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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 8. 2011 - 23:32

Fußball-Journal '11-87.

Das Ende des Märchens vom taktisch überforderten Fußball-Zuschauer. Fortsetzung der langen Geschichte vom Hofmann-Loch.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einer Nachfolge-Geschichte zu unzähligen Fußball-Journalen, die sich mit dem seit Jahren virulenten Problem des Einsatzgebietes von Steffen Hofmann beschäftigt haben. Und einer medialen Neuerung.

Es dauerte nicht lange, zehn, fünfzehn Minuten.
Als die ersten Probleme Rapids im heutigen Derby sichtbar wurden, gab Roman Mählich, TV-Analytiker, der heute unsichtbar neben dem Kommentator Thomas König auf der Tribüne saß und mitreden durfte, das Startzeichen. Und sprach das große, lang anhaltende und bislang von den über Fußball berichtenden Medien trotzdem kaum erwähnte Fanal an: Rapids rechte Seite, die dann zum Problem wird, wenn Steffen Hofmann dort nominell eingeteilt wird.

Mählich und König machten das recht geschickt.
Sie taten so, als wäre diese strategische Schwachstelle durchaus bekannt und erklärten sie dennoch auch für Anfänger nachvollziehbar.

Denn natürlich müssen sie davon ausgehen, dass 95% der Zuseher keine Ahnung haben, wovon die Rede ist, weil sie zwar zuschauen, aber nichts erkennen können (über die Gründe dafür gleich mehr) - aber im Sinn einer tatsächlich den Namen verdienenden analytischen Kommentierung dringend brauchen um zu verstehen, warum das Spiel so läuft wie es läuft; und sich nicht - wie der Mainstream, auch der der Medien - in läppische Platitüden flüchten müssen.

Ein kleiner Schritt für den Experten Roman Mählich ...

In Wahrheit war das allerdings ein Erstkontakt.

In dieser Deutlichkeit hat sich im österreichischen Fernsehen, oder besser, in einem österreichischen Mainstream-Medium, egal welcher Art, noch nie jemand öffentlich mit der strategischen Wahrheit hinter dem Spiel auseinandergesetzt.

Einschub: das Hofmann-Loch ist ein pars-pro-toto-Beispiel. Man könnte auch andere nehmen. Es illustiert aber den Wertewandel aktuell am schönsten. Einschub Ende.

Das Problem auf der rechten Rapid-Seite, wenn Hofmann dort aufgestellt ist, geht so: Hofmann zieht es immer in die Mitte, er füllt also den Flügel nie aus und er lässt seinen Hintermann, den Rechtsverteidiger immer allein. Weshalb auch der dann nicht mehr (oder nur unter hohem Risiko) in den Angriff kommt. Rapids rechte Seite ist, wenn dort Hofmann, der Kapitän nominiert wird, offensiv tot und defensiv anfällig.

Die jahrelange Katastrophe auf der rechten Rapid-Seite

Das ist seit Jahren so und wurde unter Pacult zu einer unseligen Hochblüte getrieben. Dieses taktische Unding hat nämlich auch einen Vorteil. Falls nämlich der Gegner den Vorteil dort nicht nützt, oder falls der Rechtsverteidiger einen großen Tag hat, dann kann Rapid in der Zentrale Überzahl-Situationen schaffen und das Spiel dominieren.

In der Bundesliga hat das manchmal geklappt - was an der Schwäche der Gegner lag; international so gut wie nie. International wurde Hofmann auch kaum rechts nominiert; schaut euch einmal die Aston Villa-Matches an, wie Pacult dort aufgestellt hat.

Ein Modell auf das man eine Entwicklung der Mannschaft aufbauen konnte, war dieses Hofmann-Loch nie, eher eine mia-wurscht-Attitüde von Coaches, die sich von Pyrrhus-Siegen ernähren; also an ihrem Helden-Mythos stricken, anstatt etwas für die Mannschaft zu tun. Man kann das mit einem General vergleichen, der seine Armee bewußt geschwächt in die Schlacht schickt, nur um sich dann - im Fall des Sieges - mit der Überwindung besonderer Schwierigkeiten zu schmücken. Menschenverachtend ist das, und angesichts der Tatsache, dass etwa Peter Pacult etliche Rechtsverteidiger zerschlissen und ihre Karrieren zertrümmert hat, ist die Härte dieser Aussage auch hier angebracht.

Die erstaunlich spät erkannten neuen Kleider des Kaisers

In jedem Fall war das Hofmann-Loch, also die unbesetzte rechte Seite ein echtes Ärgernis, ein vor allem im Stadion, aber auch in der TV-Übertragung für jeden sichtbarer stragetischer Wahnsinn.
Dachte ich.
Es fiel nämlich kaum jemandem auf; vor allem niemandem, der etwas zu melden hatte. Und auch den Journalisten nicht.

Gut, die definieren ihre Profession, vor allem im Mainstream, noch vor allemer im Boulevard ja als Assistenztruppe von Liga, Vereinen und ÖFB und haben sich, was den geschärften Blick auf das Spielgeschehen betrifft, ja über Jahrzehnte selber kastriert. Und weil es die alten, verhaberten und schlechten Journalisten waren, die die jungen ausbildeten, waren auch die recht blind.

Ich spreche das Hofmann-Loch seit seiner Entstehung an (der älteste Eintrag, den ich auf die Schnelle gefunden habe, ist aus dem Sommer 2007; insgesamt habe ich an die 70 Journale dazu gefunden...) und, so absurd das klingt, ich musste erst echte Überzeugungsarbeit leisten, bis zumindest einige Experten genauer hingesehen und es dann auch erkannt haben. Davor war's wie bei des Kaisers neue Kleider: solange der Hofmann und die Rapid eh super spielen (was ja durchaus oft der Fall war) will ich sowas gar nicht sehen - das war das Credo der meisten.

