Erstellt am: 24. 8. 2011 - 20:00 Uhr
Vorwärts in die Vergangenheit
Unlängst hat mein Kollege Martin Blumenau hier sein Unbehagen über den nicht enden wollenden Retro-Trend im Kino formuliert, über das Verharren zahlreicher Mainstream-Produktionen in einer Zeitschleife, in der dringliche aktuelle Bezüge keinerlei Rolle mehr spielen.
Angeregt war die Attacke auf die Recylingmanie vor allem von dem melancholischen Monstermovie "Super 8". Auch der große deutsche Filmpublizist Georg Seeßlen schrieb anlässlich von J.J. Abrams' Liebeserklärung an Steven Spielberg und die fragile Unschuld der Kindheit von hemmungsloser Rückwärtsgewandtheit. Und gar von einer "Abschaffung der Gegenwart".
Nun bin ich der erste, der allergisch reagiert, wenn Filme, Bücher, Bands oder gar Freunde im wirklichen Leben in verklärten Phasen der Vergangenheit feststecken. Ich kann mich beispielsweise noch gut an meine schockierte Reaktion erinnern, als mir der Sänger einer erfolgreichen heimischen Garagenrockband weismachen wollte, dass Musik nach 1969 eigentlich eine einzige Katastrophe ist. Mich schaudert, wenn eigentlich intelligente Menschen nicht aufhören, von der ihrer Meinung nach zentralen Periode der Popkultur zu schwärmen, die ausgerechnet mit deren eigener Jugend korreliert.
Gänzlich ungebrochene Nostalgie, das unterschreibe ich sofort, ist ein schleichendes Gift, das zwangsläufig zur Erstarrung führt, zum Stillstand, zum Ende aller Innovationen, Veränderungen und echten Aufregungen.
UPi
Geschichtslektion und schwärmerische Verneigung
Diesen erstickenden reaktionären Geist habe ich in "Super 8" allerdings keinen Moment lang verspürt. Regisseur und Autor Abrams arbeitet akribisch, bis zur legendären Eumig-Kamera, eine Ära des Amateurfilms auf, die im Mainstream bislang noch kaum gewürdigt wurde. Er würdigt die notgedrungene Ästhetik billigster Hobbyproduktionen, die oft chaotischen Produktionsumstände, die zwingende DIY-Attitude, sogar die Textur des heute in Vergessenheit geratenen Super-8-Materials.
Gleichzeitig verneigt sich J.J. Abrams, im Gewand eines Sci-Fi-Blockbusters, vor einem ganz bestimmten Kindertypus - und ich meine jetzt nicht die schablonenhaften Kids, die die Werke seines Vorbilds Spielberg bevölkern. Sondern die echten schwärmerischen Tagträumerbuben und starken Mädchen, da da draußen auch im realen Schulalltag zu finden sind und denen man nicht genug filmische Denkmäler errichten kann.
"Super 8" mag eine Orgie der Referenzen sein, durchweht von Sentimentalität, frei von einem politischen Subtext. Aber der Film ist auch ein rares Beispiel für berührenden Hollywood-Eskapismus, der weder die Intelligenz beleidigt noch fadisiert.
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Flucht aus dem realen Paris
Ein Film, der seltsamerweise im Zusammenhang mit der derzeitigen Klage über die Retromanie kaum genannt wird und statt dessen weltweit einhellig positive Kritikerreaktionen einheimste, ist Woody Allens neues Werk. Dabei ist Nostalgie das Schlüsselthema von "Midnight in Paris".
Der mittlerweile 76-jährige Regisseur setzt in dem Streifen seine filmische Reise durch Europa fort, die von diversen lokalen Förderungsstellen mitgesponsert wird. Nach dem seine letzten Streifen in London oder Barcelona spielten, macht Allen nun an der Seine Station.
"Midnight in Paris" beginnt mit einer Reihe von Postkartenansichten der französischen Metropole, die so abgedroschen wirken, dass man nur den Kopf schütteln kann. Aber es geht eben auch um touristische Blickwinkel in diesem Film, zu denen sich Woody Allen offensiv bekennt. Owen Wilson, einer meiner einstigen Lieblingsakteure, der zuletzt drohte, in der Belanglosigkeit zu verschwinden, spielt Gil, einen amerikanischen Autor, der in sämtliche kulturellen Klischees über Paris vernarrt ist. Was ihm regelmäßig Minuspunkte bei seiner hübschen, aber äußerst bodenständigen Verlobten (Rachel McAdams) bringt, die all die Künstlernamen nicht mehr hören kann.
"Ich bin ein Fan von Realitätsflucht" gesteht Woody Allen in einem aktuellen Interview und gönnt sie auch seinem verhuschten Helden. Genervt von der ignoranten Demnächst-Ehefrau an seiner Seite und den öden Schwiegereltern in spe flaniert Gil betrunken durch das nächtliche Paris. Und wird plötzlich von einem mysteriösen Auto in die Vergangenheit entführt, genauer gesagt in die legendären zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
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Wunschbilder und ihre Tücken
Plötzlich steht der kulturbeflissene Amerikaner all seinen Helden gegenüber. Da plaudern F. Scott Fitzgerald und dessen Frau Zelda auf einer Party mit ihm, der strenge Ernest Hemingway referiert in einer Bar - vielleicht die Glanzszene des Films - über die Frauen und den Tod, Dali und Picasso tauchen ebenso leibhaftig auf wie Luis Buñuel. In der Gestalt der wunderbaren Marion Cotillard als flirtende Malermuse wartet auch die Verführung auf Gil in diesem Fantasieuniversum.
Wer sich, wie eingangs erwähnt, mit der Vergangenheitsverherrlichung des derzeitigen Kinos unwohl fühlt, müsste bei "Midnight in Paris" eigentlich verzweifeln. Um das reale heutige Paris geht es Woody Allen in seiner 42sten Regiearbeit nämlich gar nicht. Er verneigt sich lieber vor all den Ikonen und Illusionen, die mit der Stadt verknüpft sind - und denkt gleichzeitig über Wunschbilder nach.
Ohne zuviel zu verraten, ist der Film nämlich auch eine Reflexion über die Tücken von Kopf-Abenteuern, über die Sucht nach Projektionen und das Scheitern daran. Seine finale Botschaft begräbt Woody Allen aber so tief in einem Loblied auf die wilden zwanziger Jahre, dass sie letztendlich nicht ins Gewicht fällt. Schwerer wiegt da schon die Abwesenheit einer gewissen Bissigkeit, die Filme wie "Matchpoint", "Whatever Works" und sogar "Vicky Cristina Barcelona" auszeichnete.
Wenn "Super 8" sanft mit einer Vergangenheitsverklärung für die Generation E.T. kokettiert, dann ist "Midnight in Paris" ein feuchter Traum für ältere Bildungsbürger. Wie soll man diesen nostalgischen Werken aber böse sein, wenn sie gleichzeitig Loblieder an die Kunst und das Schrullige sind, wenn sie den Alltag verdammen und die Romantik feiern? Ich liebe das Hier und Jetzt, aber schönere Werte fallen mir gerade keine ein.
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