Erstellt am: 18. 8. 2011 - 17:45 Uhr
Geschmackvoll in der Sonne schaukeln
Das FM4 Frequency Festival 2011
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Die Green Stage hat ein schön durchmischtes Stil-Potpourri im Angebot. Klassisch schrabbelige Indiegitarre, etwas Tanz-Elektronik, richtig echter Pop und Rock und Roll in ganz großen Großbuchstaben.
Die Band "Fertig Los!" hat bei der Namensfindung vermutlich schon all die vielfältig einsetzbare Möglichkeit zum Wortwitz mitgedacht, empfiehlt sich so aber auch bis auf weitere Zukunft hin dafür, als die bei einem Festival zu allererst auftretende Band überhaupt den sonnengeladenen Nachmittag per Kickstart zu eröffnen. Die Musik des deutschen Quartetts klingt dann auch in etwa so wie die Wortkombination "Fertig Los!". Deutschsprachiger Indie-Rock mit bemühtem Elan über Liebesdinge und jugendliches Aufbegehren im Schatten von Helden und Sportfreundinnen. NDW-Touch und Schlagerhaftes werden eingestreut, da und dort spielt der Synthie kraftwerkige Kinderlied-Melodien. Der vielleicht etwas zu sehr um Publikumsinteraktion bemühte Sänger initiiert eine Wall Of Death, eine zärtliche natürlich, und die Liedertexte gehen so: "Wenn du mich brauchst, bin ich bei Dir." Musik für junge Menschen, und das ist nicht unbedingt das Schlechteste.
Jamie Woon zeigt endgültig, dass der Post-Dubstep jetzt komplett "Post" ist. Wie man so hört, kann man den englischen Musiker, der mit seinem Debüt-Album "Mirrorwriting" eine der besseren Platten dieses Jahres veröffentlich hat, beim Live-Auftritt in unterschiedlichen Darreichungs-Formen erleben: Als good ol' DJ-Set, Solo-Elektronik oder Band-Perfomance in diversen Staffelungen. Heute gibt's Jamie Woon als Quartett mit Band mit Betonung auf "Band". Drums, Gitarren, Synthies. Relativ unelektronisch als zurückgelehnte Funk-Combo stellt der Mann seine doppelt butterweich abgefederte Annäherung an Soul und R'n'B auf die Bühne und schickt sich mit nuanciert vernuscheltem Singsang an, demnächst die Herren Prince und D'Angelo im Schlafzimmer zu ersetzen. Bisweilen zischeln und rumpeln die elektronischen Gerätschaften dann doch, ein dumpfer Beat hebt an, und die Single "Lady Luck" entwickelt sich zu einem frühen Höhepunkt des Tages. "It's too hot to move", sagt Jamie Woon, das trotz etwas ungünstigem Slot schon ganz okay anwesende Publikum glaubt ihm das aber nicht. Musik zum Geschmackvoll-in-der-Sonne-Schaukeln, Musik, die aus ihrer Unaufgeregtheit großen Zauber zieht.
Die Band Mona, die anstelle der leider vehinderten Vaccines auftritt, stammt aus Nashville, Tennessee. Bei diesen betont erdnahe agierenden "Kerlen", die mit ihrem Debüt-Album auf der Sound-Of-2011-Liste der BBC gelandet sind, gibt es kernigen, etwas gar schematischen Südstaaten-Rock zu hören, wie ihn schon die Kings Of Leon nicht erfunden haben. Mona kreischen und röhren aus dem tiefsten Inneren des aufgekrempelten Karo-Hemds und veranstalten "Oh-oh-oh-oooh!"-Chor-Gesänge mit dem Publikum. Musik mit ganz viel Whiskey im Holzfass, die sich abmüht auch ordentlich zu "rocken". "Have You Been Drinking?" fragt der Sänger in die Menge, "Drink More!". So eine Band ist das.
