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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 8. 2011 - 22:54

Journal 2011. Eintrag 152.

Die Flucht in die Zeitschleife. Der Retro-Futurismus hat das Kino gekapert.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Heute mit einer zarten Freudenbekundung über die Hilfestellung eines Textes von Georg Seeßlen zu "Super 8" und der müden Recycling-Kultur des Mainstream.

Dazu passt: Christian Lehner über Simon Reynolds Retromanis.

Seit ich den ersten Trailer zu "Super 8" gesehen habe, schaudert es mich. Nicht vor irgendwelchen Monstern oder Unheimlichkeiten, sondern vor diesem Film, seiner Machart oder besser, wofür das steht.

Das hat wenig mit JJ Abrams zu tun und damit, dass mir "Lost" ein bisserl am Arsch vorbeigegangen ist; auch nichts mit der aufreizend konventionellen Mache - gegen die Spielberg-Blockbuster, auf die sich "Super 8" so offensichtlich bezieht, hab ich ja auch nichts - Close Encounters, ganz wunderbar. Sondern mehr mit genau dieser Offensichtlichkeit.

Das große Mainstream-Kino, das sich ja gar nichts mehr traut außer Fortsetzungen und Wiederholungen, lässt selbst die pfiffigsten Geschichtenerzähler (und das ist Abrams mit Lost ja wohl - das nehme ich trotz personlichem Dislike auch wohlwollend zur Kenntnis) nicht wirklich von der Leine, sondern drängelt sie in eine Referenz-Rolle.
Klar, mit Spielberg als Produzent kommt dann nicht viel mehr als eine bessere Hommage raus.

Wer rettet mich vor dem "Super 8"-Hangover?

Aber das kanns doch nicht sein; das ist doch wirklich zu schwach. Es ist dann nicht einmal die Schwäche. vor der mir dann schaudert (gar nicht nämlich, Schwäche, das kann ganz schön und echt geil sein, künstlerisch...), sondern ihre so wehr- und alternativlos gedachte Zurkenntnisnahme.

Super 8 ist nämlich, zumindest in meinem Umfeld, kein misslungener oder deutlich an der eh schon niederen Erwartungshaltung gescheiterter Irrtum, sondern doch eh recht super eigentlich. Und mein Umfeld ist ein Top-Umfeld, das versteht sich.

Ich hab mich dann nicht weiter damit beschäftigt - auch schade, irgendwie, aber: die schwindende Rolle von Popkultur, die minimierte Bedeutung von Mainstream-Kino (da schenkt sich diese Branche mit der Popmusik nichts) für das Bruttosozialprodukt der globalen Kultur-Nation lassen nicht viel mehr zu; zumindest nicht im Journal-Haushalt.

Georg Seeßlen, der Blöd-Maschinen-Held dieses Sommers!

Aber jetzt ist mir Georg Seeßlen zu Hilfe gekommen.
Seeßlen ist diesen Sommer zwar der zentrale Experte für etwas Größeres als Kino, nämlich die Blöd-Maschinen, die unsere Leben zu stark bestimmen, um sie nicht zur Kenntnis zu nehmen, aber Seeßlens eigentliche Profession ist ja die Beschäftigung mit dem Kino.

In der neuen Spex ist nämlich ein Text über genau mein Problem zu lesen. Retrocinemania heißt er, steht auf Seite 66 und ist aktuell nicht online verfügbar.

Seeßlens Ansatz: die Popkultur ist aktuell nicht anderes als die Kunst sich im Kreis zu drehen ohne dabei umzufallen. Klar, alles ist seit immer schon einmal dagewesen, alle Geschichten erzählt, alle Bilder gemacht.

Seeßlen sieht aber, und damit fasst er meine schwammige Gefühligkeit in klare Worte, eine Abschaffung der Gegenwart, die so vielleicht zuletzt im 19. Jahrhundert der Fall war. Er nennt es ein von diversen Interessen angetriebenes "fortschreitendes politisch-ökonomisches Projekt", das den Rückbau von Kultur betreibe. Allerdings waren die Flucht in die Vergangenheit und die Flucht in die Zukunft immer schon Teil des Kinos (schönes Wort dafür: Retro-Futurismus) - weswegen es dann nicht weiter auffällt, dass die Geschichten systematisch weniger (bis gar nichts mehr) über die Gegenwart erzählen.

Die Flucht aus der unbewältigbaren Gegenwart ...

Das System Spielberg (die ganz alte, im Kern batzweiche Geschichte mittels innovativer Technologien zu erzählen) hat sich mittlerweile aufs gesamte Kino ausgebreitet. Und natürlich ist Abrams "Super 8" da ein Musterschüler, ein Streber sogar: es steckt formal und inhaltlich in der Zeitschleife fest, spielt teilweise damit, ohne sich aber ernsthaft gegen die Belanglosigkeit der Gegenwartsbezugslosigkeit zu wehren. Der Camp-Faktor existiert nur noch in Spurenelementen.

Der Retrofuturismus, sagt Seeßlen, konstruiert Zukunft aus der Vergangenheit - unter Umgehung der Gegenwart.
Das ist auch der Grund der akuten Abwesenheit von Science Fiction - die ist, per se, die Hochrechnung der Gegenwart in eine künftige Perspektive. Auch und vor allem der SF-Bereich im Kino ist von Retro-Würsten überwuchert.

... in eine aus der Vergangenheit zamgeschusterte Zukunft

Die neuen Sichtweisen, die innovativen Technologien, die uns bis vor ein paar Jahrzehnten noch das Gefühl gegeben haben, ein intelligentes Produkt innerhalb einer gefinkelten Verweis- und Zitate-Kultur vor uns zu haben, sind allerdings ausgereizt.
Und abgesehen davon hat die Zitate/Verweis-Kunst ihr Ablaufdatum auch schon überschritten, ähnlich wie in der Popmusik.

Das Mainstreamkino, sagt Seeßlen, träumt sich in seine Geschichtlichkeit zurück, also an einen Ort, an/in dem es noch Bedeutung hatte. "Super 8" ist einer dieser Fluchtorte.

Die einzige Aussage, die das retrofuturistische Kino trifft, und das wohl eher unabsichtlich, ist: jede Epoche ist ein "gesellschaftliches und ästhetisches Konstrukt".

Das ist aber zu banal, um alles zu sein, was eine so wirkungsmächtige Kunst wie der Film zu sagen hat. Und genau das war es, was mir soviel Unbehagen bereitet hat, im Zusammenhang mit dem neuen Abrams. Danke, Herr Seeßlen, fürs Aufdenpunktbringen!