Erstellt am: 11. 8. 2011 - 20:29 Uhr
Fußball-Journal '11-84.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute: über das unsägliche Slowakei-Spiel von gestern und die noch viel unsäglichere mediale Rezeption von heute.
Zum Match an sich und allen Implikationen ist bereits gestern, im Live-Ticker alles gesagt.
Das taktische Totalversagen von Constantini wird von der laola1-Taktkanalyse detailliert beschrieben.
Die Lage ist ernst, aber hoffnungslos.
Denn dort, wo die Fakten wie pralle Früchte auf ächzenden Ästen hängen, aber die, die die Vitamine dringend brauchen würden, um nicht elend an Skorbut zu verrecken, nicht imstande ist sie zu pflücken, gibt es kein Überleben.
Österreichs Fußball ist nicht überlebensfähig - das ist die Erkenntnis des gestrigen Länderspiels. Die Erkenntnis ist nicht neu, aber gerade in ihrer aktuell-redundanten Bestätigung so bitter.
Fakt ist: Das ÖFB-Team hat gestern kein "Pech" gehabt, es hat nicht "unglücklich" gespielt, es ist nicht an Einzel-Phänomenen wie fehlendem Torinstinkt gescheitert.
Österreichs Nationalmannschaft hat zu Recht verloren, weil sie eine Klasse schlechter als der Gegner war, in jeder Hinsicht: technisch (denn da lügt Trainer Weiss nur fromm), systemisch, taktisch, strategisch, spielerisch, kombinatorisch und organisatorisch.
Das reine Nichts zum bloßen Pech hochschwatzen
Die ÖFB-Coaches hatten keinen (oder, das ist nicht 100% geklärt, nur einen dummen) Matchplan, zu wenig Ahnung vom Gegner und keinen Plan B für den Fall des Rückstands, wohingegen Vladimir Weiss mehrere Varianten probierte und mit jeder Österreich vor eine neue, unlösbare Aufgabe stellte.
Dass ÖFB-Team war niemals, in keiner Spielsituation Herr der Lage. Denn Ballbesitz allein, das stellt ballverliebt fest, ist nichts wert. Vor allem, wenn man sich wehrlos der von Schaffers standard.situation erkannten schlauen Flügeltaktik der Slowaken ergibt.
Diese beiden Analysen und auch Kommentare von laola1 oder sport10 sprechen (ebenso wie, leicht verspätet laola1) das alles auch schonungslos an.
Der Rest, vor allem in den Holzmedien und bei den Host-Broadcastern, ist allerdings Schweigen.
Ein beredtes und bewusstes Totschweigen der Probleme und ihrer Hintergründe. Ausgeführt von einer Koalition der Ahnungslosen (unbewusst) und der Wissenden (bewusst).
Der Journalismus als Gigolo, als reines Ornament
Denn wenn man z. B., egal ob im Live-Kommentar oder im Nachbericht, nicht erkennt, dass die Positionierung von Hamsik der Schlüssel zum slowakischen Erfolg war, weil man es nicht sieht/weil es einem egal ist, dann ist man kein Journalist mehr, sondern ein reiner Begleiter, ein Gigolo, ein Ornament.
Wenn man Janko seine Isoliertheit vorwirft ohne zu beachten, dass die - falsche - Spielanlage nicht mehr als vielleicht fünf Flanken ermöglicht hat, die Schuld also anderswo zu suchen ist, dann macht man sich zum nützlichen Idioten derer, die diese Fehler begehen, lässt sich von der Nomenklatura der Mächtigen instrumentalisieren.
Und die bedient das Instrument recht anständig, spricht von Verbesserungen, wo es keine gibt, erzählt von Fortschritten, wo eine spielerische Wüste herrscht.
Die (vielen) Ahnungslosen unter den heimischen Fußball-Berichterstattern hatten noch nie so viele Möglichkeiten zur individuellen Aus-/Fort-/Weiterbildung wie heute, wo weltweit Videos und Texte zur Strategie des Spiels abrufbar sind - und machen daraus genau nichts. Ganz wie die überwiegende Mehrheit der vom Tellerrand behinderten Coaches dieses Landes.
Der Isolationismus nach rechtpopulistischen Standards
Die Wissenden hingegen wollen Fußball als Waffe der Unterhaltungs-Industrie auf einem bewusst niederen Rezeptions-Level halten - und fördern deshalb ganz gezielt die Verdummung des Publikums.
