Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Im Floh-Zirkus"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

19. 8. 2011 - 17:40

Im Floh-Zirkus

Something Golden mit The Bewitched Hands, Friska Viljor und LCDMD beim FM4 Frequency

Das FM4 Frequency Festival 2011

Gar so leicht haben es die Bewitched Hands nicht. Die vermutlich spannendste Band, die am Freitag die Green Stage bespielen wird, muss die Bühne eröffnen. Bei Regen und merkwürdigerweise ohne auf der offiziellen Website im Timetable eingetragen zu sein. Das französische Sextett hat mit seinem Debüt-Album eine der erfreulichsten - schon wieder - Überraschungen des Musik-Jahres vorgelegt: "Birds & Drums" ist eine munter durcheinanderpurzelnde Platte, auf der windschief aus der Jeansjacke geleierter Folk-Rock, Power-Pop an drei Gitarren und hippieske Chor-Gesänge gut zueinanderfinden. Und manchmal sehr schön gar nicht zusammenpassen. Auch live ist die Darbietung von The Bewitched Hands ein ziemlich wild aufgeschüttelter Flohzirkus. Zwei Leadsänger und eine Leadsängerin, Tamburin-Gerassel und sich übermütig umspielende A-Capella-Passagen sind meistens ein Grund zur Freude - das weiß die Band. Die Songs werden etwas krachiger und ungehobelter aus den Instrumenten geklopft als auf Platte und bewegen sich zwischen den wunderhübschen Fistelstimmen-Melodien eines Neil Young und den Gitarren-Kaskaden von dessen bärtigen Indie-Nachfahren der Gegenwart wie beispielsweise den glücklicherweise nie totzukriegenden Built To Spill. Ein paar Leute sind auch schon da, nach deren Reaktionen zu urteilen, dürften nicht wenige von ihnen später die Suchmaschine bedienen, um herauszufinden, wer denn diese lustige und gute Band gewesen sein mag.

Es bleibt interessant und wird wesentlich voller vor der Bühne. Friska Viljor ist eine Band aus Schweden, man kann das nachhören. Möglicherweise auch sehen. Die komplett bärtige Band erscheint mehr oder weniger einheitlich in schickes Schwarz-Weiß gekleidet. Friska Viljor bauen bestens gelaunten Indie-Rock, der auch schon viel von The Cure gehört hat - in deren Mittelphase, als das Leben schon bunt war und jeden Freitag Verliebtsein angesagt. Die allesamt supercatchy daherkommenden Stücke ziehen nicht selten einen großen Reiz aus den mehrstimmig vorgetragenen "La-la-la"s und "Oh-oh-oh"s, ohne die fast kein Song auskommt und vom Publikum schnell als Mitmachfachktor erkannt werden. Der Mann an den Tasten holt wahlweise beschwingte Honky-Tonk-Momente oder 60s-Beatmusik-Orgelei aus seinem Instrument, die Stimmen der beiden Fronmänner Daniel Johansson und Joakim Sveningsson schwingen sich hoch, überschlagen sich und brechen auch gerne wohltuend weg und versehen das Popkunsthandwerk von Friska Viljor glücklicherweise mit ein paar Schrammen. Die Menschen sind jetzt schon glücklich.

Yodelice, da weiß kein Mensch was drüber. Der französische Musiker ist mit drei-köpfiger Begleitband unterwegs. Mit Zylinder auf dem Kopf, Feder am Hut, Fantasie-Uniform und Clock-Work-Orange-Schminke im Gesicht sehen die Herren ein wenig so aus, als wollten sie eine Band wie die Tiger Lillies oder im weitesten Sinne "Cabaret- Punk" nachstellen. Ein Cello und bedeutsames Gestikulieren gibt's auch. Tatsächlich aber entsteht bei Yodelice ein zähflüssiger Blues-Rock mit großer Theatralik. Der Frontmann und Namensspender würgt mit geschlossenen Augen die Gitarre und lässt seine Zungenspitze zwischen den Lippen tänzeln. Insgesamt bewegen sich Yodelice hart an der Grenze zu Post-Grunge-Untaten wie Nickelback oder Puddle of Mudd. Vor allem dann, wenn Herr Yodelice die Vokale infernalisch dehnt und so schön knödelt bzw., Verzeihung, jodelt wie der Sänger von Creed.