Two Door Cinema Club füllen das Areal vor der Green Stage schon beachtlich und schicken elektrische Wellen der Verzückung durchs Publikum. Eine Live-Band, wie man sagt. Die drei nordirischen Herren haben bei Konzerten einen echten Drummer dabei, was der Performance sehr gut tut. Two Door Cinema Club ist die Band aus der Konfetti-Kanone. Zickige, vom Post-Punk abgehörte Gitarre, befreit vom Groll und poltischer Agenda, angreichert um Karneval und mit Synthesizer-Geschwurbel unterfüttert. Kitsuné-Musik, die nicht bloß auf neonfarbenen Retro-"Electro"-Quatsch setzt, sondern in der auch echte, gute Tunes zuhause sind. Musik, die nicht viel will, außer Menschen zum Tanzen bringen. Das gelingt über die ganze Strecke sehr gut, besonders vor allem freilich im Überhit "I Can Talk": "We Know It's Shit Hot, So Thanks For Dancing."
Kele ist ein großer Entertainer und sich seiner Popularität auf charmante Weise bewusst. "Come On, Don't Be Shy Now!", wirft er in die Menge, wenn diese ausnahmsweise einmal zwei Sekunden lang nicht komplett ausflippt, und grinst ohne Unterbrechung, "We're Old Friends Here." Der im Hauptberuf als Frontmann von Bloc Party tätige Musiker beginnt sein Set mit "Walk Tall", einem der besten Stücke seines Solo-Albums "The Boxer". Ein harter Beat, der live noch drängender als auf Platte betont wird, überlagert von fast schon noisigen Synthie-Flächen. Was auf "The Boxer" bisweilen noch ein wenig wie ein Tasten und Forschen in der weiten Welt der Elektronik anmutete, das einerseits frisch und unverbraucht, in anderen Momenten jedoch auch etwas beliebig und orientierungslos klingen konnte, fügt sich live zu einer stimmigen Collage aus Beat-Mustern. Kele bedient sich bei klassischem House inklusive adäquatem Piano-Thema, bei Synthie-Pop, Euro-Dance und lässt kleine Spuren von Dubstep anklingen. Im Zentrum steht aber nach wie vor der Song und die Stimme dieses netten Mannes. "Everything You Wanted" ist ein Highlight des Hände-In-Die-Luft-Schmeißens, ein Medley aus Bloc-Party-Songs ("I Don't Know If You Know That I Also Have Another Band.") muss und darf glücklicherweise auch sein. Aber nicht zu billig, es sind nicht unbedingt die größten aller Hits: "Blue Light", "The Prayer" und "One More Chance". Der immer brenzlige Drahtseil-Akt zwischen dem künstlereigenen Wunsch nach Experiment und der Begückung alter Fans gelingt Kele ziemlich großartig. Gute Laune.
Die norwegische Band Kaizers Orchestra tritt - wie man das von ihnen vielleicht schon kennen könnte - in Anzug und mitunter in Gasmaske auf, und beklopft als rythmisches Bonus-Element Blechtonnen. Eine Parade der Schauwerte, die eine ziemlich biedere Kombination musikalischer Elemente - Rock, osteuropäische Folklore, Punk, finnische Humppa - übertünchen soll - Musik, die sich auch ein bisschen zu sehr darin gefällt, tendenziell bislang nur kaum miteinander verrührte Styles zusammenzuführen. Gerne beruft sich das Kaizers Orchestra auf Tom Waits. Während der aber das Leiden einer singenden Säge in nicht selten bahnbrechendes Wunderwerk formt, scheint dem Kaizers Orchestra nicht viel mehr übrig zu bleiben, als eine konstruierte "Schrägheit" auszustellen. Für ein paar Momente schön anzusehen, "Humppa!", gut hüpfen, sicher, schnell hat man sie vergessen.
Der Auftritt von Hurts hingegen ist kein Gag von Hape Kerkeling, sondern die tatsächliche Darbietung eines Kunstliedes. Die zwei Herren aus Manchester schlüpfen wirklich gerne ins gestärkte Hemd und feinsten Zwirn und stecken sich einen goldenen Ring in Ohr. Die Band Hurts, die in kürzester Zeit den Weg von Sozialhilfe nach Pop-Superstardom beschritten hat, entwickelt nichts neu und denkt nichts weiter: Unter punktgenauer Berücksichtigung des Pop-Lehrbuchs werden in hier Andenken an frühe, weiche Depeche Mode, OMD oder auch Tears For Fears jene Songs geschrieben, die auf der letzten Kuschelrock gefehlt haben.
