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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

18. 8. 2011 - 15:33

Hot, hotter, FM4 Frequency!

Angenehme Temperaturen und sommerlicher Indie-Noise-Pop zur Eröffnung: Cloud Control, Yuck, Scott Matthew und Bombay Bicycle Club, The National, Interpol und Beady Eye am FM4 Frequency 2011.

Das FM4 Frequency Festival 2011

Die staubige Rockwüste in St. Pölten ist eröffnet. Die flirrende Hitze von über dreißig Grad im Schatten zeichnet sich über dem Asphalt des VAZ ab. Im Gleichklang zu diesen oft sinnestäuschenden, optischen Wellen schneiden gleich drogige Keyboardklänge und psychedelische Gitarrenakkorde der ersten Musiker durch die dünne Luft.

Die Australier mit dem passenden Namen zum Wetter, Cloud Control, eröffnen das Festival. Das Quartett um die Stimmen von Gitarrist Alister Wright und Keyboarderin Heidi Lenffer erinnert stark an die skandinavischen weltmusikliebhabenden Indiepopper Treefight For Sunlight. Ein bisschen Beach Boys-Feeling wird mit der locker flockigen Hipness von Vampire Weekend gekreuzt und wären da nicht die verhaltenen Gesten, würden trotz Sahara-Glut die ersten Schaulustigen in Freudentänze ausbrechen. Die sprudelnde Energie der Band, verstärkt durch die herrlich verzerrten Basslinien, verdankt die Band wahrscheinlich ihrer inneren, biorhythmischen Uhr, die noch auf ihren Heimatort Sydney eingestellt zu sein scheint. So bieten sie mit ihren poppig-hippiesken Sommersongs auf alle Fälle eine mehr als würdige Eröffnungsshow.

Weitaus rauer und rumpliger ist die musikalische Fahrt von Yuck, der noisigen Indieformation von den Londonern Daniel Blumberg und Max Bloom, die mit der japanischen Bassistin Mariko Doi und dem US-Schlagzeuger Jonny Rogoff (oder sitzt da doch Melvins-Gitarrist Buzz hinter den Drums?) tief in die 1990-iger Jahre eintauchen. Der verwaschene Shoegazer-Sound lässt die Stimmen von Daniel, Max und Mariko oft komplett im Gitarrennoise verschwinden. Was im Club laut Kollegen L'Heritier super funktioniert, verliert sich streckenweise auf der großen Festivalbühne. Doch immer wieder fesseln Yuck mit ihren wundervollen Melodien, die mit ihrem kreischenden Sound auch Dinosaur Jr. Mastermind J Mascis Tränen der Freude in die Augen treiben würden. Den besten Moment liefern die vier schüchtern zu Boden schauenden Musiker mit der Schlussnummer "Rubber", ein siebenminütiges Rockmonster, als breite, tonnenschwere Feedback- und Noisewalze über das Gelände hinwegrollt und mich komplett platt macht. Einfach großartig!

"We have a f***ing problem with the keyboard but we will start anyway because we are so happy to be here!" Technische Probleme sind wohl die kleinsten, die der bärtige Barde Scott Matthew überwinden muss. Denn wenn er sein Innerstes nach Außen kehrt, dann kommt die dunkle, melancholische Seele zum Vorschein. So fesseln der Wahl-Brooklyner und seine zwei Musiker allein mit Ukulele, Stimmen und einer akustischen Gitarre die Festivalgäste, die sich in den spärlichen Schatten vor der Bühne drängen. Es ist erstaunlich, welche Intimität die Songs von Scott Matthew erzeugen, selbst auf solch einer riesigen Bühne. Es dürfte nicht nur für den Sänger die strangest experience ever sein, denn bei den herzzerreißenden Melodien und Texten kommt trotz brutzelnder Sonne dem einen oder anderen Fan sicher auch eine Träne in die sonnenbebrillten Augen. Doch Scott ist nicht nur ein Kind von Traurigkeit. Als das Keyboard bei "Community" wieder funktioniert, meint er mit verschmitztem Lächeln: "That's as rock as we get", was mit einem warmherzigen Applaus gewürdigt wird. Egal, ob Auszüge aus dem neuen Album "Gallantry's Favorite Son" präsentiert werden oder zum Abschluss Radioheads "No Surprises" gecovert wird, diese hoch emotionale Verschnaufpause ist hoffentlich nicht nur für seine treuen Anhänger ein kleines Geschenk.

