Erstellt am: 14. 8. 2011 - 23:06 Uhr
Fußball-Journal '11-85.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit einem Plädoyer für eine Anpassung von Liga- und Verbands-Strukturen an die durch Europa vorgegebene und von den großen Klubs bereits ansatzweise praktizierte Redimensionierung des heimischen Fußballs.
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Seit dem hirn- und strategielos vorbereiteten und deshalb zurecht verlorenen Länderspiel am Mittwoch habe ich drei österreichische Matches gesehen: Austria Lustenau gegen den LASK am Freitag, Sturm - Rapid gestern und heute Ried gegen Salzburg. Bis auf das von Ricardo Moniz nach Jahren der dümmlichen Marketing-Tänze endlich auf einen sportlich schlauen Weg gebrachte Team aus Salzburg hat sich alles andere wie deutsche dritte Liga angefühlt, teilweise war das Gebotene wirklich erbärmlich.
Trotzdem habe ich kein schlechtes Gefühl für die nächste und übernächste Woche, die darüber entscheiden wird, inwieweit Österreich, die Bundesliga international vertreten sein wird.
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Die unwürdigen Liga-Matches sind vielleicht sogar die einzig mögliche Vorgangsweise innerhalb eines Entwicklungs-Prozesses, der seit ein paar wenigen Jahren angelaufen ist und viele (die meisten) noch überfordert.
Denn diese Redimensionierung, die Neuausrichtung von Anspruch und Wirklichkeit, die den Einzug ins 21. Jahrhundert ermöglichen (über zehn Jahre zu spät, aber immerhin...) hat noch nicht alle Bereiche erfaßt, hat noch nicht alle Player erreicht.
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Bislang sind es hauptsächlich die großen Vereine, die diese Bewegung tragen. Sie haben nicht nur erkannt, sondern auch akzeptiert, dass sie im Kreislauf der Fußball-Hierarchie die Zulieferer-Position einnehmen: man bildet aus, verkauft und steckt die Einnahmen wieder in Ausbildung. Zusatzeinnahmen aus der Teilnahme am Europacup (und in Österreich ist das die einzige Möglichkeit, da fette Einnahmen durch Sponsoring oder ein großes Stadion wegfallen) sind in die Infrastruktur zu reinvestieren um die Ausbildungs-Kreisläufe möglichst dicht zu halten.
Sturm Graz hat das nach der Kartnig-Katastrophe erkannt, Rapid und Austria Wien nach diversen beinahe-Pleiten, Salzburgs Beherrscher Red Bull hat dieses Prinzip erst vor wenigen Monaten akzeptiert.
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Diese vier stellen die oberste Kaste dar, einzelne Vereine aus der Preisklasse darunter haben das Modell für sich adaptiert: Ried fährt es mit den größten Erfolg, Mattersburg tut es aktuell mit halber Kraft, in Innsbruck oder Kapfenberg kämpft man noch, Altach und Austria Lustenau versuchen einen alemannischen Sonderweg.
Der Rest ist noch nicht soweit, befindet sich entweder noch im alten Herrenbauern-Denken oder ist überfordert was den ökonomisch-philosophischen Überbau betrifft.
Bestes Beispiel dafür sind die meisten Landesverbände und ihre Funktionärsschicht, die wiederum den ÖFB definiert. Dessen Probleme sind zu einem Gutteil auf das Unvermögen dieser Frühstücksdirektoren zurückzuführen sich der nötigen Redimensionierung geistig zu stellen.
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Die Bundesliga ist gespalten - die jüngeren Kräfte wissen worum es geht; sie werden aber von der alten Garde, die strukturell ebenso gebaut ist wie die des ÖFB, gebremst.
Sonst würde die Redimensionierung nämlich auch längst schon die Struktur der Liga umfassen. Die ist nämlich so wie sie aktuell läuft nicht in die nächsten Jahre zu bringen.
Weil man dort aber aktuell so derart im Hintertreffen ist, sehen die Liga-Leistungen auch so aus wie sie aussehen. Bei den kleineren Vereinen, also allen außer den aktuellen Top 4-5, geht nicht viel, weil die Substanz nicht besser ist - die in Europa involvierten Klubs hingegen haushalten aktuell vorsichtig. Und das führt, direkt oder indirekt, zur Bescheidenheit des Gebotenen.
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Dass Salzburg die Ausnahme darstellt, liegt daran, dass dieses Truppe die einzige ist, die ihre Redimensionierung nicht nur bereits verinnerlicht hat, sondern sich auch schon sportlich eingependelt hat. Sowohl die Bundesliga-Tabellenführung als auch die Tatsache, dass sie das einzige Ö-Team in Europa sind, das noch kein Spiel unterlegen war, belegen das.
Sturm Graz schafft diese Balance nur auf Raten. Wenn sie die Chance auf die Champions League nützen (selbst wenn sie dort dann so schlecht aussehen sollten wie zuletzt Rapid), kurbeln sie auch ihren Exportwert an. So wie es etwa Ried durch den vielbeachteten Auftritt in der Kopenhagener Vorstadt bereits gemacht hat. Oder die Austria Wien bereits seit zwei Jahren als Maxime in der Transfer-Politik drin hat.
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Diese Teams sind aber ebenso wie Rapid noch nicht zu 100% in der Lage das neue, redimensionierte Level zu halten. Denn das bedeutet sich nicht auf überteuerte Kräfte aus dem Reservoir der Abgehalfterten zu stützen (wie das bis hin zum Vorjahr üblich war), sondern auf selbstegezogene (oder günstig erworbene) Qualität zu stützen. Da ist die Schwankungsbreite noch zu groß.
Der Job der Bundesliga wäre es nun nachzuziehen was die Redimensionierung betrifft.
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Klar: das alpine Klima des Landes lässt vieles nicht zu. Ausgedehntere Spielzeiten im Winter etwa. Darauf nimmt der österreichische Fußball Rücksicht, nicht ausreichend, aber immerhin.
Aber auch Topographie und Geopolitik schränken ein: struktur- und bevölkerungsschwache Gegenden, die verkehrstechnisch schlecht zu erreichen sind, etwa. Das wiederum ist aber eigentlich allen egal: Österreich leistet sich eine Liga-System, das so tut, als wäre man flach und einwohnerstark
Und zwar deshalb um eine Einkommens-Basis zu garantieren, das dem alten System (von der Hand in den Mund leben) entspricht: wenn man damit rechnen muss, dass die aktuellen Spiel-Einnahmen von Steuer oder Finanz gepfändet wird, nicht unlogisch.
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Für eine moderne, unhysterische, nicht mehr an allen wirtschaftlichen Vernunftrichtlinien selbstbetrügerisch vorbeigeschwindelte Reform von Spielplan und Liga-Aufbau ist es angesichts der (durch Europa quasi erdrängten) Redimensionierung der Spitzenklubs hoch an der Zeit.
Wer einmal begriffen hat, dass sorgsamer Aufbau, Regeneration und eine echte Sommerpause nicht nur die individuellen und kollektiven Leistung verbessern, sondern genau dieser Redimensionierung, der der internationale Fußball gerade durchläuft, stützen, der sollte sich auch gegen die vorgestrig-kleinliche Kumulierung von soviel Spielen wie möglich aussprechen können. Das mag für die Herrenbauern und Kartnigs aus dem letzten Jahrhundert von Bedeutung gewesen sein - im 21. Jahrhundert zählen andere Faktoren, auch ökonomisch. Selbst und vor allem im Fußball.