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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 8. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 158.

Der Massenmörder von nebenan.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Detail zum Ende des Gaddafi-Regimes in Libyen.

Man kennt das, wenn die Bassena-Fraktion des Journalismus ausrückt um Nachbarn und Bekannte von jemandem, der sich vor wenigen Stunden durch eine Schreckenstat als wahres Monster herausgestellt hat, zu befragen. Ja, nie im Leben hätte man ihm (es sind immer Männer, die Monster) zugetraut, geben die meisten zu Protokoll (fast kann man so eine Chronik-Reportage schreiben ohne sich aus dem Büro zu begeben; die üblichen Stehsätze reichen völlig aus). Und nur einzelne üben sich in Statements, die sie für mutig halten, und wollen immer schon gefühlt haben, dass da was komisch sei. Beim Fritzl-Opa, beim Priklopil, beim Amokläufer, beim Kindsmörder, beim Fuchs-Franzl, bei allen, die als Sau durchs Mediendorf getrieben werden.

Die, die sich aber immer schon was gedacht hatten, die haben die dann immer ganz geheim bei sich behalten, diese Erkenntnis.

Ich frag mich genau das, während die Bilder der letzten Stunden des Gadaffi-Regimes Geschichten erzählen.

Nicht die über den bizarren Stammhalter der Sippe, den pathologisch-ewigen Revolutionsführer. Der war immer gleichzeitig sein eigener Elefant; der Elefant im Zimmer, über den man aber nicht redet. Muammar Gaddafi hat nie ein Hehl aus seinen Gesinnungen und auch aus seinem Irrsinn gemacht.
Den meine ich nicht.

Die vielen guten Freunde von Saif al-Islam al-Gaddafi

Der 'Wir-haben-nix-bemerkt!'-Klassiker ist eine Assoziation zu Saif al-Islam Gaddafi, dem zweiten Sohn und Kronprinzen. Saif, das ist der, den man in Österreich aus der Klatschpresse kennt, der schicke, elegante, der mit Jörg Haider sowas von intim war. Wien hat Saif zu seiner Business-Drehscheibe in Europa gemacht, den MBA hat er hier, an einer Privat-Uni gemacht.

Ein intelligenter Gesprächspartner soll er gewesen sein, ja, sein Deutsch war sehr gut, kulturbeflissen, analytisch, gewitzt. Natürlich genoss er diplomatische Immunität, obwohl er gar kein Amt bekleidete; nicht einmal ein virtuelles wie der Papa.

Saif war trotzdem Staatsgast, eh klar, sowieso, aber hallo!
Seine Leibgarde durfte ihre Waffen ungeprüft einführen und sich problemlos illegal in Österreich aufhalten. Geldgeschenke an Polizei-Organe machen eben den Unterschied zwischen Asyl-Werbern und Diktatoren-Söhne.

Und wenn in einer der Wiener Villen von Saif jemand zu Tode kommt dann wird weder untersucht noch angeklagt. Gute Freunde, die weit über die ursprüngliche Achse Saif-Haider, die Geldspritzen für die Partei und andere Kinkerlitzchen hinausgingen, sorgen dafür.

Österreichs Inlands-Diplomatie befindet sich noch im Metternich'schen Zustand, und es ist ganz egal, ob der den man anbuckelt und -schleimt der Oligarch Putin oder eben der Diktatoren-Kronprinz ist.

Schmiergeldnehmer, Wegschauer und andere Putzerfische

All diese Geschichten und einige andere mehr sind und waren kein Geheimnis. Und ebenso wenig geheim ist und war, dass die Gaddafis Diktatoren reinstes Wassers sind/waren. Zumindest für die, die irgendwie, und sei es nur im Umfeld oder über Tratsch, mit Saif und seinen Machenschaften zu tun hatten.

In diesem Fall ist es also so, dass die Nachbarn und Bekannten aus dem Anfangs-Beispiel mit ihren "Hat-man-ihm-gar-nicht-angesehen!"-Arien eigentlich nicht punkten dürften. Jetzt, wo Saifs Gesicht, neben dem des Papas, zum Gesicht der mörderischen, an ihrer irrwitzigen Maßlosigkeit gescheiterten Diktatur wird, die gerade weltöffentlich beendet wird. Und das schon seit Monaten.

Der "das hat man doch nicht ahnen können"-Gestus geht sich im Fall Saif nicht aus. Und trotzdem argumentieren die vielen Mitwisser und Mitläufer, die Trinkgeldnehmer und Gefälligkeits-Bitter, die Wirtschaftsinteressen-Vertreter und die anderen Putzerfische jetzt so; und sie werden es in den nächsten Tagen auch tun.

Sie werden weiter das Bild des politisch liberaleren Gadaffi-Sohns ausbreiten; sie werden davon schwatzen, dass ja erst sein Clan den Beduinen dort eine Kultur bei-/nahegebracht hat, sie werden was von ökonomischen Zwängen und der Kraft des Faktischen erzählen, wie das die Gusenbauers oder die Bartensteins tun, wenn sie Despoten beraten (und sich so ganz direkt die Hände schmutzig machen), sie werden diplomatische Codes bemühen und auch sonst alles tun, um sich reinzuwaschen. Von der nicht nur moralischen, sondern der tief drinnen real verspürten Schande mit einem für alle zu jeder Zeit kenntlichen Monster herumgedealt zu haben.

Reinwaschungen gegen jede Unschuldsvermutung

Denn das wussten sie, die Nachbarn und Bekannten, tief drinnen. Denn die Saif al-Islam al-Gaddafis dieser Welt, die gehen mit ihrer Schuld und ihrer Außendarstellung in Wahrheit immer ganz offen um: Und jedem, der Ohren und etwas dazwischen hat, war das klar.

Denn im Gegensatz zu den von den Blutflockis der Chronik-Redaktionen ausgebeuteten, verdutzten Nachbarn und Bekannten, die sich aus alltäglicher Faulheit nie die Mühe gemacht haben, hinter die Fassaden eines möglichen Wahnsinns zu schauen, haben die österreichischen Nachbarn und Bekannten der Gadaffi-Mafia immer völlig freien Blick und klare Sicht gehabt.
Und davon profitiert.
Weil sich nämlich Kaliber wie der polyglotte Unterdiktator genau so Ergebenheit kaufen: Indem sie mit dem Schuldbewusstsein der Menschen in ihrer Umgebung spekulieren; und sie dann einkassieren.

Schade nur, dass Jörg Haider nicht mehr lebt.
Seine raffinieren Ausreden hätte ich jetzt zu gerne gehört.