Wo die Ausreden-Kultur das Arbeits-Ethos ersetzte...

Und das sind die Seiten, die das neue Sehen unterstützen und forcieren:

ballverliebt.eu

90.minuten.at

abseits.at

die standard.situation auf derstandard.at

die unregelmäßige taktikanalyse auf laola1.at

Dass sich das Problem auf der rechten Rapid-Seite (auch dadurch, dass es nicht wegging, sondern in der Pacult-Zeit nur verstärkt wurde) langsam aber doch ins Bewußtsein zumindest einiger Sport-Journalisten drängte wurde mir klar, als mich der mittlerweile pensionierte Chef der TV-Sportredaktion bei einer halböffentlichen ORF-Veranstaltung als den Erfinder des Hofmann-Lochs angesagt hat.

Das Bewußtsein war also da (das wußte ich nicht nur aus den Kontakten, Postings, Mails hier übers Forum, sondern auch aus Gesprächen mit Kollegen) - allein am Transport zum Konsumenten mangelte es.

Das Ausreden-Lamento klang so: das ist zu kompliziert zu erklären; die Leut' interessiert das mit Taktik und so doch gar nicht; meine Chefs (die Alten) lassen das nicht zu; das geht zu sehr ins Detail, den Platz hab ich nicht; das überfordert doch schon die Experten, die wir da haben; etc.

Es war also so: man wußte um ein Problem, einen Hemmschuh, der Rapid immer dann, wenn man in Normalform war, schwächte; man wußte um die verheerende Ich-AG-Politik des Trainergenerals Pacult, traute sich aber aus den erwähnten Gründen nicht es anzusprechen.

Die Angst vorm Opening. Dem von Pandoras Box

Auch aus gutem Grund: denn die direkte Ansprache eines solchen strategischen Grundproblems ist die Öffnung der Büchse der Pandora.
Denn jemand, der das hört und das sieht und das nachvollziehen kann, der riecht Lunte und will dann mehr. Weil sich für jemanden, der Fußball bis jetzt nur an der Oberfläche angesehen hat eine neue Dimension öffnen kann.
Das ist wie mit 3D. Oder der intensiveren Wahrnehmung, wenn man auf Droge ist. Es kann selber eine Droge werden.

Genau deshalb hab ich nicht dran geglaubt. Ein Journal von vor ziemlich genau einem Jahr trägt den Titel Warum das Hofmann-Loch nicht im Mainstream ankommen wird. Damals waren die TaktikBlogs, von denen wir jetzt in Österreich schon eine Handvoll (wirklich gute) haben, ganz frisch geschlüpft, und gaben Anlass zu Hoffnung. Eine Hoffnung, die ich aber im "Teufelskreis der medialen Untätigkeit" im Mainstream untergehen sah.

Denn es liegt tatsächlich an den Mainstream-Medien, vor allem am TV und der Tagespresse, hier die entscheidende Arbeit zu leisten. In den meisten Fällen wird das nicht passieren, weil es die Abkehr vom bequemen Alltag, in dem man sich in Allgemeinplätze, Zitate und G'schichtldruckerei flüchten kann, bedeutet. Weil es einen völlig neuen Zugang braucht und für viele auch Lernprozesse und echte Nachhilfe. Und welcher Über35jährige will sowas schon.

... ein großer Schritt für die große Fußball-Öffentlichkeit.

Roman Mählich wollte das offenbar.
Und hat sich, mit Unterstützung von Teilen der TV-Sportredaktion dann auch getraut.

Erstens sich zum Kommentator dazuzusetzen und auf die Dinge hinzuweisen, die auf dem Feld passieren und wichtiger fürs Spiel und seinen Verlauf sind, als die vielen Schmähtandlereien, auf die sonst gerne (und überflüssigerweise) eingegangen wird.

Und zweitens auf ein dann doch für den Mainstream recht spezielles Problem hinzuweisen. Das berühmte Hofmann-Loch eben. Es zu erklären, anschaulich zu machen, und auf die Folgen hinzuweisen - im aktuellen Fall wieder einmal die Inexistenz einer ganzen Offensiv-Seite.

So enttäuschend Mählich sich an anderen Fronten moralisch verhält, so wichtig ist dieser Vorstoß "zur besten Sendezeit", noch dazu beim Derby. Denn er belegt, dass es 1) gar nicht sooo schwer ist eine taktische Unzulänglichkeit, ein strategisches Problem anzusprechen (und das auch noch live), und dass es 2) sehr wohl interessant und aufschlußreich sein kann über mehr als die üblichen Banalitäten zu sprechen.

Eine ganze Generation von Versagern: bloßgestellt!

Dass am selben Tag auch mit Frenk Schinkels ein "Experte" vorgestellt wurde, der zu dieser Entwicklung genau gegenläufige vorgestrige Ansätze mitbringt, ist tragisch, wird aber den Zeitlauf nicht auzfhalten können.

Denn nicht die Zuschauer sind taktisch überfordert - es sind die Vermittler, die bisher versagt haben; es sind die Journalisten und Reporter, die sich bislang nur im Erfinden von Ausreden kreativ gezeigt haben, und die "Experten" der alten Schule, die mit ihren Stehsätzen nur verbale Fadgas-Granaten abgesondert haben.
Diese kollektive Versager-Generation ist von einer schlichten und mutigen Live-Aktion jetzt bloßgestellt worden.
Gut so.
Ob es das Ganze unumkehrbar macht, wird sich weisen.