Erstellt am: 18. 8. 2011 - 23:30 Uhr
Fußball-Journal '11-86.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit einer Art individualisierter Nachlese zu den eurpäischen Abenden - in Ried, in Wien, in Nikosia und am Dienstag in Minsk.
Es würde ihm so vorkommen, sagt der Kollege Kralicek, der Fußball oft so wie Theater sieht, als ob die auch für ihn augenfälligen neuen/jungen Taktikexperten in ihren Blogs es wirklich besser wüssten, nicht nur als die "normalen" Journalisten, auch als einige heimische Trainer.
Das ist nett gemeint, aber ein Irrtum. Die guten unter den Trainern wissen schon Bescheid, auch ohne die neuen tatsächlich augenfälligen Sehhelfer. Die arbeiten für ein Publikum, das bis dato eher blind gehalten wurde. Und dann gibt es dann noch die Gruppe unter den Trainern, die ganz absichtlich so tut als wäre diese Beschäftigung unmännlich, unfußballerisch, schwul - und deswegen ein falsches öffentliches Bild streuen. Ja, und dann gibt es noch die wirklich nicht guten Trainer, die ihre Teams ganz ohne Vorgaben aus der Kabine lassen, von Constantini abwärts.
Die Coaches, die mit österreichischen Klubs aktuell in Europa arbeiten, sind über diese Niederungen durchaus erhaben. Die denken und handeln strategisch, recht dauerhaft und nachhaltig.
Deshalb drehen sich die zentralen Europacupgeschichten dieser Woche auch um die Sechser, die strategisch wichtigste Position beim Fußball.
Und deshalb sah Paul Gludovatz heute vor dem Spiel der Rieder gegen den PSV Eindhoven auch aus, als wäre eben sein Weinkeller mit seiner gesamten Sammlung leergeräumt worden.
Sechser-Geschichte 1: Florian Mader verrät die Provinz
Ins Rieder Stadion passen, wenn es die UEFA komminioniert, knapp über 6000 Leute. Das ist im europäischen Maßstab lächerlich. Diese 6000, die in der auch die Stehplätze noch zulassenden heimischen Meisterschaft auch schon fast 8000 sein können, haben es aber gelernt, dass offensive Stimmungsmache in engen Hallräumen auch dann etwas bewirkt, wenn man über keinen zweiten oder gar dritten Rang verfügt.
Nicht, dass sich die Superstars vom Nobelklub aus Eindhoven davon beeindrucken ließen - aber gerechnet hatten sie damit nicht, als sie sich warmgemacht haben in der Innviertler Provinz.
Für die betreibt der Verein der Bezirkshauptstadt Ried seit Jahren eine gute Image-Kampagne. Da hat kein irrlichternder Mäzen, kein windiger Investor und auch keine Bande an Dürrenmattschen 'Bürgern' ein Belustigungs-Objekt hochgezogen, da hat eine familiäre Umgebung und in weiterer Folge eine ganze Region Jahre lang am Aufbau gearbeitet. Um sich dann genau in dieser (Stichwort: Redimensionierung) bescheidenen Nische einzurichten. Immerhin mit gut geführter Nachwuchs-Akademie, ausfinanziertem Stadion und der selbstauferlegten Verpflichtung zur Nachwuchs-Arbeit.
Ausbilden und Hergeben
Das heißt: man muss die Spieler, die man zu Stars machen will (auch um sie gewinnbringend zu verkaufen), selber ausbilden und entwickeln. Das macht den Unterschied zu den größeren Nummern aus, zu Salzburg, Austria, Rapid. Die versuchen das auch, versteht sich, kaufen den kleineren Clubs aber trotzdem die besten Talente weg. So funktioniert das im hierarchisch aufgebautem Fußball-Geschäft.
Ried hat für diese Philosophie seit Jahren die bestmöglichen Trainer: vor allem Paul Gludovatz und Gerhard Schweitzer, die vom ÖFB kommend wissen, wie das geht, mit dem Auf- und Einbau der Jungen.
