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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

20. 8. 2011 - 17:45

Ein Meer aus Händen

Samy Deluxe, der Mann mit den besten Rhymes am Start, rhytmische Körperbewegungen bei den Friendly Fires und Big Beats mit Chemical Brothers. Der letzte Tag am FM4 Frequency.

Das FM4 Frequency Festival 2011

Nach dem Auftritt der Fun-Ska-Punk-Band Skabucks, die so klingt wie solche Bands immer klingen und bei der auch die "ironischen" Coverversionen - Krönungen der Originalität: "Can't Touch This" und Harold Faltermeyers "Axel F." - nicht fehlen dürfen, kann am Samstag schon sehr früh ein kleiner Glanzpunkt ins leider noch kaum besuchte Areal vor der Greenstage blinzeln: Zuviel Sonne, vermutlich zu viel seidene Subtilität in der dargebotenen Musik. Die junge englische Musikerin MiMi fertigt mit ihrer aus Halb-Hipster-Typen in Karo-Hemd oder Macho-Man-Randy-Savage-T-Shirts bestehenden Band eine grazile Musik im Koordinaten-System Folk, Singer/Songwriter und geschmackvoll ausproduziertem Mainstream-Softrock mit leichtem Indie-Einschlag. Dieses Jahr erst hat sie ihr doch recht ansprechendes Debüt-Album "Road To Last Night" veröffentlicht, die schöne Single "Easy" daraus bringt schon sehr früh im Set bei den vier Handvoll Anwesenden immerhin das Herz sanft zum Schlagen. MiMi hat gute Lieder im Repertoire, "kann richtig singen", für diejenigen, denen so etwas immer besonders wichtig ist, und ist eine charmant-zurückhaltende Frontfrau: "Even I might get a tan today", kommentiert sie die englische Beschaffenheit ihrer Haut. Bisweilen driftet der Gesang leicht in Richtung castingshowmäßiges Rock-Röhren-Getue, so schlimm ist das aber nicht. Mit weicher Musik in einen glühenden Tag. Wer es wissen muss: MiMi ist die Tochter eines sehr berühmten Deutsch-Rockers. Das ist aber auch egal.

Die Weichheit geht weiter, vergleichweise: Mit Jochen Distelmeyer betritt ein Mann die Bühne, den man sich in der Situation eines Rock-Festivals immer ein wenig wie einen für gewöhnlich mit der Nagelschere am Bonsai-Baum operierenden Chirurgen in der Sandsack-Fabrik vorstellen möchte. Das Konzert beginnt der einstige Frontmann der nie, niemals nicht zu ersetzenden Blumfeld mit der Sonic-Youth-Noise-Gitarren-Breitseite von "Wohin mit dem Hass?", dem vielleicht besten Stück seines 2009 erschienen Solo-Debüts "Heavy". Man ist kurz geneigt sich zu fragen, ob er das Stück in diesem ihm vielleicht nicht ganz geheuren Setting programmatisch meint, so wie er dreinschaut. Aber nein, innerhalb nur weniger Stücke holt Distelmeyer den Großentertainer, als den man ihn kennt, aus dem fast bis zum Bauchnabel geöffneten Hemd: "Schön, dass Ihr alle gekommen seid, spitze! Hat das Wetter bisher mitgespielt? Geil, geil, geil!" Es gilt auch Stücke von Blumfeld zu erleben: "Ich - Wie Es Wirklich War" und "Weil Es Liebe ist" beispielsweise.

Gegen Ende des Auftitts gibt's den schweren Rock von "Hinter der Musik" und einmal noch Blumfeld in Form von "Pro Familie" vom Großwerk "Old Nobody". Distelmeyer feuert mit dem ihm typischen Lächeln im Gesicht in halb inszenierter, halb ernst gemeinter Rockstar-Pose per Fingerzeig das Publikum zum "Hey!"-Rufen an. "Liebe Studentinnen und Studenten, Ihr seid doch eben erst aufgestanden. Das Prinzip ist Gegen-Angeilung." So ist es.

