Erstellt am: 17. 8. 2011 - 15:47 Uhr
Tagebuch zum Jahr des Verzichts (25)
marc carnal
2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.
Sonntag, 7. August
■ Ich bin ja ein absoluter Morgen-Mensch. Ich verschiebe alles auf morgen.
■ "Mit Irmi ist überhaupt nichts mehr los - einmal pro Monat zu ihrem Menopausentee mit ihrem Schabrackenklub und das war's dann auch schon!"
(Satzbeispiel auf sprachnudel.de, laut Selbstdefinition ein "Wörterbuch der Jetztsprache")
■ Stehe verkatert zwei Minuten unter der Dusche und warte mit der Hand unter dem Duschstrahl darauf, dass das Wasser endlich warm wird, bis ich bedauernd bemerke, dass August ist.
Montag, 8. August
■ „Ob mich das Geld korrumpiert hat? Nein, ich glaube nicht. Es ginge auch ohne. Nur anders. Man müsste mehr Mühe aufwenden im Umgang mit Menschen.
Geld ist eine Abkürzung hin zum Wesentlichen. Das Leben besteht aus banalen Tauschgeschäften und heiligen Momenten. Je schneller die banalen Tauschgeschäfte abgewickelt werden, umso mehr Platz ist da für einen heiligen Moment.“
(Helmut Krausser in „UC“)
■ „brand eins“ ist ein verboten gutes Magazin. In fast jeder Ausgabe hat mich bisher noch fast jeder Artikel interessiert. Die Beiträge sind durch die Bank klug, fundiert, stilistisch einwandfrei und knusprig gestaltet.
Sagt einer, der sich sonst kaum für Wirtschaft interessiert.
Beim Exit Poll übrigens nicht einmal unter den ersten zehn …
marc carnal
Dienstag, 9. August
■ Die wirklich Prominenten, die Steinreichen und die tatsächlichen Entscheidungsträger sind zumeist viel unkomplizierter, geerdeter, klüger, bescheidener, großzügiger und weniger affektiert als B-VIPs, mittlere Manager oder Neureiche. Wer tatsächlich etwas gilt und erreicht hat, muss sich nicht zusätzlich bemühen, sich von der Masse abzuheben.
■ Der Monat ohne warmes Duschen ist freilich der bisher sinnloseste, weil man auf kein Suchtmittel und nichts in irgendeiner Form Schädliches verzichtet. Dennoch ist der kalte Schock in der Früh ein willkommener Kreislauf-Thrill. Man fühlt sich, wiewohl das eisige Wasser auf der warmen Haut nach wie vor Überwindung und Qual darstellt, danach frisch und voller Tatendrang.
■ Schlittere wie alle paar Monate in einer kurze „Fußball-Manager“-Suchtphase. Ein höchst unterhaltsames, aber auch durchaus sexistisches Spiel. Im sogenannten Privatleben hat man die Möglichkeit, eine Frau zu heiraten. Das Eheleben gelingt einzig und alleine, wenn man der Gattin alle vier Wochen ein teures Geschenk kauft. Die Kinder gedeihen ohne weiteres Zutun und werden gerne Fußballprofis.
Mittwoch, 10. August
■ Erstens: Langweilige Anekdote: Meine Mutter war kürzlich essen und bestellte sich die Kreation, die sie gekonnt arrangiert am Nachbartisch sah. Leider schmeckte ihr das Essen nicht.
Zweitens: Idee: Gibt es eigentlich Restaurants, die dem Gast erlauben, sämtliche Speisen vor der Bestellung zu probieren? Freilich in homöopathischen Dosen, damit sich der Sparefroh nicht nur am Versuchs-Angebot labt. Schließlich möchte man selbst bei Klassikern wie Schweinsbraten oder Schinkenfleckerl wissen, ob die Zubereitungsart der jeweiligen Gaststätte auch ansprechend ist.
■ Ein Hoch auf die Österreichische Nationalmannschaft! Bedenkenlos setze ich bei jedem Länderspiel durchaus nennenswerte Beträge auf die Gegner des Teams, solange sie nicht gerade Aserbeidschan heißen, und reüssiere damit stets.
Für das Spiel gegen Deutschland im September plane ich, Haus und Hof einzusetzen.
Donnerstag, 11. August
■ „Warmduscher“ – Seltsame Schmähung, wo doch geschätzte 98% der Gesamtbevölkerung warm duschen.
marc carnal
■ Lebte man gänzlich ohne Geschlechtstrieb, würde man Sex an sich als genauso lächerlich wie viele durchschnittliche pornographische Filme empfinden.
■ Entsetzlich, wie viele Dreißigjährige schon zu Nostalgie neigen und von „ihrer“ Zeit, Generation und Jugend schwärmen.
Freitag, 12. August
■ Der Ertrag der Österreich-Wette soll wie immer in ein schönes Abendessen investiert werden. Schlage den Wirten „Der Wirt“ in Währing vor, bei dem ein Afrikaner traditionelle österreichische Küche meisterhaft zubereitet.
