Erstellt am: 20. 8. 2011 - 18:15 Uhr
Journal 2011. Eintrag 157.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der erwarteten, nötigen und logischen Fortsetzung zu Journal 2011, Eintrag 151: Die Feinde der Zivilisation (Die alten Rechten erkennen die Gefahren der neuen Rechten) und Journal 2011, Eintrag 153: Steht uns eine Koalition der guten Kräfte bevor? Die Konservativen beginnen wieder zu denken.
Die Schrecksekunde in den selbsternannten österreichischen Leitmedien hat über eine Woche gedauert - und dabei bin ich mir schon vor zehn Tagen ein wenig komisch vorgekommen, als ich (mit einiger Verspätung) die neue konservative Debatte über den Wahrheitsgehalt bislang bloß von der Linken geäußerten Thesen aufgegriffen habe. Schließlich war sie da schon einigermaßen fortgeschritten, international gesehen.
Es hat aber erst des konservativen deutschen Leitwolfs Frank Schirrmacher bedurft, um diese Debatte auch in den deutschsprachigen Mainstream zu bringen.
Dann allerdings war sie nicht mehr zu bremsen - das Netz hat umfassend, interessiert und interessant reagiert.
Bis die Essenz dieser Blogs aus den neuen in die alten Medien, vor allem in die Tagespresse (von den audiovisuellen Medien, die sich solchen Debatten überhaupt entziehen, gerne auch mit der Ausrede, an den für die Interessierten geschaffeneRändern würde eh genug geboten) kam, dauerte es eine Woche. Jetzt, in den Samstag-Ausgaben, widmen sich Standard und Presse, dem Thema.
Das und auch das Wie sind allemal interessant.
Warum die Tagespresse mittlerweile wochenlang braucht...
Zum einen, weil die Tagespresse damit letztlich ihren Anspruch auf Täglichkeit aufgibt - mit Wichtigem bewußt bis zum Samstag, wo man erfahrungsgemäß die größte Aufmerksamkeit erhält, zu warten, ist schon ein bisserl eine Bankrott-Erklärung der Erscheinungsweise (auch wenn man etwa der Presse zugutehalten muss, dass sie derlei auch schon zu einem Prinzip erhoben hat).
Denn die Behandlung dieser Debatte ist, formal gesehen, nicht unbedingt sehr weekendig.
Der Standard lässt auf Seite 1 Hans Rauscher ohrwascheln, man dürfe nicht vergessen, dass der heillose Staatsglaube der Linken kein Rezept wäre - es sei schon einmal nicht gutgegangen. Für den Westen, wo diese Diskussion tobt, stimmt das zwar nicht, aber mit dieser schein-pfiffigen Volte wird Rauscher der Rolle gerecht, die er schon früher im Kurier hatte: als personifizierter Durchgreifer und Beschützer der Besitzer-Interessen. Denn Herr Rauscher mag sich - ebenso wie Frau Rohrer - vor Jahren ein liberales Mäntelchen übergeworfen haben, drunter ist noch weit mehr Saulus als Paulus. Und das kommt dann bei einem Thema, das mehr oder weniger die eigene Biographie berührt, ganz von selber hoch.
Auf Seite 2 kommt dann ein klassisches Fluch-oder-Segen-Duell zwischen einem erblassten Josef Cap und dem von der Mutter der Wahrheit gnadenlos überwutzelten Andreas Khol, den diese aktuelle Diskussion schmerzlich-merklich überfordert.
Angezipftes Geraderücken beschädigter Ego-Eitelkeiten
Der Presse, und vor allem ihrem Chefredakteur Michael Fleischhacker fällt die viel schwierigere Aufgabe zu: er muss nicht nur die Thematik aufbereiten, sondern auch Position beziehen, als Leitfaden für seine Klientel; und zwar weniger für die Leserschaft, als für die Besitzer und Einflussnehmer. Das ist natürlich ein Höllenritt.
Entsprechend angezipft fällt in Fleischhackers die ganze erste Seite einnehmendem, graphisch konservativ gestaltetem Leitartikel Sie spüren, dass etwas Neues beginnt dann zu Beginn auch der Subtext aus.