Ried lief heute mit acht U24-Akteuren auf.
Aber nicht freiwillig.
Nachdem vor Wochen der einzige wirklich Alte, der Kapitän Oliver Glasner wegen einer echt schweren Schädel-Operation ausfiel, hat sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einer aus der schmalen Gruppe der Endzwanziger, Florian Mader, entschlossen den Verein zu verlassen. Er hatte ein Angebot von der Austria Wien, ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte.
Wenn sich drei Jahre an einem Tag in Luft auflösen
Mader trägt die Nummer 10 und ist (nein: war) der Sechser in Gludovatz' System; der Taktgeber, der Umschalter zwischen Defensive und Offensive. Und einiges mehr: wichtiger Ausführender von Freistößen oder Schüssen aus der zweiten Reihe, was dass Sportliche und diverses Andere, was das Menschliche betrifft.
Die Austria holte Mader, der eine entsprechend formulierte Ausstiegsklausel im Vertrag hatte, einen Tag vor dem großen Euro-League-Playoff-Match. Gestern hatte er noch mittrainiert und die Taktik mitbesprochen, heute war er schon weg.
Mader ist keiner der Jungen, die bei Ried entwickelt wurden, er ist Tiroler, vormaliger U21-Teamspieler, ich glaube auch Kapitän, und seitdem eine von vielen nie ganz aufgegangenen Hoffnungen. Er hat als Zehner angefangen, wurde dann ein Achter, also ein offensiver Mittelfeldspieler mit Special Team-Aufgaben - und erst in Ried zum Sechser. In Ried bekam Mader, nachdem es in Innsbruck und dann in Altach zunehmend weniger gut lief, seine zweite oder dritte Chance. Die Chance darauf das Spiel einer Mannschaft mitzudefinieren, mitzuprägen.
Gludovatz' leise Verzweiflung
Das 3-3-3-1, das Paul Gludovatz zwar nicht erfunden aber für Österreich entdeckt und adaptiert hat, ist darauf angewiesen, dass jemand wie Florian Mader im Zentrum agiert.
Nun ist man auch in Ried nicht gar so zimperlich mit alten Heroen. Wickerl Drechsel wurde (zu spät, dann aber) zu prompt freigestellt, Ewald Brenner wurde ohne nach außen ersichtlichen Grund vor der Saison der blaue Brief überreicht - die waren aber schon ein gutes Stück älter.
Mit Mader hat man bei Ried, mit Mader hat Gludovatz einfach noch gerechnet, eine Saison zumindest.
Und deshalb dann heute das entsprechende Gesicht vor dem Spiel. Keine Pose, sondern echte menschliche Enttäuschung und leise Verzweiflung.
Und dann kam die Viererabwehr...
Wie bedeutend Mader für Ried war, sah man in der Umstellung, die Gludovatz vornahm: er stellte auf ein 4-2-3-1 um, einfach so, von heute auf morgen; weil sein Centerspieler in der Schaltstelle nicht mehr da war.
Ja, Anel Hadzic kann diese Position auch spielen, und er wird sie spielen und er wird sie brillant spielen, weil er alles, was er angeht, toll spielen kann, wenn er will. Trotzdem stellte ihm Gludovatz einen zweiten Sechser zur Seite: den 18-jährigen Marcel Ziegl, auch so ein selberentwickelter Alleskönner.
Als sich dann zwanzig Minuten vor Schluss der Partie herausstellte, dass es möglich war gegen den Weltklub PSV ein wenig mitzuspielen, ein wenig was zu riskieren, stellte Gludo dann auf ein 4-1-4-1 um. Das löste eine echte Schluss-Offensive aus - ohne dass hinten alles zusammensackte.
In diesem Moment hat sich Gludovatz, hat sich Ried von Florian Mader gelöst. Erst in diesem Moment, fast 24 Stunden nachdem man wusste, was passieren würde.