Eigentlich bin ich ein fixes Mitglied im Two Doors Cinema Club - die übrigens gleich drüben auf der Green Stage spielen werden -, und jetzt bin ich auch Mitglied im Bombay Bicycle Club - sie haben mich nach den ersten paar Songs schon geködert. Ob ich jedoch den Mitgliederbestimmungen entspreche? Denn wenn die Kamera von der Bühne in die ersten Reihen des Publikums schwenkt bin ich mir nicht sicher, wer da jünger ist. Die Londoner haben sich schon im zarten Alter von 15 zusammengetan und lange ist das nicht her. Vielleicht erklärt sich daraus auch die jugendliche Schüchternheit, mit der sie versuchen, ihr Lächeln und ihre Freude, hier auf der großen FM4 Frequency-Bühne spielen zu können, im Zaum zu halten. Und zum ersten Mal kommt auch richtige Rockfestivalstimmung inklusive Mitklatschchor auf. Die Musiker um Frontmann Jack Steadman wechseln zwischen extrem rockigen, speedigen Indiesongs und elektronisch angehauchten Groove-Stücken, die auf die Tanzfläche schielen. Beides funktioniert perfekt. Geschmeidig werden die Samples bei der Pop-Perle "Shuffle" noch von Hand mit dem richtigen Hauch an unterkühlter Lässigkeit eingespielt. Gegen Ende darf dann der Damm brechen und eine große Noise-Welle sich über die aufgeheizten, tanzenden Körper ergießen. Also spätestens nach diesem Gig ist den jungen Londoner meine Mitgliedschaft in ihrem Club sicher.

Wenn man beim Mikrophoncheck das Wort "Sprachausgabe" fällt, weiß man: Es kommt Clueso mit seiner Band. In Deutschland wird der auf dem Fantastischen Vier-Label "Four Music" beheimatete Sänger im doppelstöckigen Nightliner von einer großen Konzerthalle in die nächste chauffiert. Tausende Fans schwenken bei seinen Songs die Arme, hüpfen und springen mit, wenn es der Erfurter befiehlt. Auch beim FM4 Frequency leistet Clueso viel Animationsarbeit. Und die zahlt sich aus. Im Schatten der großen Bühne wird fleißig gesprungen und auf Anweisung "Ohoho" und "Aha" gebrüllt. Alles gut gespielt, bis ins Detail inszeniert und es ist für jeden etwas dabei: Ein bisschen Hip Hop, ein bisschen Reggae, ein bisschen rockiger Pop, der glatte Sound der Backingband ist perfekt für die Aale in der Traisen. Mir ist es etwas zu seicht, die allgemeine Begeisterung bleibt mir unerklärlich. Doch für die meisten ist es wohl der richtige Soundtrack für die nachmittägliche Badestimmung.

Der musikalische Fluss von The National aus Ohio ist nur oberflächlich ein ruhiger und gleichmäßiger. Die Stromschnellen entstehen hier in der Tiefe, erzeugt von flächigen Vibratogitarren, schiefen Bläserlinien und vor allem durch das von Bryan Devendorf kunstvoll malträtierte Schlagwerk. Immer wieder wird die langsam aufgebaute Spannung durchbrochen, wenn The National im Kehrwasser ihre zerbrechliche Seite zeigen. Bestes Beispiel dafür die großartigen Momente von "Afraid Of Everyone". Statt der bekannten Weinflasche balanciert Sänger Matt Berninger dabei einen Plastikbecher mit dunkler Flüssigkeit in der linken Hand, während er sich mit der rechten auf den Mikrophonständer stützt. Werden zu Beginn noch Kusshändchen ins Publikum gehaucht, wirkt der Sänger im Verlauf des Konzerts mehr und mehr befremdend. Der üblichen, lakonischen Pose stehen die immer wieder explosiven Emotionsausbrüche gegenüber, bei denen Berninger in die Knie geht und ins Mikrophon schreit. Dieses Wechselbad der Gefühle folgt jedoch einer cleveren und durchdachten Dramaturgie. Denn wenn am Schluss sich Chorgesänge mit Hochgeschwindigkeitsrhythmen, Gitarrenwänden und treibendem Bass vermischen, heben The National in höhere Sphären ab. Zurück bleibt die Frage, ob die nachfolgenden Interpol das toppen können.

Ich war wirklich skeptisch. Die letzten Begegnungen mit Interpol bei einer Salzburgausgabe des FM4 Frequency und vor ein paar Jahren beim Southside waren enttäuschend. Ihre schicke Coolness grenzte an Überheblichkeit. 2011 ist das jedoch anders. Ob es das Älterwerden oder doch die Wirtschaftskrise ist, weiß ich nicht. Den Designeranzügen sind jedenfalls schwarze Hemden und abgetragene Sakkos gewichen. Bis auf eine weiße Krawatte ist vom Glamour nicht mehr viel geblieben, die letzten Jahre scheinen sich im Gesicht von Paul Banks abzuzeichnen. Nicht mehr so distanziert, sondern richtig geerdet bekommt man Interpol mehr zu spüren. Die scheppernden Gitarren und die grandios verschleppten Rhythmen sind kompakt wie eh und je und noch immer stechen hauptsächlich die Songs von "Turn On The Bright Lights" und "Antics" heraus. Ein etwas seltsames Bild liefert der langhaarige Bassist Brad Truax ab, der auch bei den Chilli Peppers auf der Bühne stehen könnte. Aber er macht seine Sache auf den vier Saiten wirklich großartig. Die roten Lichter, perfekt zum Sonnenuntergang abgestimmt, verstärken die düstere Stimmung und machen klar: Mit Interpol muss man auch 2011 noch rechnen. Mich hat dieser Gig mit der Band komplett versöhnt. Einzig die Vokuhila-Frisur nehme ich Paul Banks ein bisschen übel. Auch wenn sie ihm eigentlich steht.

