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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 8. 2011 - 23:43

Journal 2011. Eintrag 151.

Die Feinde der Zivilisation. Die alten Rechten erkennen die Gefahren der neuen Rechten.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Heute mit der Ausstellung eines radikalen Kommentars im Zürcher Tagesanzeiger. Die lachhafte Politik des Pressegroßhandels-Monopolisten Morawa verhindert die Verbreitung des Tagi in Österreich; er ist online zu lesen - was ich zu selten tue; deshalb danke an Elke Lahartinger fürs Auffinden (und für ein Zitat am Ende).

Zwei Tage später nimmt sich im übrigen Frank Schirrmacher, auch so ein Parade-Konservativer, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung desselben Themas an...

Der Tagesanzeiger ist die andere große Tageszeitung der Schweiz, ebenso wie die NZZ in Zürich beheimatet. Der Tagi ist die etwas besser verkaufende, etwas mehr gelesene und zart-liberalere Variante der alten Tante, man schenkt einander aber kaum etwas, was Zurückhaltung, Vorsicht, Bewahrung betrifft. Im Gegensatz zur künstlichen Erregung und Empörungs-Kultur der österreichischen Verhältnisse sind diese Blätter weltläufig, überblicksbewahrend und unaufgeregt.

Constantin Seibt war 2007 Journalist des Jahres, was mit seinen Berichten zum Swiss Air-Prozess zu tun hat. Seibt ist einer der Star-Autoren des Tagi, einer, der zum Nachdenken freigestellt wird; etwas, was es im österreichischen Journalismus nicht mehr gibt, auch (besser: schon gar) nicht in der sogenannten Qualitätspresse.

Seibts SVP-Analyse etwa, in der er ihre Aktionen auf Bürgerlichket abklopft, ergibt Verblüffendes.

Vor ein paar Tagen hat Seibt nun einen Kommentar verfasst, der sich gewaschen hat. Der rechte Abschied von der Politik skizziert, von der grotesken Politik der neuen Rechten in den USA ausgehend, ein völlig neues Denk-Szenario.

"There is no such thing as society"

Zunächst zitiert Seibt den Chefredakteur des erzreaktionären Daily Telegraph, Charles Moore: "Die Reichen werden reicher, aber die Löhne sinken. Die Freiheit, die dadurch entsteht, ist allein ihre Freiheit. Fast alle arbeiten heute härter, leben unsicherer, damit wenige im Reichtum schwimmen. Die Demokratie, die den Leuten dienen sollte, füllt die Taschen von Bankern, Zeitungsbaronen und anderen Milliardären."
Moore und sein Medium waren wohlgemerkt einer der wichtigsten Unterstützer des Destruktions-Werks der Thatcher-Regierung in den 80ern, die nach dem Motto There is no such thing as society den Sozial-Vertrag zwischen den Klassen aufkündigte, die Ära der schrankenlosen Gier eröffnete und damit das verschuldet hat, was heute über das Land kommt.

Moore schließt mit der resignierten Feststellung, dass die Hoffnung, freie Märkte würden freie Menschen hervorbringen, nicht erfüllt worden sei und schockt seine Stammleser mit dem Satz "Ich fange an zu denken, dass die Linke vielleicht doch Recht hat".

Dann zitiert Seibt die jüngste Äußerung des konservativen New York Times Publizisten David Brooks über die Tragik der Republikaner. "Die Mitglieder dieser Bewegung akzeptieren die Logik des Kompromisses nicht, egal wie gut die Offerten sind. Tausend Experten können ihnen sagen, dass ein Staatsbankrott furchtbare Effekte nach sich zieht, die schlimmer als eine kleine Steuererhöhung sind. Aber sie hören sie nicht."

Die Oligarchie als neue Herrschaftsform

Der Grund für die strategisch verheerende Haltung der durch die Tea Party Radikalen gelähmten Partei ist, so Brooks, dass sie sich lieber in ihren hysterischen Radio-Shows, in ihren geifernden Ghettos in einem ewigen Wahlkampf bewegen, anstatt Politik als die Kunst des Möglichen zu betrachten. Das sei eine Bankrott-Erklärung, die Verabschiedung aus der Realpolitik.

