Erstellt am: 20. 8. 2011 - 15:44 Uhr
Vom zarten Indiepop zum harten Stadionrock
Das FM4 Frequency Festival 2011
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Das große Ende naht. Die Wasserlachen vom gestrigen Regen sind längst aufgetrocknet, die Müdigkeit verdunstet in der prall scheinenden Sonne. Alles wappnet sich für den großen Showdown nach Sonnenuntergang, die Foo Fighters.
Zu Highnoon gibt es passend dazu einen legendären Revolverhelden auf der großen Bühne.
Es sind zwei Deutsche, die sich unter dem Namen Jack Beauregard gemeinsam auf die federleichte Seite des Pop geschlagen haben. Pär Lammers und Daniel Schaub verzaubern unter dem Namen des Revolverhelden aus "Mein Name ist Nobody", gespielt vom großartigen Henry Fonda, mit ihren butterweichen Synthiesounds, den glitzernden Gitarrenakkordzerlegungen und makellosem Gesang. Wenn bei diesem Konzert, in der brütenden Hitze, irgendjemand etwas auf die große Bühne werfen würde, wären es nicht Bierbecher sondern vielmehr Wattebäuschchen. Schließlich lullen die klassischen, ambientigen und ruhig dahinfließenden Songs richtig ein. Klangperlen wie "Anyone Around" und vor allem "You Draw A Line" können einen trotz der schweißtreibenden Temperaturen kalt erwischen. Verträumt wird von Liebe und Verlust gesungen, der richtige Sound zum aus dem Zelt kriechen und in die Sonne blinzelnd den letzten Festivaltag zu begrüßen.
Eine Fender Telecaster, ein Vox Verstärker und jede Menge Hall. Das allein klingt für sich genommen schon extrem gut. Wenn dann allerdings noch Anna Calvi kraftvoll in die sechs Saiten schlägt, dann erzittert die aufgeheizte Nachmittagsluft. Nicht zu unrecht wurde die englische Musikerin mit großen Musikawards bedacht und ist dieses Jahr auch für den Mercury Prize nomminiert. Die studierte Sängerin lässt in ihren recht komplexen Stücken opernhafte Gesanslinien über tangoartigen Indierock erklingen. Begleitet von druckvollem Schlagzeug und samtigem, indischen Harmonium. Der strenge Blick, die streng zurückgebundenen Haare und das rote Flamenco-Tänzeroutfit tragen ihres zur theatralischen Stimmung bei. High sofisticated für den dritten Nachmittag einer Rockfestivals. Und erfrischend anders. Was wohl die darauf folgenden Hadouken! und K's Choice von dieser außergewöhnlich schrillen, düsteren und extrem erhabenen Performance halten?
Der Planet auf dem Bühnenbanner deutet schon vor dem ersten Bassgewummer an, dass Hadouken! aus einer anderen musikalischen Welt stammen. Ich habe nie Street Fighter gespielt, ich habe keinen Gameboy besessen - ich bringe nicht die richtigen Voraussetzungen mit. Es ist eine brachiale Rave-Party, Hadouken! sind LAUT. Das Publikum ist begeistert, und ich muss an die Kaugummiautomaten aus den späten Neunzehnachzigern denken, die beim Herausdrücken eines grellfarbenen Blombenbrechers mit einem verzerrenden Minichip eine kleine Melodie von sich gaben. Die Tracks von Hadouken! sind genauso spannend, wie das Schulsprecheroutfit von James Smith. Ich halte mich lieber an Does It Offend You Yeah? und The Whip. Die haben bei mindestens genauso viel Wucht und Energie die besseren, gewitzteren und ausgefalleneren Songs zu bieten.
Noch bevor K's Choice einen einzige Ton spielen, widmen die Belgier ihr Konzert den Opfern der Katastrophe beim Pukkelpop-Festival vor zwei Tagen. Danach schleichen sich die rockigen Popsongs eher verhalten heran. Sarah Bettens wirkt ausgeruht und nicht mehr ganz so ungesund dünn wie bei ihren Solo-Auftritten. Und trotzdem ist ihr immer wieder anzumerken, dass sie sich mit dem Singen etwas schwer tut. Am Ende von "Not An Addict" kratzen die Stimmbänder gehörig bei den hohen Gesangspassagen. Aber das tut der Stimmung auf - und vor der - Bühne keinen Abbruch. Es ist großartig zu sehen, wie diese Band nach zwanzig Jahren immer noch so viel Spaß haben kann. Die mehrstimmigen Hooklines und die geschmeidigen Gitarrenriffs gehen ins Ohr, musikalisch bleibt aber nicht viel hängen. Außer dass Anfang der Neunziger eine großartige Zeit für Gitarrenmusik war. Diese Sentimentalität werden mir Panic! At The Disco sicher gleich austreiben.
Den spitzen Schreien in den ersten Reihen nach zu urteilen machen die US-Amerikaner Panic! At The Disco eine gute Figur. Schon als Highschooljunge hat sich Brendon Urie ans Songschreiben gemacht, noch bevor die Twilight Euphorie um sich griff. Wie aus dem Filmplakat entsprungen windet sich der Panic! At the Disco Sänger im grellen Tageslicht auf der Bühne. Seine markante Stimme wird immer tiefer, je näher sich der Prince-große Musiker Richtung Boden verbiegt. Die klassischen Brachialpop- und Barbecue-Punksongs werden durch die ohrenbetäubende Lautstärke derart tief in die Gehörgänge gedrückt, dass noch morgen ein hohes Summen an die aalglatte Show erinnern wird. Ansonsten ist der Gig der amerikanischen Boys nicht sonderlich memorabel. Positiv anzumerken sei noch, dass Brendon bei all den Heiratsbekundungen und Küssen aus dem Publikum sehr freundlich und entspannt bleibt. Na ja, mit Vierundzwanzig hat er wirklich noch Zeit, sich das mit dem Ja-Wort zu überlegen.
