bei Kitsune erscheinen.
Alle Alben der Woche auf einen Blick:
Man kann nicht viel falsch machen, wenn man schon einmal auf Kitsune, dem Fachlabel für dezente Hipster-Eleganz, gelandet ist. Noch dazu, wenn man Musik macht, die geradezu vorbildlich die Vorstellungen erfüllt, die man von elektronischer französischer Popmusik hat. Ein bisschen verträumt, ein bisschen melancholisch, ein bisschen dramatisch, aber nie die Eleganz oder die Balance verlierend.
Housse de Racket klingt wie eine Mischung aus Air-scher Verträumtheit und Phoenix-schen Harmonien.
Hinter Housse de Racket stecken die beiden Franzosen Pierre Leroux und Victor Le Masne. Die Jungs sind durch eine gute und harte Schule gegangen, haben bei den Besten des Genres gelernt. Sie waren Studio- und Tourmusiker für die oben erwähnten French Electronica Pop-Schwergewichter bevor sie ihre eigene Operation ins Leben riefen. Wenn du für Air arbeitest, dann muss alles funktionieren, meinen die beiden. Du bist am besten ganz ruhig und saugst soviel Information wie möglich auf.
kitsune
Dass die zwei aber keine Streber und Fadsack-Copycats sind, beweist schon, mit wie viel Humor sie ihr Debüt-Album "Forty Love" garniert haben. Das ist 2008 erschienen, und setzte sich thematisch mit der unmöglichen Liebe zweier Tennisprofis auseinander. Zu dieser Zeit ließen sich Housse de Racket auch nur als solche ablichten.
2011 kehren sie jetzt mit weniger Jux und Tollerei, mehr 80er Synthies und dem besten Producer, den es für ihre Belange geben kann, zurück. Auf "Alesia" haben sie mit Phillipe Zdar zusammen gearbeitet. Der ist Mr. French House lui-même. Er ist fünfzig Prozent von Cassius, vor denen ich am liebsten vor Begeisterung niedergebrochen wäre, als sie vor ein paar Wochen ein DJ Set in der Pratersauna spielten. Das hatte Drive und Groove und von der Samplewahl her den Spaßfaktor eines Jim Henson Hörspiels. Jeder der in Paris irgendwie um den Planeten House orbitet scheint Zdar als Fixgestirn zu respektieren.
Kitsune
"Er sorgte für komplexere Melodien und klassischere Pophymnen und dafür dass Housse de Racket einen Schritt weiter in die 80er-Synthie-Ecke gerückt sind", lässt die Pressinfo wissen.
The Rapture, deren kommendes Album "In the Grace of your Love" Zdar auch produziert hat, meinten: Mit Zdar im Studio zu sein kann man sich ungefähr so vorstellen wie mit Peter Sellers in der Partyschreck zusammenzuarbeiten. Digitalism sind auch große Fans und haben dem Mann den Track "Zdarlight" gewidmet.
Housse the Racket verdanken ihm viel. Sie erzählen, was Zdar bei jeder einzelnen Nummer noch rein oder raus reklamiert hat. Wie er theatralische Schreikrämpfe bekam, wenn er etwas Scheiße fand und auf die Knie niederbrach. Wenn ihm die Skizzen, mit denen Housse the Racket im Studio auftauchten, zusagten, umarmte er sie und fing vor Freude an zu weinen.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber das sind die Geschichten, die ich mir merke. Wenn jemand so in der Musi,k die er macht lebt, bei jeden Detail abgeht wie ein übermotivierter Shakespear-Darsteller, dann glaube ich, dass da Blut, Schweiß, Hirn und Liebe drin stecken und nicht beliebiges Gepose mit Hipster-Frottee-Stirnbändern.
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Und á propos Hirn. Housse de Racket schwören zwar, dass diesmal alles weniger konzeptlastig abgelaufen ist, vor allem in Bezug auf die Texte und den Bezugsrahmen des Albums. Aber es kommt ja nicht von irgendwo ein Album "Alesia" zu nennen. Da die gewitzte Interviewerin googeln kann, weiß sie dass Alesia "die Hauptstadt der Mandubier, eines mit den mächtigen Haeduern in Verbindung stehenden gallischen Volksstammes, die nach der Eroberung durch Caesar eine römische Stadt in Gallien wurde" war.
Nach einigen Sticheln und Nachfragen kam folgendes zu Tage:
"Okay, es gibt einige Referenzen zur französischen Geschichte. Aber versteh uns nicht falsch, wir haben nichts mit Nationalstolz am Hut. Es geht eher darum, wie man Konzepte kultureller Identität hinterfragen kann und den HörerInnen noch genug Platz für eigenen Assoziationen in den Songs lassen kann."
Na, das freut doch die ambitionierte "Diskurspop um jeden Preis" Reviewerin. "TGV" zum Beispiel, die Nummer, die nach dem französischen, inzwischen in die Jahre gekommenen Hochgeschwindigkeitszug benannt ist, ist eine Mediation über Party, Geschwindigkeit und einen inzwischen überholten naiven Fortschrittsglauben.
zdarlight music
"Apocalypso", eine weitere Nummer von "Alesia", ist das Resultat eines Gastspiels in China. Als ich letztes Jahr chinesische Städte wie Chongqing mit einem Einzugsgebiet von 32 Millionen kennen lernen durfte, den Ort, wo unser ganzer Plastikschrott herkommt, dachte ich auch, es sei der menschen- und lebensfeindlichste Ort, den ich jemals gesehen habe. Und: Wenn das die Zukunft unseres Planeten ist, kaufe ich mir sofort ein Stück Land im brasilianischen Pantanal und Ciao Zivilisation. Ich hab es natürlich nicht getan.
Housse de Racket ist es ähnlich gegangen, auch sie schnupperten das faulige Aroma der Apoklaypse, nur die durften noch zusätzlich erleben, wie künstlicher Regen hergestellt wurde. Künstlicher Regen, der durch die "Impfung" von Wolken mit Chemikalien durch Menschhand erzeugt wird.
Da Housse de Racket zu Sublimation fähig sind, panikierten sie nicht und wollten nicht ins Panatal abhauhen, sondern haben "Apocalypso" geschrieben. Und glaubt mir, wenn ich nur lang genug weiter gebohrt hätte, wären noch genug Reflektionen zu zeitgeschichtlichen und kontemporären Monstren zwischen den Watte-weichen, Harmonie-gesättigten, französisch englisch vorgetragenen Popsongs an den Tag gekommen.