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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

24. 8. 2011 - 11:50

Der kleine Dissident

Vor 20 Jahren versuchte eine Gruppe von Hardlinekommunisten einen Putsch gegen Gorbatschow. Sein Misserfolg führte zum Zerfall der Sowjetunion.

Meine politische Kariere begann, als ich 5 Jahre alt war. Der Kommunismus war gerade dabei, sich aus Europa zu verabschieden. Meine Eltern, erfüllt von der Begeisterung, dass sie endlich freie Menschen sein können, nahmen mich auf alle antikommunistischen Kundgebungen mit. Mein Anblick - ein Kind mit rosa Wangen, das auf den Schultern seines Vaters sitzt - brachte die Massen der Demonstranten zum Lächeln. Vielleicht sahen sie in mir ihre Zukunft, lächelnd und sorglos.

Ich fühlte mich wunderbar im Rampenlicht. Je mehr Leute mich anschauten, desto lauter schrie ich: "Zum Fernsehgebäude!", obwohl ich gar nicht wusste, warum alle das Fernsehgebäude stürmen wollten. So war ich, auf dem Rücken meines Vaters, ein wichtiger Teil der bulgarischen "sanften" Revolution. Fast alle osteuropäischen Revolutionen begannen mit dem Sturm auf das staatliche Fernsehen.

Vor 20 Jahren, Ende August 1991, sah ich meinen Vater mit einem besorgten Blick. Zwei verschiedene Pechsträhnen hatten ihn auf einmal erwischt: Sein Auto wurde gestohlen und in Moskau war gerade der Putsch gegen Gorbatschow ausgebrochen. Wegen des Autos sollte man sich nicht viele Sorgen machen. Es war ein kleiner polnischer Fiat 126 p, der seit Jahren ohne Akkumulator vor unserem Plattenbaublock gestanden hatte. Ich ging mit meinem Vater das Auto suchen. Ohne Akku sollte es der Fiat nicht sehr weit geschafft haben. Auf dem Weg erzählte mir mein Vater, dass jetzt die Kommunisten in Moskau und in Bulgarien wieder an die Macht kommen werden. Mit oder ohne Auto - die Zukunft sah nicht mehr so sorglos aus wie früher. Ich stellte mir den guten Gorbatschow vor, der gerade von den anonymen bösen Kommunisten gefoltert wird.

Fiat Polski 126 p

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Auf der Suche nach unserem Auto erreichten wir das nahegelegene Romaviertel. Ich sah in den Augen meines Vaters, dass er die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem Fiat schon verloren hatte. Ein nach Schnaps riechender Mann lief uns entgegen. "Onkel, weißt du was mit Gorbatschow los ist?", fragte ich. Die beiden Geschichten waren so in meinem Kopf vermischt, dass ich sie nicht auseinander halten konnte. Der Roma, der sicherlich noch weniger als ich wusste, wer Gorbatschow war, schaute mich nur kurz an, kniff mir in die Wange und zeigte mir sein Lächeln, gefüllt mit Goldzähnen. "Mein kleiner Dissident", sagte mein Vater zu mir. So endete meine politische Karriere.

Wir haben das Auto hinter unseren Wohnblock gefunden. Kinder haben es aus Spaß geschoben. Gorbatschow kam zurück und wenig später fiel die Sowjetunion auseinander.