Ich bin doch etwas überrascht, wie fett und kompakt Jimmy Eat World ihr Konzert mit dem alten Gassenhauer "Bleed American" eröffnen. Der Song, der schon zehn Jahre alt ist, funktioniert immer noch richtig gut. Ein idealer Anknüpfungspunkt, denn die frühen Stücke von Sänger Jim Adkins zeichnen sich durch eingängige Refrains aus, bei denen man einfach mitwippen muss. Sie galten lange als Blaupause für die nachfolgenden Emo-Bands, die dann das immer kommerzieller werdende Quartett aus Mesa, Arizona überholt haben. So lässt auch im Verlauf des Konzerts die Spannung spürbar nach und die allzu gefälligen, zuckersüßen Harmonien lassen eher ein Gefühl der Gleichgültigkeit entstehen. Ein Phänomen, das bei vielen erfolgreichen US-Rockern zutrifft, die von Album zu Album ihren Sound mehr und mehr produzieren, dicker auftragen und sich schließlich mit großen Gesten selbst zu kopieren scheinen. Trotzdem lassen Jimmy Eat World immer wieder kraftvolle Momente entstehen, wie bei "The Middle" und "Sweetness", bei denen man seinen Gedanken nachhängen kann, wie sich diese Band anders entwickeln hätte können. Zumindest gibt es etwas Zündstoff für das Erwartungsfeuer, das durch das lange Warten auf den Headliner unterschwellig dahinglimmt
Meine letzte Begegnung mit den Ting Tings ist schon ein paar Jahre her. Damals haben sie am frühen Nachmittag die kleine Bühne beim Southside Festival bespielt und mich mit ihrem Plastic-Pop nicht überzeugt. Deshalb hatte ich für diesen späten Slot am letzten FM4 Frequencytag so meine Zweifel. Aber als Jules de Martino mit grauem Kapuzenpulli verhüllt und Katie White im Gwen Stefani-Outfit die Bühne betreten und mit zwei Gitarren einen herrlichen Shoegazer-Sound hinzaubern, sind alle Bedenken verflogen. Zu einem staubtrockenen Drumcomputerbeat lässt das Duo ihre Hüllen fallen. Und wieder provoziert Katie mit ihrem T-Shirt, wenn die beiden Spiegeleier darauf zum Takt der Elektronikbeats hüpfen. All die Ablenkung durch das Bühnenoutfit dauert jedoch nur Bruchteile von Sekunden, denn bei "Great DJ" wird derart ins Schlagzeug gedroschen und ins Mikrophon geshoutet, dass es den Atem verschlägt. Überhaupt ist die Show des englischen Duos perfekt getimt. Jules wechselt manchmal fast unmerklich von Gitarre über den Bass zum Schlagzeug sodass man hinter dem fetten Sound ein kleines Indie-Orchester vermuten könnte. Bei "Fruit Machine" kniet Katie auf einem kleinen Podest und malträtiert zur Belustigung des Publikums ein kleines Loop-Pedal mit ihrer Hand und hast du's nicht gesehen, hat sie schon die rote Noise-Gitarre umgeschnallt und wirbelt von einem Bühnenende zum anderen. Kleines Detail am Rande: Die Knöpfe auf der Gitarre sind sicherheitshalber unter grünem Klebeband versteckt, damit nicht plötzlich ein dünnes Geschrammel zu hören ist. Mit "We Walk" wird dann zum ersten Mal das Tempo rausgenommen. Die ruhige Klaviereinlage von Jules wird gleich live geloopt, damit der Tausendsassa hinter dem Schlagzeug auch noch gleichzeitig Bass spielen kann. Der anschließende Song "Happy Dancer" könnte sowieso programmatisch für den ganzen Gig herhalten. Denn was die Ting Tings sich bis zum Schluss aufgehoben haben, sind "Shut Up And Let Me Go" und "That's Not My Name", die derart dancig und brachial daher kommen, dass dieser Moment schon einmal als vorläufiges Highlight des letzten Tages gespeichert wird. Aber mit Rise Against ist der Countdown schon fast am Ende angelangt.
"Put your fist in the aaaaaaaair!" schreit Tim McIlrath ins Mikrophon und zehntausende Rise Against Fans ballen ihre Hände. Ein beeindruckendes Bild. Und schon rumpeln und polteren die Songs der Hardcore- und Punkrock Band aus Chicago, Illinois(e) mit Lichtgeschwindigkeit dahin. Es wird erbarmungslos ins Schlagzeug geprügelt, die Handgelenke der Saitenmusiker scheinen wie aus Gummi. Alles geht so blitzschnell, dass nicht nur die Akkorde ineinander verschwimmen, sondern auch ganze Stücke. Da macht es schon etwas aus, wenn Tim gegen Ende ankündigt: "This next song is our most quiet one but at the same time it's our loudest. The song is about war!" Aha. Und wirklich, das Scheppern einer Akustikgitarre ist zu vernehmen. Doch dieser Lagerfeuerspuk ist in wenigen Minuten vorbei und dann wird schon wieder brav weitergeknüppelt. Ich bin mir ja nicht sicher, ob das wirklich die Wartezeit bis zu den Foo Fighters verkürzt.