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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

19. 8. 2011 - 15:48

Dicker Rock und dicke Wolken

Drohendes Gewitter bei dröhnenen Gitarren. Und einem ersten, frühen Highlight von The Kills, verregneten Elbow und druckvollen Kasabian. Und zum Abschluss Remmidemmi mit Deichkind.

Das FM4 Frequency Festival 2011

Am zweiten Tag herrscht oft etwas Katerstimmung. Dementsprechend lange dauert es, bis alles ins Rollen kommt. Kleinere Windböen streichen über das Gelände, alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird abgenommen, alle Fahnen eingezogen, denn falls tatsächlich noch schlechtes Wetter oder gar Unwetter nach St. Pölten zieht, wollen die Veranstalter bestmöglich darauf eingestellt sein. Aber bis auf ein wenig Wind und dunklen Wolken ist noch nicht viel passiert.

So tut sich die Eröffnungsband Angel At My Table schwer. Nur langsam tröpfeln die Leute ins Gelände, zeitgleich mit dem ersten, noch sanften Sprühregen. Dabei ist die junge Band aus Luxemburg wirklich ambitioniert. Frontfrau Joelle schafft es, die zwanzig Menschen vor der Bühne zum Mitsingen zu bringen, wenn auch nur kurzzeitig. Musikalisch ist das Ganze recht vorhersehbar. Man nehme einen Mixer und werfe ein wenig Foo Fighters, Guano Apes und Skunk Anansie hinein, streue noch eine Popprise Christina Aguilera drüber und schließe das Gerät an Starkstrom an. So hat sich das Quintett gegenüber vielen Konkurrenten bei Bandcontests durchgesetzt. Ob das reichen wird? Zumindest für heute reicht es.

Der Frequency Videoblog
Mit Deichkind, Kasabian, Effi und euch, den BesucherInnen!

Selbst wenn der Grazer Effi bei seiner ersten Nummer unerbittlich von der Sonne singt und seine Rhythmen eher für einen nachmittäglichen Badeausflug taugen, stehen die Fans weiterhin im Regen vor der Bühne. Getanzt wird trotzdem. Mit den zwei Live-Musikern Roland Hanslmeier und Martin List rockt Effi in seiner charmanten und zurückhaltenden Art selbst die große FM4 Frequency Bühne. Wie schon dieses Jahr beim Donauinselfest überzeugen die locker flockigen Popsongs auch in St. Pölten viele Menschen, die alle rechtzeitig zum Mitshaken aufgetaucht sind. Animiert werden sie dazu vom kleinen Astronauten, mit dem Effi ein kleines Tänzchen gibt. Und vielleicht siegt ja der Effi-Pop über die dunklen Wolken, wer weiß.

Für die in Holland feststeckenden The View sind kurzfristig ihre Freunde Marner Brown eingesprungen. Sie stammen aus Twickenham, sechzehn Kilometer südwestlich von London. Die Vorschusslorbeeren sind beachtlich. Von der heimischen Presse gefeiert und von Ocean Colour Scene mit auf Tour genommen spielen Fiachra Kerrigan, Aaron A Grimes, John Wildgoose, Jacob Hollebon und Cozi Kerrigan ihre klassichen Rocksongs mit Präzision und Genauigkeit. Dabei bleibt jedoch etwas die Dynamik auf der Strecke. Angesiedelt irgendwo zwischen Stereophonics und den Kings Of Leon lassen Marner Brown gerne Led Zeppelin Referenzen aufblitzen oder ergehen sich in speedigem Rock'n'Roll, der sowohl für das Kurz- als auch Langzeitgedächtnis eindeutig zu schnell vorüber rauscht. Dafür haben die sympathischen Engländer die Wolken weggeblasen und geben Hoffnung auf Blauen Himmel und Sonnenschein. Das wäre natürlich perfekt, gilt doch unsere volle Aufmerksamkeit bald dem gleich kommenden Duo The Kills.

