Erstellt am: 19. 8. 2011 - 21:50 Uhr
Die Zukunft im September
„In diesem Kampf verlaufen die Fronten heute nicht zwischen Israelis und Palästinensern, sondern zwischen denen, die nicht bereit sind, sich mit der Verzweiflung abzufinden, und denen, die sie in eine Lebensform verwandeln wollen.“ (David Grossmann)
Die letzten Tage vor

(c) Clara Trischler
Am 20. September 2011 wird die UN entscheiden, ob es einen palästinensischen Staat geben soll, oder nicht. "Bricht da gerade der große Frieden an oder spüren wir die ersten Sprenkel einer großen, gewalttätigen Umwälzung?", frage ich noch vor ein paar Tagen den israelischen Aktivisten Itamar. Der antwortet, er habe in seinem Leben schon zu oft auf solche Momente gewartet, aber ja, es könnte der Anfang von etwas werden. "The tents, and all that, you know. I try not to be cynical."
Bilder dazu: nytimes.com
Die Ruhe, mit der ich vor dieser Entscheidung der UN, in europäischer Naivität, gerechnet habe, wurde in den letzten Tagen gebrochen. "Zehn Raketen greifen Israel am Tag nach koordinierter Terrorattacke mit acht Toten an", schreibt die israelische Zeitung Haaretz, der österreichische Standard dagegen: "Israelische Luftwaffe setzt Vergeltungsschläge auf Gazastreifen fort".

(c) Elisabeth Weydt
Zeltrevolutionen und leere Straßenbahnen
Dieser Austausch an Gewalt spielt in die Hände von Premierminister Netanjahu, der an einem selbstständigen Palästina ohnehin nicht interessiert ist. Gute Ablenkung auch von den Zeltstädten, die sich über Israel ausgebreitet haben und unter großen Teilen der Bevölkerung in ihrem eigenen Unglauben, dass so etwas gerade passiert, ein Euphoriefunkeln in Augen gestochen haben.
An diesem Punkt jetzt wieder weiter vom – kann man dieses Wort noch in den Mund nehmen? – Frieden entfernt zu sein als in den noch in den 80er Jahren, schmerzt.
Netanjahu will im selben Atemzug, in dem er von Luftangriffen auf Gaza spricht, Sicherheit für seine Bürger ausstrahlen ("die Leute, die die Befehle für die heutigen Angriffe gegeben haben, sind schon nicht mehr am Leben"). Und lässt einen dabei darüber nachdenken, ob die Israelis nicht einfach Opfer eines Systems sind, das Schutz vor einer Unsicherheit bietet, die sie mitverursacht.

(c) Agnes Prammer
"Is your truth better than the truth of the people you're fighting against?"
Das System nicht von den Menschen im System zu trennen führt zu einer Logik, die legitimiert, israelische Busfahrende umzubringen oder kollektivstrafend Zivilisten in Gaza zu bombardieren.
Auf meinen Reisen achte ich immer wieder auf Parallelen zwischen den kriegsmüden Palästinensern und Israelis. Nachhaltigkeitsexperte N. aus Ramallah, der jahrelang in Hawaii gelebt hat und mich in Nablus fragt, ob die Altstadt in Jerusalem auch so aussähe, wie die hier. Künstler M. aus Jerusalem, der ungläubig gespannt ist, wenn ich ihm vom Nachtleben in Ramallah erzähle. Vage Vorstellungen vom Leben der anderen, die auf der anderen Seite einer Mauer wohnen, die signalisiert, dass es keinen Gesprächspartner gibt. Die die Leben dieser anderen Menschen einfach nicht sichtbar werden lassen. Das macht es leicht, sich von anonymen Gesichter und den Ausschnitten, die man von einer Gesellschaft auf der anderen Seite einer Mauer im Fernsehen sieht, bedroht zu fühlen.

