Erstellt am: 21. 8. 2011 - 15:00 Uhr
Eier, Butter, Bier (1)
Die Bürden der Kunst
Es wird auch weiterhin redlich verzichtet - Allerdings weilt Herr Carnal derzeit in Portugal und hat dort keine Lust, seine Abenteuer zu dokumentieren. Das "Tagebuch zum Jahr des Verzichts" erscheint im September wieder.
Applaus ist einem angestaubtem Saying zufolge das Brot des Künstlers. Er begehrt Liebe, Respekt, Anerkennung, aber auch satte Gagen im Tauschgeschäft gegen die Ergebnisse seiner Inspiration. Doch die vermaledeite Inspiration, diese jähe Eingebung aus dem Nichts, ist weder an Arbeitszeiten gebunden noch in Kreativseminaren oder durch Trimmdich-Pfade zu entfachen.
Vielmehr stellt sich der göttliche Funke just dann ein, wenn man ihn am wenigsten vermutet oder gebrauchen kann. So wartet der Küstler mal hoffnungsfroh, mal verzagt auf die Eingebung, die sich tage- und wochenlang einfach nicht provozieren lassen will, und dann steht sie zu den unmöglichsten Zeiten grell kostümiert und mit Trillerpfeife vor der Türe, läutet Sturm und kräht: „Kuckuck, hier bin ich!“ , denn sie weiß stets zu überraschen.
Nun ist nicht jeder Einfall edler Natur und einer Verbreitung würdig. Den lecker Weizen aus der schalen Spreu zu picken ist mitunter die schwierigste Prüfung für den Künstler, denn Selbstkritik erfordert einen ungetrübten Blick, der geblendet von der eigenen Pracht rasch an Schärfe einbüßt. So wird die Skepsis dem eigenen Schaffen gegenüber nicht selten stetig geringer. Feist und zufrieden von Akklamation, Ehrungen, Preisen und Verkaufszahlen wird immer weniger verworfen und gestrichen, bis am Ende jeder Rülpser publiziert wird.

marc carnal
Wie schön muss es dagegen sein, einem ertragreichen und erfüllenden Beruf nachzugehen, in dem keinerlei Kreativität gefordert ist! Nach Feierabend überlegt man, welche Erledigungen noch anstehen, kauft dann Bier und Senf, um das Bier zur Abwechslung abenteuerlich zu würzen, holt den E-Schlüssel endlich vom E-Schlüsselmacher ab und erfreut sich schließlich an der zauberhaften Dada-Miniatur „Tank / Bank“, die man nur für einen selbst auf die Einkaufsliste schreibt, ohne damit die gierigen Mäuler eines Millionenpublikums stopfen zu müssen.
In nur neun Zeichen bringt die minimalistische Lyrik die großen Übel unseres Erdenrunds meisterhaft auf den Punkt und bleibt dabei trotz der mahnenden Tonart auf verspielte Weise unterhaltsam.
Beglückt ob der plötzlichen Inspiration gleitet man nach einem Dutzend Senf-Bieren schließlich selig in die Daunen und ist froh, kein Künstler zu sein.
Am 19. Oktober findet im Café Schmid Hansl die Lesung "Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz" statt.
Ausbleibende Inspiration oder ein selbstunkritische Auslese des eigenen Schaffens sind aber nicht die einzigen Bürden des Künstlers. So gilt es beispielsweise auch, es mit der Kunst zu erheblichem Wohlstand zu bringen, um zwischendurch Kreuzfahrten zu absolvieren oder in Rosinen zu baden.
(Rosinenbäder sind zwar noch kein gängiges Sinnbild für Reichtum, diese meine mit Sicherheit lohnende Geschäftsidee, derlei Spa-Spaß den oberen Zehntausend anzubieten, darf an dieser Stelle jedoch keinesfalls unerwäht bleiben.)

marc carnal
Reichtum, welch prächtiger Segen! Doch ein satter Verdienst ist nicht genug. Nur wer mit Bedacht hauszuhalten vermag, erfreut sich regelmäßig am prächtigen Kontoauszug. Auch Millionen sind schnell verhurt und versoffen. Deshalb achte man auch als Künstler darauf, beim eigenen Lebensstil nicht in der eigenen Zunft anhaftenden Klischees zu tappen und nach dem Koks-Frühstück die Nutten im Flur an den Ohrwascheln zu packen, um sie brutal vor die Tür des MTV-Reportagen-tauglichen Anwesens zu setzen, sondern kühl zu kalkulieren und nach Möglichkeit zu sparen.
Ohne über betreffende Statistiken zu verfügen, kann man sich ausmalen, dass die meisten Millionäre nicht durch Lotteriegewinne, Börsenspekulationen oder Firmenfusionen zu ihrem finanziellen Glück gelangt sind, sondern durch eherne Disziplin und sorgsames Erbsenzählen.
Das verdächtig runde Saldo von Hundertvierzigtausend Schilling (in Worten: Hundertvierzigtausend Schilling) spart man womöglich auch mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen, wenn man selbst Kontoauszüge aufbewahrt und sie säuberlich zerschneidet, um auch noch zehn Jahre später darauf seine Einkaufslisten zu notieren.