Der Frequency Videoblog
Mit Deichkind, Kasabian, Effi und euch, den BesucherInnen!
Sänger Theo Hutchcraft ist ein Charmeur, der mit seinen Fingern das Fallen der traurigen Regentropfen imitiert, die immer dann ans Fenster klopfen, wenn grade das Herz weh tut. Er schlägt sich auf die Brust, lässt Blumen ins Publikum segeln und ringt mit dem Leben - symbolisch dargestellt durch seinen Mikrofonständer. Das Stück "Stay" ist ein nach Gott höchstpersönlich duftender Topf Schmalz, der alle Leute zu Schwestern macht. Das hat schon Til Schweiger gewusst. Die Kunst von Hurts hat keinen doppelten Boden, das alles hier ist die große Ernstmeinung - und der Höhepunkt des ersten Tages, passend zu vor Freude weinenden Menschen hat die Band auch den Sonnenuntergang bestellt. Eine alte Bauernregel bewahrheitet sich beim Auftritt von Hurts ebenfalls wieder einmal, nämlich jene, dass ein zusätzlicher Schlagzeuger aus Fleisch und Blut der Darbietung von elektronischer, für den Tonträger fast ausschließlich mit irgendwelchen komischen Maschinen generierter Musik in der Live-Situation äußerst dienlich sein kann. Saxofon schadet auch nicht.
Die Kaiser Chiefs sind eine Band, der man nicht besonders böse sein mag. Aber vielleicht auch gerade deswegen schon. Als Frontmann Ricky Wilson vor einiger Zeit die englische Gameshow „Nevermind The Buzzcocks“ als Gast-Moderator hostete, stellte er sich mit folgenden Worten vor: „I’m Ricky Wilson, lead singer of middle-of-the-road indie band Kaiser Chiefs.“ Netter Pub-Rock von den Typen von nebenan, die wissen wo sie stehen. Das Set setzt zu weiten Teilen auf das Debüt-Album „Employment“ - ein wahrhaftes Füllhorn an Hits - und klarerweise aktuelle, vergleichsweise dunkler gefärbte Stücke. Ein äußerst solider Zirkus mit Wilson als Derwisch an Tamburin und Kuhglocke. Der spannendste Aspekt des Konzerts ist aber dennoch die Frage, wie denn die Kaiser Chiefs mit dem aufgrund aktueller Ereignisse in England möglicherweise etwas brisanten Stück „I Predict A Riot“ umgehen würden. Hier ist die unspannende Antwort: Sie spielen die Nummer kommentarlos.
Man könnte versucht sein, die Kooks als eine dieser bloßen Nachzügler-Bands zu sehen, die im Fahrwasser der Erfindung des Garagen-Rock-Revivals und der Post-Punk-Renaissance mit Bands wie Franz Ferdinand, den Libertines oder auf der anderen Seite des Ozeans mit den Strokes und Interpol, in Nachfolge der Arctic Monkeys eine Zeitlang quasi wochenweise aus dem Hut (oder in den Hut?) gezaubert worden sind. Gar so falsch ist das nun nicht, das bei der Band aus Brighton verwaltete Klangmaterial ist ein ähnliches, tatsächlich aber haben die Kooks zwei ziemlich gute Alben veröffentlicht, die immer dann am Besten sind, wenn sie das schöne alte Indie-Geseier in Richtung einer leichten Dubhaftigkeit im Sinne von The Clash dehnen. Live funktioniert das alles natürlich vorzüglich: Lieder of Love and Life, aufgebaut auf ein elastisches Rhythmus-Gerüst, vorgetragen von extrem sympathischen, drahtigen Menschen, die noch Leben in den jungen Knochen haben und sich gerne mal die Gitarre sexy zu hoch vor die Brust schnallen. Und jemand, der sich ein Stück ausdenkt und das dann "Shine On" nennt, wird schon geahnt haben, dass das wohl eine Hymne - eine Hymne - sein muss, zu der die Leute nur allzu gerne ein, zwei Tränen ins Bier weinen und Seifenblasen in die Nacht schicken werden wollen.