Seibt sagt nun, dass es sich hier nicht um Kinkerlitzchen handelt: diese Probleme sind das aktuell größte Problem der ganzen Welt. Denn neben blinder Sparpolitik und ebensolcher Deregulierung der Finanzmärkte (wieder...) treiben diese Haltungen die westliche Wertegemeinschaft in einen grotesken Fundamentalismus. Seibt spricht von der "Installierung einer Oligarchie", einer neuen politischen Herrschaftsform.

Das Erfolgsrezept dieser Radikalisierung, sagt Seibt, liegt in der Einfachheit der Argumentation. Und damit schlägt er den Bogen von den USA über die europäischen Rechts-Populisten bis hin zur bereits existierenden russischen Putin-Oligarchie. Einfache Scheinlösungen für alle Probleme, die die komplexer werdende globalisierte Welt nach sich zieht.

Sozialismus für Reiche

In weiterer Folge erklärt Seibt seine Sicht der Weltökonomie, wie die neue Koalition von Politikern und Wirtschaftsbossen aus Angst und Gier ganze nationale Wirtschaften versenken. Durch die Rezepte der Rechten.
Statt das zu reflektieren, radikalisiert sich die Rechte aber noch mehr, bunkert sich ein, Seibt sagt: "Sie besäuft sich an ihrer eigenen Einfachheit."
Man glaubt den ideologiegetränkten Blödsinn, den man jahrzehntelang aus strategischen und politischen Gründen gepredigt hat, plötzlich selber.

Seibt zitiert Krugman: "Die Rechte redet von Schulgebeten, von Waffenbesitz, Schwulenehe, Wohlfahrtsempfängern, die Mercedes fahren, sie redet von Stolz, dem einfachen Mann, der verbrecherischen Elite und amerikanischen Werten – und wenn sie an der Macht ist, beschließt sie Steuererleichterungen für Reiche."
Dass immer mehr politische Parteien von Milliardären geführt werden, ist die logische Konsequenz, Stiglitz nennt das "Sozialismus für Reiche".

Sich aus Hass und Angst nähren

Seibt meint, es wäre der Kardinalfehler der Liberalen und Linken, diese Oligarchen für Politiker im klassisch-konservativen Sinn zu halten. Obama glaubt das, und muss zulassen, dass diese Leute die USA als Geisel nehmen.

Das, was die westliche Welt seit 1945 zusammengehalten hat, die Fähigkeit der Konserrvativen, der Liberalen und der Linken, Kompromisse zu schließen, das ist vorbei.
Auch weil jede Krise die neue oligarchische Rechte wieder stärkt: "Sie werden gewählt und befeuert von der Angst und dem Hass der Verlierer, die ihre Politik schafft."

Was tun?

Seibt sagt: Nicht den Kopf verlieren; genau hinsehen; nicht das allgemeine Gerede übernehmen.

Und: die Ökomie, die wie noch nie alles beherrscht und überlagert, besteht hauptsächlich aus Jargon. Ist ein Papiertiger.
Die Verschlagwortung von praktisch längst gescheiterten einfachen Rezepten, die so tut, als wäre Wirtschaft eine Wissenschaft. Ist sie nicht. Seibt nennt sie eine Kunst, andere finden bösere Begriffe.

Mit der Frage, wo die Alternative wäre, beginnt Politik,

sagt Seibt.

Und er zitiert eine alten Republikaner, Oliver Wendell Holmes: "Ich zahle gern meine Steuern. Mit ihnen kaufe ich mir Zivilisation." Es braucht die Konservativen dieses Schlags, sagt Seibt. Und wird dann in seinem Schlussabsatz noch deutlicher: "Es lohnt sich, gegen die neue Rechte anzutreten: Sie sind keine konservative Partei, sondern eine revolutionäre. Sie sind eine Gefahr für die Wirtschaft. Sie sind Totengräber der Mittelklasse. Und Verbündete einer neuen Oligarchie des Geldes. Sie sind die Feinde der Zivilisation."

Constantins Seibts Der rechte Abschied von der Politik ist in online-Tagesanzeiger nachzulesen.

Die patscherten Versuche des Appeasement dieser rechten Spinner, das vom Mainstream, auch und vor allem den Medien betrieben wird, hat zu einer Koordinatenverschiebung des gesamten Diskurses geführt, der den Irrsinn ganz normal erscheinen lässt.
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