Erstellt am: 23. 8. 2011 - 17:00 Uhr
Small Screen Stories: Unter Palmer
Ich ward entnommen bevor die Wehen noch begonnen. Seht nur her ihr, ihr all‘, auf den weltgrößten Unfall: Ich bin der Maid-Anachronismus.
Amanda Palmer, 35, aus Boston, Massachussetts, hat in ihrem Leben schon eine ganze verdammte Menge mitgemacht und mitmachen müssen. Dinge, deren Subjekte weite Teile der Gesellschaft nicht und nicht aus der Opferrolle entlassen wollen. Amandas Mittel gegen körperliche Transgression: Unbeirrtheit. Und gegen die universelle herablassende Anteilnahme: Hyperaktivität. Vielleicht liegt letzteres ja auch daran, dass sie unvollendet, vor ihrem Auftrittsstichwort, per Kaiserschnitt in diese Welt befördert wurde. Obwohl: Ein Kaiserschnitt war ich auch, und ich lümmle den ganzen Tag am liebsten vor mich hin.
„Anachronism“ ist ein schönes Wort. Manchmal sinniere ich darüber, welches andere englische Wort mit vier Silben man theoretisch noch einsetzen könnte. „Boy metabolism“, Bubenstoffwechsel, oder „aunt malapropism“, der Tantchen-Versprecher. Amanda Palmer hat ihr Leben am Schopf gepackt und schüttelt es seitdem unaufhörlich durch und lässt es nicht mehr los. Man kann sich nicht auf sie verlassen, auch nur irgendwas auf die konventionelle Art und Weise zu machen. Wenn Amanda Palmer in die Bücherei geht, zieht sie sich dazu sicher Stepptanzschuhe und ein mit Ratschen bestücktes Kleid an, aber stellt sich vorher die Aufgabe, solange in dieser Aufmachung zu üben, bis sie keinen Ton von sich gibt. Wenn die zwischenzeitliche Dresden-Dolls – Sängerin irgendwo einen Konzertauftritt hat, spielt sie, anstatt am Veranstaltungsort einen Soundcheck zu machen, lieber einen Guerilla-Gig im Schatten einer Pestsäule oder im Schließfach eines FKK-Bades.
Seit Januar letzten Jahres war sie mit dem Schriftsteller und Illustrator Neil Gaiman verlobt. Das hätte einen wunderschönen Anlass für eine Traumhochzeit mit einer ellenlangen Schleppe und 50 weißen Tauben abgegeben. Aber nein, Miss Unberechenbar ist losgezogen und hat ihren Liebsten mit einer Flash-Mob-Trauung überrumpelt. Was auch immer das ist. Inzwischen haben die beiden aber auch tatsächlich regulär geheiratet, und sie ist nun eben nicht mehr Miss Unberechenbar, sondern Mrs. Hier ist ein Ausschnitt aus diesem wunderbaren Film, der auf einem von Neil Gaimans Büchern basiert.
Manchen ist dieser Rummel ein bisserl zu viel. Übrigens: Bei wem von euch wird Amanda im September eigentlich wohnen? Es steht ja wohl kaum zu erwarten, dass die Dame nach mehr als einem Jahrzehnt mit ihren Gewohnheiten bricht, und von Couchsurfing auf Hotels umsteigt.
Lustig: Erst vor ein paar Tagen hab ich mit einem Freund ein Gespräch über Amanda Palmer geführt. Und der war ein bisschen von ihr genervt, von einem persönlichen Erlebnis mit ihr her, als er einige Zeit in Melbourne gelebt hat. In dem Haus, das seiner Mitbewohnerin gehört hat, war nämlich auch die Sängerin untergebracht. Aber eben nicht nur sie, sondern das gesamte achtköpfige Team des Danger Ensembles, mit dem sie damals, 2007, auf Tournee war. Sie konnte für die Konzertreise mit ihren Begleitern nämlich kein viel größeres Budget einkalkulieren als für eine Solo-Tour, und so weitete sie das Hausgast-Prinzip kurzerhand auf ihre MitstreiterInnen aus. Die sich, laut den Angaben meines Freundes, bitterlich darüber empörten, wenn man sie Pantomime zeihte. Sie selbst sehen sich nämlich ihre Zunft am treffendsten als „physical theatre artists“ umschrieben.
Mittlerweile hat Amanda Palmer, oder Amanda Fucking, Palmer, wie sie sich unter Bemühung eines gewissen Grads an Hyperbole auch selber nennt, das Danger Ensemble gegen Nervous Cabarat als ihre Begleitband, und vermutlich viele andere Variété-Truppen in wechselnder Besetzung sowie eine bunte Horde tollkühner StraßenmusikantInnen eingetauscht. In welcher Besetzung sie am 6. September auftritt, kann ich mir gar nicht vorstellen. Es werden aber fast sicher Militärmärsche auf der Innenseite von rohen Eierschalen musiziert werden. Fast am meisten Spaß macht ihr dann aber überhaupt gleich die Beteiligung an postmodernen Kabarett-Opern. „The Onion Cellar“, eine Adaption von Günter Grass‘ Blechtrommel, die im Dezember 2006 im American Repertory Theatre von Cambridge, Massachussetts Uraufführung hatte, ist ganz ihr Baby.
Dass sie über die letzten Jahre hinweg die Patronanz für zwei im Stile von Zirkus-Artisten performende an der Hüfte zusammengewachsene Zwillinge („siamesisch“ ist kein wirklich zulässiger Begriff, oder?) übernommen hat, ist bei vielen BeobachterInnen auf Unverständnis gestoßen.
Aber für Amanda Palmer gibt es sowas wie Handicaps einfach nicht. Nur machen, machen, machen. Auf Teufel komm raus. Und dort, wo Amanda Palmers unbezwingbare Klänge und Rhythmen herkommen, dort ist, wie der Franzose sagen würde, der Ursprung der Welt.