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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 8. 2011 - 22:48

Fußball-Journal '11-88.

Dietmar Constantini flüchtet... a) aus seiner Verantwortung, b) in Ausreden, oder c) zurück ins 20. Jahrhundert.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute wieder einmal mit den Geschehnissen bei einer der legendär kurzen ÖFB-Kader-Bekanntgabe-Pressekonferenzen - obwohl ich gar nicht dort war; der Teamchef Constantini aber irgendwie auch nicht.

Der ÖFB-Kader für EM-Quali-Spiele gegen Deutschland am 2. 9. in Gelsenkirchen und die Türkei am 6. 9. in Wien.

Tor: Christian Gratzei (Sturm), Pascal Grünwald (Austria), Helge Payer (Rapid).

Abwehr: Ekrem Dag (Besiktas/TUR), Florian Klein, Manuel Ortlechner (Austria), Aleksandar Dragovic (Basel/SUI), Emanuel Pogatetz (Hannover/D), Christopher Dibon (Admira), Christian Fuchs (Schalke/D), Thomas Schrammel (Rapid).

Mittelfeld: David Alaba (Bayern/D), Julian Baumgartlinger (Mainz/D), Manuel Weber (Sturm), Jakob Jantscher (Salzburg), Zlatko Junuzovic (Austria), Daniel Royer (Ried) sowie Paul Scharner (WBA/ENG), der im D-Spiel gesperrt ist. Stefan Kulovits (Rapid) ist krank geworden.

Angriff: Martin Harnik (Stuttgart/D), Erwin Hoffer (Frankfurt/D), Marc Janko (Twente/NED).

Auf Abruf: Hans-Peter Berger (Admira); Franz Schiemer (Salzburg); Andreas Hölzl (Sturm); Marko Arnautovic (Werder/D), Roland Linz (Austria), Stefan Maierhofer (Wolves -> Salzburg).
Am Wochenende werden dann noch zwei Spieler nachnominiert - ob die sich nur aus den Abrufbereiten rekrutieren, wurde nicht klar.

Secondos-Anteil: 5 von 28; bewegt sich im aktuell schon peinlichen Rahmen aller ÖFB-Teams.

Verletzt: Roman Kienast (Sturm), Jürgen Macho (Panionios/GRE), Guido Burgstaller (Rapid).
Nicht vollfit: Sebastian Prödl (Werder/D).
Ein "Führungsspieler" und deshalb laut Teamchef unbrauchbar: Andreas Ivanschitz (Mainz/D).

Blacklisted: Veli Kavlak und Tanju Kayhan (Besiktas/TUR), Yasin Pehlivan (Gaziantep/TUR), Ümit Korkmaz (Eintr. Frankfurt/D) - also die Arnautovic-Unterstützer-Bande sowie Christoph Leitgeb (Salzburg), Michael Gspurning (Xanthi/GRE), Markus Berger (Academica/POR), Andreas Ibertsberger (Hoffenheim/D), György Garics (Bologna/IT, eh verletzt), Alexander Manninger (Juve/IT), Martin Stranzl (Gladbach/D).

Out: Roman Wallner, Andreas Ulmer (Salzburg), Alexander Grünwald, Georg Margreitter (Austria), Christopher Trimmel (Rapid).

Christopher Drazan (Rapid) wird wohl U21 spielen dürfen (Royer, Dibon, Alaba und Dragovic nicht) Florian Kainz (Sturm) vielleicht, er ist nicht 100% fit. Die Kaderliste der U-21-Nationalmannschaft, die ihre EM-Quali beginnt, präsentiert der ÖFB Mittwoch.

Ich bin ganz froh, dass ich heute vormittag nicht (wie sonst immer) bei der Kader-Bekanntgabe-PK für die nächsten ÖFB-Länderspiel-Ausgaben dabei war, um dort den jeweils aktuellen Wasserstand zu messen, sondern durch eine familiäre Landpartie (das aber auch in der Nähe wichtiger Wasserstandsmarken...) verhindert war.

Ich hätte die peinliche und liederliche Flucht des aktuellen Teamchefs Constantini vor den Fragen der jungen und nicht mehr wehrlosen Journalisten-Generation womöglich zum Anlass genommen, recht zeitnah ein paar Gedanken niederzuschreiben, die wohl übers Ziel hinausgeschossen wären. Denn letztlich ist diese heutige Flucht nur die Manifestation einer größeren Flucht, die Dietmar Constantini längst angetreten hat.

Da ist mir eine abendliche Rückkehr in den absurden Kosmos der ÖFB-Plackereien und die Möglichkeit, das Geschehene in Ruhe nachzuvollziehen und zu verarbeiten, dann doch lieber.

Das hab ich ja überhaupt noch nie gehört, sagt DiCo. Stimmt!

"Nur weil einer glaubt, er muss im Internet eine Taktikseite machen, heißt das noch nicht viel", sagt Constantini später dem Kurier-Redakteur; als Ausrede für seinen Aussetzer. Als ihn nämlich die etwa dritte Frage aus der Ecke der jungen Web-Journalisten stört, verlässt er mit den Worten "Das hab ich ja überhaupt noch nie gehört!" den Saal. Die Beisitzer (der wortarme Zsak, der desintessierte Wohlfahrt und der verzweifelte Pressechef Klinglmüller) brechen die PK ab. Sie hat eh schon 13 Minuten gedauert, das ist ohnehin länger als sonst.

