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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 8. 2011 - 23:02

Journal 2011. Eintrag 156.

Wofür es sich zu leben lohnt. Robert Pfaller und die Sache mit dem Alkohol, dem Rauchen und dem Sex.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit ein paar Anmerkungen zu "Wofür es sich zu leben lohnt" von Robert Pfaller.

Hier ein Vorabdruck für den Standard, da ein Interview in der Presse, da Dusini im Falter und da noch das, was die FAZ zu sagen hat; im Bild in der Kulturzeit (auch wenn er dort komischerweise 'Faller' heißt...) und im Ton Im Sumpf

Weil doch gerade eben Eva Glawischnig in den Sommergesprächen zu sehen war - da fällt mir ein, das ich doch schon seit Wochen eine erfreute, mit ein paar Widerhaken versehene Vorstellung/Würdigung von Robert Pfallers neuem Buch "Wofür es sich zu leben lohnt" vorhabe (hier war er/es ja schon Teil der Geschichte), das dann immer wieder verschiebe.
Jetzt aber.

Pfaller strickt in seinem neuen Buch seine Master-These zu den Themen Lust, Genuss und dem gesellschaftlichem Umgang damit fort. Und mir wäre das vielleicht gar nicht aufgefallen, wenn nicht eine Ex-Freundin mich mit dem Hinweis auf die erhellende und gleichzeitig belustigende Qualität dazu angestiftet hätte das jetzt gefälligst zu lesen. Belustigend im Wort-Sinn. Pfaller ist ein freundlicher Autor, einer, der mit seinen Gedanken auch Spaß machen will - und einer, dem das gelingt.

Pfaller steigt mit dem Beleuchtungswechsel ein, der eben noch Vertrautes oder Erstrebenswertes plötzlich bedrohlich werden lässt (indem die Dinge in ein anderen Licht getaucht werden): Alkohol-, Rauchwaren-, Fleisch-Konsum, Sexualität und schwarzer Humor. Anhand dieser fünf Beispiele untersucht er dann den Bedeutungswandel. Dass diese einst mit Lust und Glamour verbundenen Genüsse plötzlich so fragwürdig sind. Deshalb auch die Glawischnig-Assoziation (und auch der Antrieb meiner Empfehlerin): das mit den Vorschreibungen, was das Rauchen betrifft, in all ihren puristisch-lustfeindlichen Anwandlungen.

Der gesellschaftliche Beleuchtungswechsel und die Folgen

Ich habe mein Leben immer mit Raucherinnen und Rauchern, vor allem nächtens in verrauchten Lokalen verbracht - ich habe mir in meiner Lebenspraxis, was Toleranz betrifft, nichts vorzuwerfen.
Dass nicht nur mein Leben, sondern das aller, auch der Raucherinnen und Raucher seit den gesellschaftlich proklamierten Einschränkungen ein besseres, weniger verhustetes und gesünderes geworden ist, das ist nicht wegzudiskutieren. Auch nicht durch den schlauestmöglich formulierten Appell an den inneren Hedonisten.

Da die Hysterie rund um Ver- und Gebote samt Kriegen um die Lufthoheit in Lokalen aber eine absurde Note in sich trägt, kann ich diese Argumentation nachvollziehen.
Dass rund ums Fleischessen, um dutzende mögliche Haltungen zwischen bewusster Ernährung und militantem Fruktarier/Veganertum, auch ziemlich viel verbales und ideologisches Schindluder getrieben wird - unbestritten.

Wo Pfaller in Österreich (nochmal, in aller Ruhe: in Österreich...) aber eine Hatz auf Alkohol-Genuss ortet, ist mir echt schleierhaft. Einzelne mutige Supermarkt-Kassierinnen verweigern die Ausgabe von Schnaps an deutlich unter-12jährig-aussehende Kiddiekids, ja. Mehr ist da nicht. Saufen ist die wahre Bundeshymne, deren Text der von der TV-Kamera gefickte Unterschichten-Depp genauso beherrscht wie die Weinritter von der wirtschaftsmächtigen Tafelrunde, die Afterwork-Erlebnispark-Enthemmerinnen ebenso wie die Damenspitz-Luder der Haute-Volée. Da sind wir tatsächlich alle gleich. Und keiner geniert sich dafür. Die steigenden Verkäufe von alkoholfreiem Bier sind zudem nur jenen zu verdanken, die nix vertragen, aber auch mitprosten möchten.
Den Gestus, gegen den er hier ankämpfen muss, hat Pfaller also entweder erfunden oder aus Privatbeständen überhöht.