Bedient werden wir von einem schätzungsweise Vierzehnjährigen. Das ist an sich nicht beunruhigend, arbeiten doch viele Schüler in den Sommerferien im Gastgewerbe, um sich Hardware oder Drogen kaufen zu können.
Das Essen kommt nach über einer halben Stunde. Die eigentlich gewünschten Käse-Spätzle entpuppen sich als Schmelzkäse-Suppe, in der vereinzelt Stückchen schwimmen, das Wirts-Pfandl ist ein ungewürztes Reste-Potpourri.
Ein Gewitter zieht auf. Aus reinem Heißhunger schlingen wir das Unbekömmliche zur Hälfte hinunter. Als ich den Lokus aufsuchen will, sehe ich, dass das gesamte Lokal plötzlich nur von Kindern geführt zu werden scheint. Gleich drei Halbwüchsige grinsen hinter der Bar hervor.
Der Himmel wird immer dunkler. Uns wird bang. Die Szenerie gemahnt uns unweigerlich an einen Stephen-King-Film. Eine Schar an Kindern betritt ein Lokal, ermordet das Personal mit phantasievoller Blutrunst und kocht das so gewonnene Menschenfleisch alsbald, um es ahnungslosen Gästen zu servieren.
■ Eier, Butter, Bier – Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (2)
DIENSTAGS-DATE
Ein Tête-à-tête steht bevor! Heute Abend wird sie kommen, SIE, der Wunsch deiner Tage und Traum deiner Nächte.
Empfange sie, in feinstem Zwirn und sorgsam gekämmt, wie eine Königin. Hilf ihr aus dem Mantel und führe sie, ihre samtene Hand vorsichtig umfassend, in dein festlich dekoriertes Gemach, wo sie im Schimmer des Kerzenlichts wie von höheren Kräften gelenkt in der Ottomane versinkt. Knie vor ihr nieder, wobei du ihren Blick, der dich gleichsam bang wie lodernd durchdringt, mutig erwiderst.
Umschmeichle sie sogleich mit aufregenden Komplimenten und verkappten Kühnheiten. Nun bedenke sie mit Geschmeide exotischer Provenienz, Juwelen, Elfenbein, Myrrhe und Konfekt! Ihr verwirrtes Herz ist schon halb erobert, dringe mit Raffinesse weiter zu ihr vor! Verstricke sie in hintergründiges Reden, reiße anzügliche Possen, verwirre sie mit unkeuschen Zoten und deute ideenreich Handfestes und Sinnliches an.
Bald wird sie deinem Sturm und Drang nicht mehr standhalten und die zarte Bande zwischen euch öffnet ihre blassroten Lippen für die deinen. Küsse sie geschickt und fordernd. Sodann sollt ihr im Liebesbad versinken und ficken, als gäbe es kein Morgen.
marc carnal
Aber vorher, vorher bring noch deine Hausschuhe zur Reparatur! Mit solchen Tretern willst du eine Dame empfangen? Und kauf ihr Blumen. Und für dich ein vernünftiges Duftwasser. Und vergiss die Dünge-Stäbchen nicht! Denn „Ackern und Düngen ist besser als Beten und Singen.“ (Volksmund)
Samstag, 13. August
Internationaler Linkshändertag
■ Habe berechtigten Grund zum Zorn. Eine kalte Dusche ist ein herrliches Mittel, um sich zu beruhigen.
■ Nach gar nicht so kurzer Recherche herausgefunden: Die Bedeutung der in Österreich verbreiteten Bezeichnung „Top“ für Türe. Nicht leicht zu googlen, da man eher Top-Wohnungen und Top-Türen an Top-Adressen findet statt der Lösung des etymologischen Rätsels.
„Top“ steht also für „topologisch“ und bezeichnet eigentlich Raumgruppen, z.B. Abteilungen. (Falls sich das sonst schon mal jemand gefragt hat.)
■ Weitere Kostprobe aus meinem Projekt, Battle-Rap-Lyrics zu verfassen, welche zwar inhaltlich jedes Klischee erfüllen, aber in ausgesprochen gewählter Sprache und zuvorkommender Haltung vorgetragen werden.
"Der höfliche Rapper aus gutem Hause schreitet zum Battle":
Der stetige Vortrag moderner und schneller
Musik schlägt sich freilich auch in finanzieller
Beziehung zu Buche, so bin ich, obgleich
ich nicht gerne prahle, geradezu reich.
Dadurch fällt es leicht, mein Verlangen nach Villen,
Vehikeln und feinstem Geschmeide zu stillen.
Mein Sprachtalent und mein Vermögen gepaart
mit meiner enthemmten und lustvollen Art
verlocken, egal ob im Herbst oder Lenz,
auch bildhübsche Girls jeder Provenienz.
In Scharen verlangen sie nach meinen Lenden
und flehen, ich möge sie allesamt schänden.
Auf äußerst pikante und wilde Manier
bescheren die bildschönsten Weibsbilder mir
Momente der Wonne und Sündhaftigkeit.
Zu gern bin ich Abend für Abend bereit,
sie mit meinem Traumkörper nach allen Regeln
der Kunst ohne Hemmung und Nachsicht zu vögeln.