Ein dunkler, verrauchter Club, eine Open Air Bühne umhüllt von schwarzer Nacht oder zumindest ein lautes Gewitter, das den unglaublich großartigen Krach von The Kills begleitet, so hätte ich es mir vorgestellt. Aber selbst bei Sonnenschein blasen Alison Mosshart und Jamie Hince mich gleich mit dem ersten Song "No Wow" um. Das einzige Gewitter kommt von der brachialen Drummachine, das mit den geloopten Gitarrenriffs zum Noisesturm der Extraklasse heranwächst. Alison Mossharts exaltierte Show hat keine Bewegung zuviel, wirkt nie aufgesetzt, verstärkt mit jedem Moment die pure und direkt in die Beine schießende Energie des Duos. Bei "Heart Is A Beating Drum" schnallt sie sich selbst die Gitarre um, wobei mit jeder schwungvollen Drehung, bei der die Haare durch die Luft wirbeln, sich Alison mehr und mehr mit dem weißen Gitarrenkabel selbst fesselt. Die punkige und krachige Show wird mit "Kissy Kissy" in die unwiderstehlich verschleppte Bluesecke getrieben, bei der das Duo - beide mit ihren Sechssaitern bewaffnet - vor dem Mikrophon auf Tuchfühlung geht. Nasenspitze an Nasenspitze grinsen sich Alison und Jamie an, bis letzterer die tief hinunter gepitchte Gitarre derart quält, dass selbst die Verstärkerröhren aufjaulen. Nur unterbrochen von kurzen "Thank You" legen The Kills gleich mit dem neuen Stück "DNA" nach, ein herrlich dahinstolperndes Popmonster, das beweist, wie viel Gefühl das Duo für Melodien hat, selbst wenn die Songs von The Kills immer wieder sich zu kunstvoll lärmigen Klanggemälden steigern. Nach rund vierzig Minuten ist der schöne Blues-Noise-Punk-Pop-Spuk leider schon vorbei. Was bleibt sind die rauchenden Verstärker, summende Ohren und offene Kinnladen.

Ob die bei den Crystal Fighters wieder hochklappen werden?

Die Kinnladen bleiben definitiv unten. Denn mit mörderlautem Bass fegen die Crystal Fighters wie ein Wirbelwind über die Bühne. Erstaunen und Verwirrung macht sich beim irrwitzigen und absurden Stilmix der englisch/spanischen Dance-Indie-Band breit. "Solar System" ist als Startschuss die ideale Nummer. Die Dancebeats brettern über die Köpfe des Publikums hinweg, das nach anfänglichem Schrecken extatisch mithüpft. "Champion Sound" und "Follow", die auf Platte eher im quiet mellow Bereich der Band angesiedelt sind, werden live zu druckvollen Partykrachern. Dass da die Singles "I love London" und "In The Summer" zu Rockmonstern werden, erklärt sich von selbst. Wenn hier ein Stadion rund um die Bühne gebaut wäre, würden wohl in diesem Moment die Feuerwerkskörper gezündet werden. Einzig "Plage" wirkt wie eine Verschnaufpause. Aber auch da wird mächtig auf die Tube gedrückt. Über die Dauer eines ganzen Konzerts ist das schon eine Spur dick auf den manchmal differenzierteren Sound der Crystal Fighters aufgetragen. Man kann es ihnen jedoch nicht übel nehmen, schließlich soll hier auf der großen Bühne kräftig abgerockt werden. Und das machen die "Stars Of Love" besser als manch ausgewiesene Hardrockband.

"Ihr seid extrem gutaussehend" meinen die heimischen 3 Feet Smaller. Grund zum Einschleimen hat die Band, die schon eine Dekade auf dem Buckel hat, nicht. Der Erfolg scheint der in einer Zeitblase gefangen steckenden Pop-Punk-Formation Recht zu geben. Der von Offspring und Green Day vor über zwanzig Jahren injizierte Virus treibt in vielen Großhirnrinden noch immer sein Unwesen. Daher können die gar nicht so kleinen Herrn mit gutem Gewissen ihren Funpunk über das Arme hin und her schwenkende Publikum brettern lassen. Auch wenn es gut funktioniert, mich lässt das kalt. Wobei zwei Highlights gab's selbst für meiner Einen. Ein Typ, der ein Schild in die Höhe hält, auf dem steht: "Ich halte ein Schild in die Höhe", sowei eine nette Gruppe junge Leute, die ihre pink angezogenen Baby-Puppe im Takt zu 3 Feet Smaller Headbangen lassen.

Passend zum wunderschönen Sonnenuntergang eröffnen Elbow ihr Set mit der sich langsam aufbauenden Nummer "The Brids". Ein Streichquartett unterstützt die Fünf aus Manchester, ein teures Unterfangen auf einer Sommer-Festival-Tour, das sich diese großartige Band jedoch leisten kann. Als Kritikerlieblinge, Mercury Prize Gewinner und "alte Haudegen" stehen Elbow dieses Mal auf einem großen österreichischen Festival zur Prime-Time auf der Bühne. Das rockige "Bones Of You" lässt die lautere Vergangenheit aufblitzen und mit "Mirrowball" legt Sänger Guy Garvey gleich mit dem ergreifend poetischen Stück nach, bei dem der Mond zur Diskokugel und die Stadtsirenen sich in Violinmelodien verwandeln. Die neue Single "Neat Little Rows" zieht die Geschwindigkeit wieder an, während hinter und neben der Bühne schon die Blitze zucken. Als die eingeschworenen Fans wütend Richtung Himmel zeigen, stimmt Guy spontan mit dem Publikum einen Anti-Gewittersong an, aus dem sich dann der Mitsingchor von "Grounds for Divorce" herausschält. Doch all der f***ck the clouds sing along nützt nichts und als bei dem schwer stampfenden Trauermarsch von "The Loneliness of a Tower Crane Driver" der Platzregen einsetzt, wird das Konzert abgebrochen. Kleine Seen bilden sich auf der Bühne und selbst nachdem die Schauer vorbei sind, muss gewartet und viel gewischt werden. Schlussendlich bleibt nur mehr Zeit für einen Song. Welcher wäre da treffender, als der Situation mit dem hymnischen "One Day Like This" zu trotzen. Schade. Es soll anscheinend irgendwie nicht sein, mit Elbow und österreichischem Festival. Trotzdem, einen schönen und vor allem intensiven Moment haben uns Guy und seine Band geschenkt.