Rauchen, ja, Alkohol, hmmm, aber Sex??

Mit dem nicht mehr opportunen "schwarzen Humor" meint er wohl die derbe, satirische, inkorrekte Äußerung - und auch hier habe ich Probleme. Ja, es gibt weiterhin kein österreichisches Äquivalent zu Monty Python oder Little Britain, aber in der Bandbreite, in der Österreichs Schwarzhumoristen seit Qualtinger unterwegs waren, empfangen wir immer noch jede Menge Zoten und Wahrheiten. Für einen bösen Schmäh verkauft auch weiterhin jeder Zuhörer seine Großmutter.

Die größten Probleme habe ich aber mit dem fünften Punkt auf Pfallers Liste der Dinge, die uns eine zu rigide Gesellschafts-Debatte, eine zu securitymäßig denkende Vorschreiberei gepfuigackt hat: der Sexualität.

Denn wann, frag ich mich, war denn das jemals anders, oder gar besser? Wann hat, und da brauche ich mich gar nicht einmal auf Österreich zu beschränken, es im deutschsprachigen Raum jemals einen lässigen, lockeren oder zumindest okayen Umgang mit Sexualität gegeben?

Pfaller stellt, wenn es in seinem Buch auf diesen Punkt zurückkommt, eine Art Gegensatzpaar auf, und holt dabei Hollywood, oder den Film überhaupt zu Hilfe.

In den 60/70ern, sagt Pfaller, war es noch möglich sich am verhalten der Stars zu orientieren (McQueen, Dunaway, Romy Schneider...) - wohingegen in der postsexuellen Welt nur noch die Gagas und Xtinas und ihre Porno-Ästethik überbleiben. Als Futter für die Unterschicht, oder als Status-Symbol für die Flavio Briatores, bestenfalls houellebecqisch verbrämt.

Die alten Filmstars als Waffe gegen das Phänomen Porno?

Da kann ich nicht mit.
Zum einen ist das Phänomen Porno keines der Unterschicht, sondern eines des Mainstreams. Und zwar in sogar stärkerem Maße als die Unterhaltungs-Elektronik, auch was den Kampf um Status betrifft. Über Porno definiert sich nicht einmal Sido.

Zum anderen ist es schofel die "Schuld" an Porno den Exponentinnen einer Popkultur zuzuschanzen, die gar nicht anders kann, als den Mainstream wiederzuspiegeln. Und das wiederum zeigt uns, dass das eine bereits vor dem anderen da war.

Dazu waren Role Models wie Romy Schneider und Co. vor 30/40 Jahren vielleicht globaler gestreut und bekannt - aber warum soll die immense Diversifizierung der Interessen, die in allen Bereichen stattgefunden hat, ausgerechnet hier haltmachen? Wer seine McQueen/Dunaway-Coolness-Vorbilder sucht, findet sie problemlos. Auch das Spiel mit dem Rohen und Primitiven ist nichts Neues - ich kann in Pfallers Denk-Kette keinen Hinweis auf eine "Füher-war-das-aber-echt-besser!"-Phase finden. In meiner Erinnerung im übrigen auch nicht.

Auf wilde Sexualität steht die Todesstrafe

Beim Umgang mit Sexualität krampft die mitteleuorpäische Gesellschaft, seit sie existiert. Wer in dieser Hinsicht irgendetwas lustvoll ausgelebt hat, wurde bestraft. Immer. Auch im Hollywood-Film, wo wilde Sexualität auch in den 60/70ern noch dem dem Filmtod bestraft wurde.

Da man aber nicht einer Meinung sein muss um an den prall formulierten Gedankengängen und verblüffenden Schlussfolgerungen eines lustvollen Schreibers Vergnügen zu finden (nicht einmal Raucher), ist "Wofür es sich zu leben lohnt" genau das, was es sein will: ein Apell an das lustvolle Leben; besser noch: ein Teil davon, die Erfüllung eines nie gegebenen Versprechens.