(c) Clara Trischler
Was man sieht
Die Mutter eines Selbstmordattentäters, die vor Freude jubelt, dass ihr Sohn ins Paradies gekommen ist und bloß bedauert, dass er auf dem Weg dahin nicht noch zwanzig Israelis mitgenommen hat.
Was man nicht sieht
Wie ein Arzt im selben Ort das Telefon zur Seite legt, um das Essen aus dem Ofen zu retten, das seine Frau darin vergessen hat, seine Kinder im Hintergrund. Sein Haus. Wie sie diesen Abend miteinander verbringen werden. Wie seine Tochter länger ausgehen möchte, sich Sorgen um Schulnoten macht und wirklich gern diesen Typen mit den schönen Händen wiedersehen will, der manchmal auf seinem Moped an ihr vorbeifährt.

(c) Clara Trischler
"Velofahrende Greisinnen, die immer nur den Krieg gekannt haben
Arabischübersetzer N. verbringt mit mir einige Tage im palästinensischen Dorf Naalin und wundert sich dort, dass die Kinder immer noch "Soldier and Palestinian" spielen. "Als ich aufgewachsen bin, habe ich mir gedacht, die würden, wenn ich erwachsen bin, längst andere Spiele spielen."
In Jerusalem fahren völlig leere Straßenbahnen seit sechs Monaten auf und ab. Es sind die ersten Straßenbahnen dieses Landes. Wahrscheinlich hört man, wenn man eine Weile hier ist, auf, sich zu wundern, dass sie leer sind. Winkt dem einzigen Passagier, dem Straßenbahnfahrer, zu, der pflichtbewusst weiter an allen Haltestellen hält. Um fünf Uhr früh habe ich sie schon gesehen und spätabends. Sie bimmeln, damit man ihnen auf den Straßen, die ihretwegen seit Jahren für Autos gesperrt sind, ausweichen kann. Einsteigen kann man nicht. Wahrscheinlich müssen sie erst üben, sagt J., das ist schließlich die erste Generation Straßenbahnfahrer in Israel.
Die Straßenbahn wird seit etwa 14 Jahren geplant und wurde heute zum ersten Mal für Passagiere in Betrieb genommen. Plötzlich reden die Menschen wieder über dieses Gefühl. Sich umzusehen, wer steigt mit mir ein? Soll ich vielleicht lieber den nächsten Zug nehmen? Was passiert, wenn ich mir noch Zigaretten kaufe?
Von der Freiheit, sich ein Leben zu wünschen
An dieser Stelle werde ich in den nächsten Wochen vom Israel und Palästina dieses Sommers vor dem UN-Beschluss erzählen.
"Nicht nur Macht korrumpiert, sondern auch Schwäche", schreibt der israelische Autor David Grossmann.
Selbstmordattentate haben schon immer die moralische Kraft des palästinensischen Kampfes gelähmt. Gleichzeitig zeigt der Blick der Welt nur Aufmerksamkeit, wenn es zur Konfrontation kommt, "to be unheard is the worst", sagt mir die palästinensische Friedensaktivistin A.
Eine stabile palästinensische Gesellschaft, mit von der Bevölkerung unterstützter Führung ist wirklich im Interesse von Israel. Nur so eine Gesellschaft kann ein haltendes Friedenabkommen unterzeichnen, das historische Zugeständnisse einschließt.
Stabilisiert wird hier gerade nichts, bloss zementiert.

(c) Agnes Prammer
Weil sich die letzten Stunden wie schon einmal erlebt angefühlt haben, werde ich also versuchen, nachzuspüren, ob es wahr ist. Dass "nur ein Wunder oder eine Katastrophe etwas an dieser Lage ändern kann."

(c) Agnes Prammer
"Freiheit bedeutet", sagt mir der israelische Aktivist Itamar am Ende unseres Gesprächs, "zu verstehen, was man sich, außerhalb dieser Gewalt, alles vom Leben wünschen kann."