Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Monumente des Verfalls "

Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

21. 8. 2011 - 20:40

Monumente des Verfalls

Ein Spaziergang durch den Flushing Meadows Corona Park in Queens. Oder: Zu Besuch in der Vergangenheit der Zukunft.

US Open und Weltschauen

Bald fliegen hier wieder die Tennisbälle. Entsteigt man dieser Tage dem 7-Train der New Yorker U-Bahn, trifft man auf jede Menge Jungvolk in blauen Jerseys mit dem Schriftzug „US Open“ am Rücken. Jenseits der Subway-Station protzt das neue Stadion der ewigen New Yorker Baseball-Underdogs Mets. Dieseits der Tracks, in direkter Nachbarschaft zu der Remise des 7ers mit dem nickname „International Train“ (der oberirdisch geführte Zug von Manhattan nach Queens passiert zahlreiche ethnisch geprägte Communities) finden im Billie Jean King National Tennis Center ab 29. August wieder einmal die US-Open statt. Die adrett gekleideten Mädchen und Burschen sind wohl zum ball person-Training angerückt.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Eine lange, sanfte Rampe führt von der 7er-Station in den Flushing Meadows Corona Park, der anlässlich der Weltausstellung 1939 angelegt wurde. Der umstrittene und äußerst nachhaltige Stadtplaner Robert Moses leitete die Umwandlung der einstigen Müllhalde (aka „Valley Of Ashes“, Scott Fitzgerald in "The Great Gatsby") in eine Expo mit dem Vesprechen, den Besuchern eine „World Of Tomorrow“ zu präsentieren.

Zeitkapseln

Am Fuß der U-Bahnrampe beginnt dann auch bereits die Vergangenheit der Zukunft. Wir stoßen auf ein versiegeltes, unter einer Plakette eingearbeitetes Archiv der Menschheit aus dem Jahr 1964, aus jener Zeit also, als die zweite Weltausstellung in Flushing Meadows stattfand. Der „Nachwelt“, in der Fantasie der damaligen Zeit nicht selten ein Synonym für exterrestrische Besucher, sollen in dieser Zeitkapsel kulturelle und technologische Errungenschaften der Menschheit erhalten bleiben, darunter eine elektrische Zahnbürste, Beatles-Schallplatten und Kent Filterzigaretten. Laut Anweisung der seinerzeitigen Austellungsbetreiber darf die Kapsel erst im Jahr 6964 geöffnet werden. It’s a Mad Men’s world.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Im Gegensatz zum Vorgänger, der tiefe Spuren in der Fantasie der Zeitgenossen hinterließ, die Science Fiction befeuerte und erste Samen für die künftige Popkultur streute, gilt die Expo 1964 als kurativer Flop. Wieder von Moses überwacht fand sie ohne Unterstützung des in Paris ansässigen Weltverbandes zur Vergabe der Weltausstellungen (BIE) statt. Befreit von Auflagen und Beschränkungen, hielten sich die Betreiber zwar grundsätzlich an die Leitlinien, dehnten jedoch aus finanziellen Erwägungen die Laufzeit über das übliche Maß aus und verkuppelten den Bildungsauftrag der Expo mit den Interessen großer Amerikanischer Corporations wie IBM, Disney und Coca Cola, was durchaus dem Zeitgeist der florierenden Warenwelt und der zu erweckenden Konsumbedürfnisse entsprach. Natürlich hatte auch die noch junge Raumfahrtsbehörde NASA ihre big time bei der Expo 1964.