Die Bühne bleibt in Hamburg, davor wird es sehr, sehr voll. Der Wickeda MC kann es immer noch besser als die meisten. Samy Deluxe kommt passend zu seinem aktuellen Album "SchwarzWeiss" mit seiner Tsunami-Band und DJ Mixwell in ebenjenen Farben gekleidet und legt klarerweise den Fokus auf den neuen Longplayer: Die Stücke "Poesie-Album", "Ego" und "Hände Hoch" werden vom Meer aus Händen schon außerordentlich gut willkommen geheißen, abgeräumt wird aber freilich mit den Klassikern: "Wie Jetzt?" von Dynamite Deluxe ist der relative Höhepunkt und gar die seinerzeit schnell unerträglich gewordene Weltschmerz-Hymne "Weck Mich Auf" bringt nach zehn Jahren Hörpause in der Live-Version mit Synthesizern enorm aufgefettet die härtesten B-Boys zum Weinen. Insgesamt ist das Set von Samy Deluxe mit Gitarre - auch Soli - und, ja, tightem Band-Sound bisweilen gar rockig angelegt, fällt aber nie in Richtung stumpfen Crossover-Raps weg. Der Mann hat die besten Rhymes am Start und scheint nach ein paar Jährchen eher nicht gar so sensationellen Dahingeplänkels style-technisch wieder bestens im Saft stehend bereit für den Top-Spot im deutschen Rap-Geschäft. Zum Abschluss gibt' noch "Dynamite" und "Sneak Preview", ursprünglich eine Kollaboration mit Kollegen Afrob. Das alles ist sehr groß.

Das Energie-Level wird nach unten gepegelt, das Publikum bleibt aber heute ab jetzt auch anscheinend für etwas leisere Party-Signale empfänglich: Die in Hamburg lebende Sängerin, Musikerin und so ziemliche Alleskönnerin und -checkerin Nneka vollführt auf der Bühne mit ihrer Band eine geschmeidige Verschmelzung von Soul, Dub, Reggae und HipHop, die in der Nachbarschaft von Conscious HipHop in eingedenk von A Tribe Called Quest, De La Soul und den Roots oder auch von großen Soul-Erneuerinnen wie Erykah Badu oder Jill Scott nicht schlecht aufgehoben wäre. Festival-adäquat wird die auf Platte weit feinsinniger daherkommende Musik von Nneka mitunter mit Gitarren-Geheule druckvoller gestaltet und das Bob-Marley-mäßige Feel-Good und Peace-Element vielleicht da und dort über die Maßen strapaziert. Insgesamt hat das Konzert so einige Durchhänger, die Alben von Nneka, am Besten wohl „No Longer At Ease“ aus dem Jahr 2008, sind es dennoch wert, einmal gründlich ausgecheckt zu werden.

Bei der Veröffentlichung ihres selbstbetitelten – auch schon sehr guten - Debütalbums im Jahr 2008 mag man die Friendly Fires noch ein wenig als eine weitere Indie-Dance-, Dance-Punk- oder vielleicht gar Nu-Rave-Band abgetan haben, als mäßig originelle Wiedergänger von den New Yorkern von The Rapture möglicherweise, spätestens aber seit Release des diesjährigen, zweiten Longplayers „Pala“ darf man wissen, dass man es hier mit einer Gruppe zu tun hat, die moderne Tanzmusik mit den Mitteln von euphorischem, großherzigen Pop und den offensten Armen umschließt und sich einverleibt. Liest man und hört man Interviews mit dem englischen Trio, wird man namedroppingtechnisch eher mit House- und Techno-Labels denn mit Gitarren-Combos konfrontiert werden. Was man bislang noch nicht so sehr am Format der Stücke der Friendly Fires ablesen kann, sich aber im ihnen explizit innewohnenden Wunsch nach endorphingeschwängerten, rhythmischen Körperbewegungen überdeutlich niederschlägt.

Ein großer Tänzer ist auch Ed Macfarlane, Sänger und Frontmann der Friendly Fires. Seine Moves gleichen Russel Brand bei der Darstellung eines Schlangenmenschen. Leider können diese affigen, also großartigen Darbietungen viel zu wenige Menschen miterleben, sie wissen anscheinend nicht, dass sie gerade eine der sympathischsten und besten Bands des Wochenendes, einen Höhepunkt des ganzen Festivals versäumen. In der Setlist sind die beiden Alben der Friendly Fires fast haargenau zu gleichen Teilen vertreten, eigentlich alles, was hier ins Publikum strömt, ist Hit: Den Anfang macht „Lovesick“ gefolgt von „Jump In The Pool“, zu „On Board“, der ersten Single der Band überhaupt, überwindet Macfarlane den Bühnengraben und teilt seine zärtlichen Schockwellen mit dem Publikum, das großartige Stück „Live Those Days Tonight“ beschwört den alles und jeden umarmenden Geist von Früh-90er-Rave. Die Band bietet ihre Stücke mit erhöhtem Percussion-Aufkommen dar und hat Unterstützung in Gestalt zweier Bläser mitgebracht. Man kann es nicht oft genug sagen: Saxophon kann nie schaden. Eine Cowbell-Einlage findet auch statt - eine performative Geste, die aufgrund von Inflation mittlerweile bloß noch mit begleitendem Grinsen vollführt werden kann. Auf Band - wie auf Publikumseite. Revolutionen gibt es hier zwar keine zu erfahren, dafür aber eine vor Freude vibrierende Band, die den großen Göttern Funkiness und Sex huldigt - und die einfach kein nicht mindestens sehr gutes Lied im Programm hat. Zum Schluss gibt’s noch den Überhit „Paris“ und „Kiss Of Life“ samt extended Outro mit Drum-Freak-Out. Danach duftet die Luft nach Karamell und Schweiß und Erdbeeren.