"Nothing ever lasts forever" singt Liam Gallhager im Eröffnungssong "Four Letter Word". Und man kann gar nicht anders als an seinen Bruder Noel zu denken. Eine böse Zunge hat mir schon vor dem Konzert der Beady Eye ins Ohr geflüstert: "Das ist wie Oasis, nur ohne die Hits". Irgendwie habe ich diesen Satz während der ganze Stunde des Konzerts genauso wenig aus dem Kopf bekommen, wie Liam seine geknickte Pose vor dem Mirkoständer geändert hat. Klar, was bitte schön hätte ich mir schon erwarten sollen? Ist doch schon im Artikel von Kollege Rotifer von "einer Art britischer Volksmusik, quite traditional" die Rede gewesen. Seltsam nur, dass von Anbeginn Liam sein weißes Handtuch um die rechte Hand gewickelt hatte. Fast so als könnte ihm es gegen Ende der Show als Zeichen der Kapitulation vor dem Zahn der Zeit, der an ihrer Musik nagt, dienen. Als Versöhnung für seinen aufgesetzten, alleinig der Provokation dienenden Grant. Da hilft es auch wenig, wenn seine Band durch präzises Spiel glänzt. Vor allem Schlagzeuger Chris Sharrock macht eine famose Figur, während die anderen Saitenmusiker das Set recht gelangweilt herunter schrammeln. Okay, über Gitarrist Andy Bell von meinen geliebten Shoegazern Ride kann ich auch nichts Schlechtes kommen lassen. Trotzdem, bei den tausenden Leute vor der Bühne kommt nur bei einem Bruchteil die gute alte 1960ies Rock'n'Roll Stimmung auf. Für die Anderen beginnt mit dem ersten Song das lange Warten.
Auf Seeed.

Die Spannung, die während Beady Eye völlig weg war, liegt wieder in der Luft. Doch das Warten nimmt kein Ende. Noch bevor all zu viele "Buuuh"-Rufe laut werden, betreten Seeed mit halbstündiger Verspätung die Bühne. Endlich sind die Berliner im Haus. Nach vier Jahren Pause, wie sie selbst anmerken. 2007 sei das Reggae/Dancehall/Dub und Beatwunder zum letzten Mal aufgetreten, jetzt feiert die Combo rund um Peter Fox nach zwei kleinen Aufwärmgigs ihr "Comeback". Und vom ersten, tief in die Magengrube drückenden Bass ist klar: Seeed sind ein würdiger Headliner des ersten FM4 Frequency Tages. Dazu haben sie bloß die schicken Anzüge von Interpol klauen und mit dem weißen Handtuch von Liam Gallagher wacheln müssen. Passend zum Wetter und besagtem Handtuch scheint die Bühnendeko unter dem Motto zu stehen: "Wie bekomme ich ein Orchester in eine finnische Sauna?" Dazu wiehern wilde Pferde aus der Konserve. Denn das Warm-up klingt fast nach althergebrachtem Crossovermetal. Aber keine Angst, bei der Aufforderung an die österreichischen Mädels ihre Teile zu schwingen ist er schon wieder da, der verhatschte, sympathisch verschleppte Seeed-Beat. Damit kann man wirklich die Wochentage überstehen bis zur heiß ersehnten Party, die diesmal schon am Donnerstag über die Bühne geht. Und das mit einem Haufen an "Remixen", wie es Peter Fox immer wieder ankündigt. Als frisches Teil, das die verdammt tighte Backingband ganz locker aus ihren Anzugärmeln schüttelt, verkaufen uns Seeed einen Neuinterpretation des 1986iger Klassikers "Wonderful Life" von Black. Doch das Hormon, das die Jungs aus Berlin kickt, bleibt ihr fetziger Dubstyle, der dann gleich den "heißen Frequency Dance Junkies" gewidmet wird. Aber nicht genug mit der Hitze, Soft Cells "Tainted Love" wird in geschmeidiger Manier zu "tight pants" umgedichtet, die durch genügend shaken die gewünsche Freiheit wiedererlangen sollen. Also, statt weg mit dem Speck wird er bei den Seeeds kräftig geschüttelt. So zum Beispiel, wenn M.I.A.s "Paper Planes" zur Hamburg-Hymne umgemodelt wird und sich die Berliner bei ihrem uralten "Dickes B" dann gleich selbst remixen. Das alles macht mächtig Spaß, wirkt aber mit dem Medley-Charakter auf die Länge manchmal etwas orientierungslos. Nach eineinviertel Stunden tanzen Seeed dann locker von der Bühne. Eine Zugabe lässt nicht lange auf sich warten. Denn selbst wenn das Stehen mittlerweile super schwer fällt, ohne den "Dancehall Caballeros" verkriecht sich hier niemand ins Zelt am Campingplatz. Die Party geht weiter. Bei manchen vielleicht, bis morgen "Angel At My Tabel" den zweiten Tag eröffnen. Wir werden sehen...