Warum er so erregt war? "Wenn ein Spaziergänger Taktik erklärt, hört sich alles auf", diktiert Constantini draußen noch in die Blöcke.

Alle drei Sätze bringen das Dilemma des DiCo auf den Punkt.

Dass er vieles, was die Taktik-Blogs aufwerfen, überhaupt noch nie gehört hat - das stimmt. Die aktuellen Teamspieler, die auch in die letzten Länderspiele ohne jegliche taktische Anweisung des Trainerteams gingen, können das bestätigen.

Wenn einer im Netz eine Taktikseite macht, heißt das noch nicht viel - auch das stimmt. Aber es heißt deutlich mehr als das taktische und strategische Nichts, das im ÖFB, vor allem im A-Team herrscht, und von Beckenbauer abwärts international als Lachnummer dient.

Wenn ein Spaziergänger ihm Taktik erklärt, hört sich alles auf

Wenn also schon Spaziergänger (damit ist wohl ein Nicht-Exspieler gemeint) Taktik erklärt, dann hört sich alles auf - das ist am allerrichtigsten. Wenn schon ein Nicht-Exspieler dem Teamchef, der seine vorsintflutlichen Ansichten bereits bis zum Erbrechen veröffentlicht hat, die Basics erklären muss, dann hört vor allem die Existenzberechtigung dieses Teamchefs auf.

Im Übrigen waren die Fragesteller, die nach Taktik und dem zunehmenden Informations-Defizit der Teamspieler (als man noch EM-Quali-Chancen hatte, gab es vor den Spielen kleine Handouts - zuletzt dann wurde drauf verzichtet), keineswegs Taktik-Blogger, sondern Redakteure von 90minuten.at, einem umfassend informierenden Web-Magazin.

Ernst genommen wurden die Kollegen vom Redakteur des ZDF, der für eine Vorab-Geschichte extra nach Wien zur Pressekonferenz gekommen war und über die unprofessionelle, pampige, angerührte und vorgestrige Weise wie Constantini die Veranstaltung zur Farce machte, einigermaßen schockiert war. Michael Fiala beschreibt die Vorfälle und auch sein ZDF-Interview hier im Detail.

Warum gibt der Teamchef keine Antworten auf die Fragen?

Was die ZDF-Leute ihn gefragt haben? "Laufen diese Pressekonferenzen mit Constantini immer so ab? Warum gibt der Teamchef keine Antworten auf die Fragen, die er gestellt bekommt? Warum reagiert Constantini so dünnhäutig?“.

Nachvollziehbar. In Deutschland wäre das substanzlose und paternalistische Gewäsch, das hierzulande die Regel darstellt, nicht möglich. Und in Deutschland wird nicht nur unter Ex-Teamspielern wie Matthias Sammer über Taktik diskutiert, da stellen auch Journalisten entsprechende Fragen.

Ohne sich das dann von inhaltlich und auch umgangsformal überforderten Trainern zum Vorwurf machen lassen zu müssen; von Trainern wohlgemerkt, die am internationalen Markt unvermittelbar sind; und damit Schaden ohne Ende verursachen.

Autor der ZDF-Story ist übrigens Martin Schneider, ehemaliger Profi bei Mönchengladbach - also kein Spaziergänger, aber einer, der auch seine neue Profession ernst nimmt. Einer von vielen im übrigen. Österreichische Ex-Kicker im Journalismus lassen sich aktuell leider nur an einer Hand abzählen.

Tags zuvor ließ sich ÖFB-Chef Windtner vorführen

In diesem Zusammenhang war auch die montägliche Sportsendung auf Servus-TV extrem lehrreich. Dort hatte der aalglatte deutsche Moderatoren-Legionär Rudi Brückner zwei erfolgreiche und verbal gut bestückte deutsche Vereins-Manager zu Gast, dazu kam der immer mehr an einen Druiden erinnernde Paul Gludovatz, jemand, der sich als Präsident von Sturm Graz ausgab (das aber unmöglich wirklich sein kann - er brachte keinen einzigen gerade Satz zustande) und ÖFB-Präsident Windtner.

Als sich der nach einem Vorwurf von Gludovatz (der meinte, dass er wegen seines jungen deutschen Legionärs Basala mehr und effizienteren Kontakt zum DFB hat als für seine diversen Team-Akteure mit dem ÖFB) in banale Entweichungen und verronnene Platitüden stürzte, fühlte sich sogar Bruckner bemüßigt nachzuhaken, und führte den überfordeten Präse auf das peinlichste vor. Er konnte nicht anders: zu deutlich war der Klasse-Unterschied der Aussagen-Kultur im Vergleich zu den deutschen Gästen.

Windtners medialer Untergang am Montag unterschied sich nicht in der barbarischen Zuschaustellung von Unwillen, Inkompetenz und Werte-Losigkeit von Constantinis medialem Untergang am Dienstag, sondern nur in dessen Fähigkeit, Kritik an seiner Taktik öffentlich zumindest auszuhalten: Windtner hat den Tisch, an dem er aufgeblattelt wurde, zumindest nicht verlassen.

Constantini, der sich tatsächlich von Spaziergängern Taktik erklären lassen muss, weil er sowas nämlich überhaupt noch nie gehört hat, besaß diese Größe nicht.

PS: alle drei möglichen Antworten sind richtig.