Danach darf wieder goldenes Handwerk dominieren. Merkwürdigerweise ist beim Auftritt von Carl Barat gar nicht mal so viel los. Nicht selten ist ja so eine durchschnittliche englische Gitarren-Musik in enger Hose und im Lederjäckchen besonders beliebt. Barat ist ja aber eh ein Guter. Cockiness scheint er zumindest auf der Bühne nicht zu kennen, er reißt da und dort ein kleines Witzchen und arbeitet sich brav durch Solo-Material, Libertines-Stücke und die Dirty Pretty Things. Das sind ja auch wirklich sehr gute Nummern, „Up The Bracket“ beispielsweise, oder „Bang Bang, You’re Dead“. Rock’n’Roll als vorgefertigte Stangenware – die aber eh ganz schick sitzt und adrett funkelt. Niemandem hat’s geschadet, es ist auch nix passiert.

Während die Hauptbühne von kernigem Naturburschen-Rock beschlossen wird, werden auf der Green Stage heute noch alle Menschen FreundInnen im Groove. Doch auch bei den Stereo Mcs schimmert ein wenig die Tendenz durch, elektronische Tanzmusik in der Live-Situation einen Touch mehr als „Rock“ zu deuten als auf Tonträger. Funktioniert auch hier großartig, wenngleich es ein bisschen weird anmutet, Frontmann Rob Birch mit umgeschnallter E-Gitarre über die Bühne laufen zu sehen, während er als MC Worte ins Mikrofon spuckt. Neben Birch himself und Elektronik sind also noch ein Drummer, ein Bassist und zwei Sängerinnen an Bord, die zusammen eine veritables Tanztheater veranstalten. Die Macht des Beats reißt hier alle gerne mit und mit durchaus feiner Klinge um, einzelne Nummern fallen kaum auf. Mit Ausnahme vielleicht des an den Grenzen der Lächerlichkeit schrammenden, großartigen – vor allem live - Ballade-Goes-Rave-Anthems „Boy“ vom brandneuen Album „Emperor’s Nightingale“. Und dann sind da noch die zwei Stücke, die auch nach geschätzten 25 Jahren nicht madig werden und sich „Connected“ und „Step It Up“ nennen. Niemand wird sie je vergessen. Zum Glück.

Der Frequency Videoblog
Mit Deichkind, Kasabian, Effi und euch, den BesucherInnen!

Was man aber vielleicht dann und dort vergessen könnte, ist, dass die Chemical Brothers nicht nur die Haupttransporteure des Vehikels „Big Beat“ sind, sondern, dass sie schon richtig gute Platten veröffentlicht haben in ihrem Leben. Die zwei Herren können sich auf ein Lichtschauspiel, das mit dem Wort VISUALS nur rudimentär umschrieben ist, und ihre Hits verlassen – sie haben drei Säcke voll davon. Gibt es viele Menschen, denen Buchstaben-Kombinationen wie „Hey Boy, Hey Girl“, „Galvanize“ und „Block Rockin Beats“ nicht den Speichelreflex antriggern und die Gliedmaßen unkontrolliert durch die Gegend schmeißen? An diesem Abend kaum. Es mag an der Uhrzeit liegen, oder an der Tatsache, dass die Chemical Brothers ihre Party-Hupen nicht dauernd nach dem unbedingten Willen zur total derben Abfahrt modellieren, sondern mit Geschichtsbewusstsein und Stil schnitzen. Und: Sind das eigentlich tausend kleine Feuerwerke, die da all den ganzen tanzenden und strahlenden Leuten in den Leibern explodieren?
Just Remember To Fall In Love.