"Das ist unser offizieller Song gegen Atom-Energie!" sagen die Herren von Irie Révoltés, "Gebt Uns ein 'Abschalten!'". Was kann man von einer Band namens "Irie Révoltés" erwarten? So etwas wie Seeed Light, oder zwei Stufen weiter unten, Culcha Candela Light? Ein bisschen. Eine Band, die über die Klischees von Reggae-Haube, Bob-Marley-T-Shirt und das Recht auf Hanf hinausgeht? Durchaus. In musikalischer Hinsicht ist das, was die vielköpfige Combo aus Heidelberg da am frühen Abend auf die plötzlich wieder sonnenbestrahlte Bühne stellt, mitunter sehr ansprechend. Drei MCs, eine Saxofonistin und ein Posaunist, plus klassisches Band-Instrumentarium kreuzen traditionelle Ska-Elemente und HipHop mit teils moderneren Ansätzen von digitalem Dancehall. Eine Mischung, die an sich wohl bloß noch im Bierzelt als revolutionär gelten darf, im Falle von Irie Révoltés aber tatsächlich noch mit Überraschungen aufwarten kann und sehr "gut gemacht" ist. Nicht selten ist bei derlei Musik der Text das Problem. Irie Révoltés sind ausdrücklich politisch und richten ihre Musik beispielsweise gegen - man ahnt es schon - Konsumgesellschaft, genormtes Leben, das Leben als Wettlauf, Zeit ist Geld etc. In jedem Maße unterstützenwerte Absichten, auf jeden Fall, bei Irie Révoltés aber häufig in der Machart einem Kalenderblattspruch von Thomas D. nicht unähnlich. Dass so eine Musik auf einem Festival IMMER funktioniert, soll nur am Rande hinzugefügt werden. Babylon muss fallen.

Der Frequency Videoblog
Mit Deichkind, Kasabian, Effi und euch, den BesucherInnen!

Die englische Band Feeder bedient sich seit gut 15 Jahren und über mittlerweile sieben Alben hinweg am Muster der guten alten Leise/Laut-Dynamik zwischen sachte gezupfter Gitarre und dem Tritt aufs Verzerrer-Pedal im Andenken an die Pixies und die Smashing Pumpkins. Das ist mäßig originell, wirft ein paar okaye Nummern ab und erfüllt den Zweck ein Publikum bei einem Live-Konzert nach Formel zu rocken. Am Schluss covert die Band das Stück "Breed" von Nirvana. Na gut, hätte ja auch "Smells Like Teen Spirit" sein können. Es folgen Mono & Nikitaman. Dass das sehr ankommt, ist kaum überraschend. Die Mischung aus Reggae und Pop funktioniert auf einem Festival IMMER.

Dann kommt der Regen. Und auch bald schon das Streicher-Metall von Apocalyptica. And Nothing Else Matters, daaaam! daaaam! Vielleicht nicht der einzige Grund, die Weekender Stage aufzusuchen. Es gibt ein Dach und außerdem einen der unterhaltsamsten Auftritte des Festivals zu erleben, nämlich jenen von Le Corps Mince De Francoise, kurz LCDMD. Die zwei finnischen Schwestern Kemppainen und ihr Drummer im zum Sound gehörenden Adidas-Anzug haben mit ihrer Verquirlung von Synthie-Pop, ein paar Tupfern Manchester-Rave, Indie und Fly-Girl-Attitude den Saal gut in der Tasche. "Fuck, I’m Having So Much Fun!", kann man sie ins Mikrofon sprechen hören, und, als sie der riesenhaften Ein-Liter-Bier-Humpen ansichtig werden, die von nicht wenigen in die Luft gereckt werden: "We’ll Have Some Beers With You After The Show." Die Darreichung von Disco-Beat und Bubblegum-Pop funktioniert ohne großen Aufwand mit Halb-Playback, ein bisschen Knöpfchendrehen, Gitarre und Schlagzeug bestens, nicht zuletzt dank Aerobic-hafter Dance-Moves und der Zwiegesänge der beiden agilen Frontfrauen. Der Hit „Something Golden“ ist nach wie vor der Hit in einem quasi nur aus Hits bestehenden Set. Hier wird keine neue Welt aus den Angeln gehoben, hier bekommt man bloß von Menschen, denen man ohne lange zu überlegen seinen Goldfisch anvertrauen würde, die knisternden Freuden guter, simpler, aus violetten Leggings bestehender Popmusik vorgelebt. Mit Ansteckungsgarantie. Den Abschluss in der Weekender Stage machen an diesem Abend die Rifles aus London. Solider Gitarren-Rock aus der Schule Paul Weller. Man muss ja auch langsam wieder runterkommen von dem ganzen quietschfidelen Tanztheater.