Es ist der längste Schlagzeugsoundcheck, den ich bei einem Festival je mitbekommen habe. Kasabian scheinen wirklich sehr, sehr, sehr viel Wert auf ihren Live-Sound zu legen, etwas, was beim Arena Open Air Konzert letztes Jahr nicht so ganz hingehauen hat. Das lange, ermüdend monotone Trommeln und Feilen an Gitarren- und Bassklang hat sich ausgezahlt. Die Band aus Leicestershire rollt ihren dicken, wuchtigen, roten Soundteppich aus. Druckvoll massieren die Rocksongs die Magengegend, die Keyboardflächen schimmern wie ein hypnotischer Spiralnebel am Sternenhimmel und Gitarrenwände türmen sich vor dem Stroboskopblitzlichtgewitter auf. Bombastisch und zugleich surreal wirkt die dick aufgetragene Show von Kasabian. Dabei schaffen es die Engländer mit unterkühlter Lässigkeit, das Abdriften in Klischee und Kitsch mit harmonischen Twists zu umschiffen. Auch der neue Song "Days Are Forgotten", der auf dem im September erscheinenden Album "Velociraptor!" drauf sein wird, ist da keine Ausnahme. Das wirklich clevere Arrangement inklusive des eingängigen Refrains machen aus diesem Stück einen prädestinierten James Bond Titelsong. Der meist wie ein arroganter Gockel herumstolzierende Frontman Tom Meighan zeigt sich zumindest in der ersten Hälfte des Gigs zurückhaltend und widmet den Gassenhauer "Shoot The Runner" gleich mal seinen Kumpels von The View. Dreckiger wurde heute Rock'n'Roll wohl nur von den Kills dargeboten. Aber bei all dem Pathos bleibt auch noch Zeit für leisere Momente, wie "Thick as Thieves", das sehr an "People Are Strange" von den Doors erinnert. Und da wir gerade bei akustischen Assoziationen sind, "Underdog" ist mit seinen Strophenakkorden derart entertaining, das sich selbst Robbie Willams davon unterhalten lassen würde. Kasabian lassen die Zügel immer lockerer bis aus einer wütend stampfenden Marschmusik mit Trompete das Pulp Fiction Thema "Misirlou" die Ohren betäubt. Tom Meighan scheint derart gut aufgelegt und wohlwollend gestimmt, dass er auch Klassiker wie "LSF" ins ausufernde Programm packt. Ein fulminantes Konzert, das einen auf das Remmidemmi danach gut vorbereitet hat.

Eine weiße Leinwand, verhaltene Beats, die nur ab und zu die volle Wucht der tiefen Frequenzen erahnen lassen, sphärische Klangschalen klingeln durch die Nacht... Deichkind erwacht. Dazu braucht es mehr als fünf Minuten des außerirdischen Intros, bis "Arbeit nervt" mit all seiner revoluzzerischen Energie auf die zehntausenden Fans losgelassen wird. Ein menschlicher Vogel schwebt von der Bühnendecke herunter während die durchgeknallten Hamburger Hip-Hop-Electro-Wunderwuzzis auf und ab gehen. Auch diesen Sommer machen wir mit dem Headliner Urlaub vom Urlaub, inklusive bodenturnerischem Fitnesshüpfen. Und wenn ihr alle brav mitmacht, dann wird vielleicht auch bei Euch ganz öffentlich und im wahrsten Sinn des Wortes der Bauch gepinselt. Erholungspause gönnen uns Deichkind aber keine. Nahtlos fügen die Pyramidenköpfe ihre duchgestylten Klamaukeinlagen aneinander. Trampolinspringend wird der Aufstand im Scharaffenland vollzogen. Auch wenn man ihn schon kennt macht der neonfarbene Techno-Aktionismus immer noch eine Menge Spaß. Und jedem geht es gut dabei, wenn er dicht gedrängt den Ertüchtigungsanweisungen der Konsenspartyböllerband Folge leistet. Manch hartgesottener Fan mag diesen Abend nur als Aufwärmrunde sehen, bei dem man mit dem schon bekannten Luftbahn durch die laue Nacht schippert. Denn für 2012 kommt der "Befehl von ganz unten". Mit neuem Album dann auch vielleicht mit neuer Bühnenshow. Dagegen hätten wir sicher nichts einzuwenden. Bis es soweit ist, gehen Deichkind beim FM4 Frequency 2011 wie gewohnt ans Limit.