Moore und Schirrmacher, die Fleischhacker hernimmt (die anderen Zeugen, die Constantin Seibt hier zitiert werden gleich einmal unterschlagen...) hätten den Vorteil des radical chic, wettert er, ihnen ginge es nur um die größtmögliche Aufmerksamkeit (die sie auch erreicht haben, weltweit bzw im gesamten deutschen Sprachraum).
Übersetzt heißt das: verdammt, die können, völlig rücksichtslos, einfach laut und intensiv nachdenken und überlegen, ohne Rücksichtnahmen oder gar den Sanktus von Besitzern, Bossen und Mächtigen! Denn das kann der heimische Chefredakteur mitnichten; gar keiner, behaupte ich.
Das speist Fleischhacker ordentlich an; aber vielleicht gibt ihm diese Lehrstaunde ja einen echten Input.
Das Aussprechen von Wirklichkeit schafft neue Realitäten
Abgesehen von dieser natürlichen Abwehrhaltungen und immer wieder eingeflochtenen Versuchen einer publizistischen Klientel-Politik reagiert der Presse-Chefredakteur aber deutlich sensibler als der der älteren Ideologen-Schule angehörende Feuerkopf Rauscher.
Er wiederholt das Mantra von Moore, Schirrmacher und den anderen (wie auch Warren Buffett, den die Presse, eher zufällig, auf Seite 3 featurt) und bestätigt es. Das geschieht, in dieser Deutlichkeit, auf dieser Seite des Grabens, erstmals - immerhin: dass die Sozialisierung von Verlusten aus spekulativen Privatgeschäften absurd wäre und bietet gute Gründe für Wut und Rebellion biete, ebenso wie Kniefälle vor neoliberalem Boni-Bonzentum oder das Aus-dem-Ruderlaufen politischer Regulierungs-Mechanismen in der Wirtschaft.
Fleischhacker differenziert recht genau zwischen dem (von seiner Klientel zu wenig bekämpften) neoliberalen Marktfundamentalismus und den (von seiner Klientel) zuwenig befeuerten "richtigen" marktwirtschaftlichen Prinzipien.
Immerhin.
Die Neugier auf was "Neues" überwindet alte Automatismen
Damit kommt er aber zu seiner ersten Erkenntnis: und die ist rein defensiv.
Es sei nämlich keineswegs so, schreibt Fleischhacker und wird merklich und mächtig böse dabei, dass alles woran man "sein Leben lang" (Zitat Schirrmacher) geglaubt habe, falsch sein könne. Das sei nur intelektueller Snobismus.
Die Begründung dafür, warum das "nur so" sein könne, fehlt allerdings...
Denn er springt weiter zur nächsten Erkenntnis (die ich im übrigen vorbehaltlos teile): dass sich nämlich die (auch in dieser Debatte gepflogenen) Zuschreibungen "links" und "rechts" nicht aufrechterhalten liessen. Die aktuelle Wut, sagt Fleischhacker ist so nicht mehr beschreibbar. Sind die Wutbürger, die Kämpfer für eine partizipativen Demokratie Linke oder Rechte? Fällt alles in eine neue Kategorie, schließt der Leitartikler und so kommt auch der Titel des Textes zustande: dieses Gefühl, dass etwas Neues beginne, macht alle so richtig wucki. Deshalb die Aufregung, in Innen- und Außenwirkung.
Nicht jetzt lästern.
Klar sind das alles Thesen, die hier und sonstwo und in den Zirkeln und Blogs seit Jahren durchdiskutierte Gewißheiten darstellen - wichtig ist nur, dass jetzt auch der konservative Mainstream gar nicht anders kann als diese Themen und Thesen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch durchzudebattieren; auch und vor allem im eigenen Klientel.
Um das geht es gerade.
Es geht nicht darum wer wo wann und wie recht gehabt hat, richtig. Es geht um ein Ernstnehmen, um das Gefühl einer Diskussion auf Augenhöhe - und die war bislang in den Verantwortungsbereichen der Fleischhackers ja nicht existent; da wurde alles, was jetzt "was Neues" darstellt als "bolschewistisch" wegdiffamiert.
Schön dass damit Schluß ist.
Schön, dass die Konservativen wieder willig sind offen und breiter zu denken und damit wieder ein Gesprächspartner sind.