Hadzic machte seine Sache, wie zu erwarten war, extragut. Hadzic wird ein exzellenter Sechser werden, einer der besten in Österreich.
Sechser-Geschichte 2: Baumgartlinger überwinden
Als Julian Baumgartlinger, der beste Spieler der letzten Bundesliga-Saison im Juni die Austria Wien verließ, gab es keinen öffentlichen Aufschrei und die Forderung nach einem adäquten Ersatz. Die blieb der Diskussion um Junuzovic vorbehalten - der ist aber immer noch da; und Baumgartlinger wurde nicht nachbesetzt.
Das zeigt schön, wie wenig die Öffentlichkeit, vor allem die strategisch unterentwickelte Journaille vom Spiel versteht. Trainer Daxbacher raunzte nämlich bei jeder Gelegenheit. Auch als man ihn damit konfrontierte, dass er eh Alexander Grünwald bekommen habe. Absurd: Grünwald ist ein völlig anderer Spielertyp, ein reiner Antreiber, ein toller Achter.
Daxbacher hat Peter Hlinka, den respektgebietenden Slowaken (samt seiner Verletzungsanfälligkeit) und den jungen Emir Dilaver. In seiner Verzweiflung montierte er Linksverteidiger Suttner um - das Resultat: solala.
Wenn die Austria, wie zu erwarten steht, in die Euro League kommt, dann braucht sie dort allerdings mehr als das; nämlich einen Sechser des neuen Stils - einen wie Baumgartlinger, Manuel Weber oder Florian Mader eben.
Es ist also nur logisch und folgerichtig, dass man beim Tiroler nachgefragt hat (bis Ende August ist noch Transferzeit, auch die UEFA-Meldefrist ist noch ein paar Tage hin). Dass Mader so leicht zusagte heißt auch, dass er Ried gegen den PSV keine Chance gibt. Und dass Daxbacher das auch so sieht. Andernfalls wäre Mader nämlich europäischer Zuschauer.
Sechser-Geschichte 3: War Jürgen Säumel jemals weg?
Bester Sturm-Spieler am Dienstag abend in Minsk? Kienast hat geackert, Manuel Weber war toll, aber der beste war der Chef, der eigentliche Kapitän, Jürgen Säumel.
Säumel ist ein exzellenter Sechser - bis hin zur Euro 2008 einer der allerbesten in Österreich, einer, der diese Rolle modern interpretiert, einer, der offensiv denken, das Tempo sortieren und das Spiel lesen kann. Dann kam das Angebot aus Italien, und dann begann eine Irrfahrt über vier Stationen, bei der alles schiefging, was schiefgehen konnte, die aber aus dem manchmal zu braven Sturm-Buben mittlerweile einen unerschütterlichen, weltläufigen Mann gemacht hat.
Säumel lief bereits am letzten Wochenende, als quasi frischverpflichteter im Heimspiel gegen Rapid auf und macht ein ausgezeichnetes Spiel. Die Fans überhöhten ihn mit Sprechchören, die aussagten, dass er nie weggewesen, sondern immer in ihren Herzen gebleiben wäre.
Säumel ist nach Bodul und Dudic die dritte nachgereichte ungemein notwendige (und hier angemahnte) Verstärkung, mit der sich Sturm in Europa besser zurechtfinden wird, egal ob in der 1. oder der 2. Spielklasse.
Und sein Einsatz ist der Beleg dafür, dass ein wirklich spielintelligenter Akteur mit einer taktisch erstklassigen (italienischen) Ausbildung innerhalb von Tagen in eine Mannschaft einsteigen kann. Das nur, weil von schwächeren Coaches als denen, von denen heute hier die Rede war, Kralicek, gern so eine Standard-Leier kommt, dass man Neue erst langsam und behutsam einbauen müsse.
Kann man, muss man nicht.
Nicht wenn es um Sechser dieser Klasse geht.