In Vorgriff auf die Globalisierung ersetzten die Corporations viele der abwesenden Nationen. Jene blieben der Weltausstellung aus Loyalität zur BIE fern – darunter auch die Sowjetunion. Das Werben um die Gunst der Wirtschaft ging so weit, dass Moses und sein Organisationskomitee den begleitenden Amusement Park in eine schwer zugängliche Randzone des Geländes schoben, um das Publikum an die Pavillions der Großindustrie und deren Edutainment-Programme zu binden.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Dennoch ist die Expo 64 vielen Babyboomern bis heute in guter Erinnerung. Kindliche Begeisterung paarte sich wohl ein letztes Mal mit einem naiven, völlig unkritischen Fortschrittsglauben, wie er noch für die Moderne typisch war. Obwohl die großen gesellschaftlichen Umbrüche und Konflikte der sechziger Jahre bereits begonnen hatten, schien das Unheil der Welt für das Gros der mittelständischen US-Bevölkerung noch so weit weg, wie ein seltsames, kleines Land in Südostasien, dessen Namen mehr und mehr in die Nachrichten drängte. Mit dem ideologischen Feind des Kalten Krieges war man zwar schon einmal an den Rand des nuklearen Abgrunds getaumelt, aber irgendwie machte der Expo-Slogan „Peace Through Understanding“ Hoffnung auf einen Frieden qua Verständigung, der sich über den technischen Fortschritt irgendwann einstellen musste und doch in den Folgejahren nicht einmal im eigenen Land aufrechtzuerhalten war.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Wie beim verschwenderischen Konzept einer Expo üblich, wurden die meisten Pavillons nach Beendigung der Weltsause abgerissen. Der Disney-Konzern, der einige der Corporation-Exhibits gestaltet hatte, implimentierte seine Konstruktionen in das betriebseigene Amusement-Angebot, von denen zwei ("It’s A Small World" und "Great Moments With Mr. Lincoln") bis heute in Disneyland in Kalifornien in Betrieb sind.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Heute fristet der Flushing Meadows Corona Park ein beschauliches Dasein, da er nur wenige Touristen anlockt und hauptsächlich von den Latinos, Chinesen und Koreanern der umliegenden Communities besucht wird. An den Wochenenden verwandelt sich das Grün in einen Flickenteppich aus Fußballplätzen, wo gleich mehrere „Copa América-Turniere“ ausgetragen werden.

Von der Expo 1964 sind nur noch wenige Konstruktionen übrig. Am bekanntesten ist die Unisphere, ein „geisterhafter Globus, durchsichtig und bar jeden Inhalts“, wie der niederländische Architekt Rem Koolhaas in seinem Standardwerk „Delirious New York“ ätzte, „Wie verkohlte Schweinskoteletts klammern sich die Kontinente verzweifelt an den Kadavar des Manhattanismus“.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Doch schon die Zeitgenossen der Expo 64 fanden nur wenig Liebe für die Architektur der Weltausstellung, wie man diesem launigen, sehr frühen Farb-TV Feature der NBC entnehmen kann. Interessant an Edwin Newmans Report ist die Beschwerde über den retrofuturistischen Charakter vieler Pavillons, der ihn an trashige Sci-Fi Serien seiner Kindheit wie etwa Buck Rogers erinnern würde. So frisch wie es der aktuelle Diskurs erscheinen lässt, ist also der Einwand gegen die Retrokultur keinesfalls.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Ausdrücklich ausgenommen von seiner Schmähung hat Newman den New York State Pavillon, der wiederum aus heutiger Sicht retrofuturistisch as can be wirkt. Die pilzförmige Architektur der Aussichtstürme erinnert an die futuristische Wohnstätte der TV-Comic-Familie The Jetsons. Die Space-Saga lief 1962 im US-Fernsehen und projezierte das Leben einer typische American middle class family in das Jahr 2062. Die Stadt der Zukunft, sie sollte förmlich über der Erde schweben. Darunter das „Tent Of Tomorrow“, eine ellipsenförmige Konstruktion, die von außen wie eine Arena aussieht und im Inneren eine begehbare Landkarte des Bundesstaates New York als Topographie einfasste. Teile des von Stararchitekt Philip Johnson gebauten Pavillons sollten später in das World Trade Center integriert werden. Diese Pläne wurden allerdings später verworfen.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Obwohl der Johnson-Bau 2009 in das National Register Of Historic Places aufgenommen wurde, befindet sich der Pavillon in einem erbärmlichen Zustand. Einzig das Theaterama, der kleinste Teil der Konstruktion, ist noch in Betrieb. Der Rest ist ein verrostendes, faszinierendes Monument des Verfalls und erinnert an die Schlussszene des ersten Planet Of The Apes – Films aus dem Jahre 1968, als der Titelheld, ein gestrandeter Austronaut, der sich auf einem fernen Planet wähnt, plötzlich die im Sand versunkene Freiheitsstatue entdeckt und erkennt, dass sich die Menscheit selbst vernichtet hat. Von da an geht es hinab in die Forbidden Zone, in das versunkene New York, der Haupststadt des nun in Trümmern liegenden Amerikanischen Traums.

Flushing Meadows Corono Park, World's Fair, Weltausstellung, Retrofuturismus, New York, Subway

Christian Lehner

Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse kann man der Symbolik, die von der Ruine des einst kühnen Zukunftsentwurfes ausgeht, durchaus aktuelle Relevanz beimessen. Noch immer hoch in Richtung Sterne aufschießend erodiert ein überkommener Traum während ringsum die Zukunft Fußball spielt.