Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Teenager mit Gewaltphantasien"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

16. 8. 2011 - 15:27

Teenager mit Gewaltphantasien

Mit "Erschieß die Apfelsine" hat der schwedische Bestsellerautor Mikael Niemi einen Roman übers Erwachsenwerden geschrieben.

Der Klappentext und das knallige Cover von Mikael Niemis neuem Roman versprechen ein launiges Jugendbuch, das von typischen Pubertätsproblemen handelt: erste Liebe, Identitätsfindung und Beliebtheitskämpfe in der Schule.

Buchcover Erschieß die Apfelsine von Mikael Niemi

btb-Verlag

"Erschieß die Apfelsine" ist im btb-Verlag erschienen. Übersetzt aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt.

Doch schon bald tun sich hinter der harmlosen Fassade Abgründe auf, wegen derer das Buch in Dänemark sogar kurzfristig auf dem Index gelandet ist. Teenager mit drastischen Gewaltphantasien sind nämlich gar nicht lustig.

Lieber sollten sie mich hassen

Mikael Niemis namenloser Held ist 16 Jahre alt und geht in einer schwedischen Kleinstadt aufs Gymnasium. Seine MitschülerInnen teilt er in versnobte Arschgeigen und duckmäuserische Idioten ein. Die einen kriegen alles auf dem Silbertablett serviert, die anderen passen sich an und kuschen.

Er selbst will zu keiner der beiden Gruppen gehören, und unternimmt stattdessen irritierende Selbsterfahrungsversuche. Er läuft zum Beispiel wochenlang in einem blumengemusterten Putzkittel aus den Sechzigern durch die Gegend, oder klebt sich einen Tag lang den eigenen Rotz auf die Wange.

"So einen gelbschleimigen Rotzknoten von riesigem Umfang, der an der Fingerspitze kleben blieb. Ich wollte ihn gerade abstreifen, als mir eine Idee kam. Es sah aus, als hätte ich versucht, mir die Nase zu putzen, aber das Papier vergessen. Es war das Ekligste, was ich je gesehen hatte. Ich drückte mir den Dreck an die Wange (...), zog mir die Jacke an (und) begab mich hinaus in die hässliche Welt."

Um jeden Preis will der Ich-Erzähler im Roman Aufmerksamkeit erregen und Reaktionen provozieren. "Von allen übersehen zu werden" sei nämlich "der Tod", ist er überzeugt, "lieber sollten sie mich hassen".

Berauscht von der Kraft der Sprache

Portrait Mikael Niemi

Dan Norra

Auch Mikael Niemi (*1959) hat als Jugendlicher Verse geschrieben. Der Titel seines ersten Gedichtbands war "Nasenbluten beim Gottesdienst".

Denn lange genug ist der 16-Jährige von niemandem wirklich wahrgenommen worden. Für die Mädchen in der Schule ist er Luft, die Burschen stoßen ihn höchstens mal zur Seite. Als chronischer Einzelgänger, der mit seiner Mutter in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt und kaum Zukunftsperspektiven hat, hat er eine Menge Zorn und Komplexe angestaut.

Eines Tages findet er dafür aber ein wunderbares Ventil. Er entdeckt die Poesie für sich und schreibt Verse wie: "Sterne aus Blut, wenn die Brust geöffnet wird", "Die Feder ist meine Pistole" oder "Das Herz gefüllt mit Benzin und geworfen, dass die Seelen brennen".

Berauscht von der Kraft der eigenen Sprache schöpft der Pubertierende neues, bisweilen fast größenwahnsinniges Selbstvertrauen. Er fühlt sich wie ein anonymer Messias, verbreitet subversive Botschaften, und sprayt das radikalste seiner Gedichte an die Schulmauer. Mit dieser Aktion setzt er allerdings eine Entwicklung in Gang, die ihm eine Nummer zu groß werden wird.

Von Mikael Niemi sind außerdem erschienen:

  • Der Roman "Populärmusik aus Vittula", der in 24 Sprachen übersetzt und 2004 verfilmt wurde.
  • Der Krimi "Der Mann der starb wie ein Lachs",
  • und die Kurzgeschichtensammlung "Das Loch in der Schwarte".

Denn über all seiner wütenden Selbstbezogenheit hat der 16-Jährige übersehen, dass sein nerdiger Freund Pålle weit schlimmer dran ist als er, und von Gewalt nicht nur redet.

Psychogramm einer desillusionierten Jugend

In „Erschieß die Apfelsine“ zeichnet Mikael Niemi das Psychogramm einer desillusionierten Jugend, die zwischen konsumgeilem Mitläufertum und gewaltbereiter Totalverweigerung nur wenige Nuancen zeigt.

Sein Witz und seine Direktheit in der Sprache machen das Buch zwar zu einer kurzweiligen und stellenweise auch wirklich lustigen Lektüre.

Wenn allerdings deutlich wird, dass die Jugendlichen tatsächlich an der Kippe zum Amoklauf stehen, laufen vor dem inneren Auge schon die Breaking News ab, wie man sie etwa von den jüngsten Anschlägen in Norwegen kennt. Das wiederum hinterlässt ein dumpfes Gefühl. Unscheinbare Pickelgesichter, die sich zu Schießübungen treffen, sind einfach nicht zum Lachen.