Denn das Reduzieren von komplexen Prozessen auf "Pech" fällt bei der österreichischen Seele auf fruchtbaren Boden - ganz wie in der Politik werden hier mit Mitteln des Populismus Nebel- und Blend-Granaten geworfen, die Feinde von außen (Nestbeschmutzer, den modernen internationalen Fußball, die Theorie etc.) verantwortlich machen.
Damit trifft man den politischen Zeitgeist des Isolationismus nach rechtspopulistischen Grundsätzen.
Genau hier trifft sich die Inszenierung von Mainstream-Media mit den Interessen der Profiteure am Wirtschaftszweig Fußball, genau da hängt man am Gängelband des anderen; und genau daran erstickt jede Entwicklungs-Möglichkeit.
Fahrlässige Oberflächlichkeit und die Blase der Ignoranz
Für ein Publikum und für Medienvertreter, die die simpelsten Geschehnisse auf dem Platz nicht erkennen und deswegen auch nicht bewerten können, für fahrlässig oberflächliche Scheinexperten (deren verheerende Rolle in diesem Text prototypisch analysiert wird), für wissensfreie Funktionäre ist es nämlich egal, was wirklich geschehen ist.
Da reicht ein oberflächlicher Reiz (der z. B. mit dem Begriff "unglücklich" stimuliert wird) und schon wird ein Schema abgerufen - und ab da ist dann das wirkliche Geschehen unerheblich.
In dieser Blase der Ignoranz ist der Teamchef der platten Ausreden König - und einstige Hoffnungsträger stehen ihm um nichts nach. ÖFB-Sportchef Ruttensteiner etwa prahlte nach dem gestrigen Deutschland-Spiel mit einer irren Entdeckung: Bei Ballbesitz wandelt sich das deutsche 4-2-3-1 in ein 4-3-3.
Das ist keine Verhöhnung, sondern ernst gemeint: Und man fragt sich, in welcher Welt die ÖFB-Granden bisher gelebt haben - wo dieser "neue" Fakt schon unter Klinsmann angewandt wurde.
Jetzt, im Schnellsiedekurs die Biermann-Matrix nachlesen (wie Constantini mittels Krone mitteilen lässt), wird dann, wenn man es nicht einordnen kann, nix nützen.
Die Medien als zentrales Aufmarschgebiet
Der Druck der "linken Partie" hat aktuell mehr Wirkung im undurchschaubaren Geflecht der Fußball-Mächte, und die Forderung nach einer internationalen Maßstäben würdigen Analyse, nach einer besseren Trainerausbildung und andere Strukturdebatten sind dort, auch in höchsten Kreisen, Thema.
Innerhalb der Medien ist das alles jedoch kaum Thema - obwohl genau dort das eigentliche Aufmarschgebiet der Problem-Bekämpfung aufzufinden wäre.
Denn in den Medien bekommen die reaktionärsten Bewahrer der alten Schule ihr Podium, in den Medien werden die populistischen Tricks aufgesogen und weitergedreht, in den Medien erfährt die das Spiel betreffende Ahnungslosigkeit der meisten Reporter ihre Potenzierung, die Medien transportieren vollständig kritiklos die allerdümmsten Ansagen, anstatt ihre Aufgabe als kritisches hinterfragendes Korrektiv zu erfüllen.
Letztlich ist die Krise des österreichischen Fußballs auch eine Krise der Medien. Genauso wie die Wirtschaftsredaktionen dieser Welt mitschuld an den großen Finanzkrisen sind, weil sie jahrzehntelang unkritisch jeden Schas hochgejubelt haben und ihre eigentlichen Kontroll-Aufgaben vernachlässigten, sind die Sport/Fußball-Journalisten mitschuld an der Misere.
Die Krise des Fußballs ist eine Krise der Medien
Wegen ihrer Nachlässigkeit und ihrer Verquickung mit dem System, dem Mithineinregieren des Boulevards in die wesentlichen Entscheidungen, haben sie im Kleinen das, was von den Verlagen im Großen, am politischen Parkett verbrochen wird, unverlangt kopiert.
Zu viele zur Kritiklosigkeit und zur reinen Systemerhaltung verdonnerte Journalistengenerationen haben das bereits wehrlos über sich ergehen lassen - und mit Geschenken und Streicheleinheiten, die ihnen die Branche zukommen lässt, betäubt.
Bislang konnte man sich über diese Mitschuld noch irgendwie hinwegschwindeln - in Zeiten des Web 2.0 lässt sich dieser abgehobene Zustand aber nicht mehr durchdrücken. Die Exklusivität der absichtlichen Blindheit hat ausgedient, die Sichtbarkeit der sozialen Medien bringt neue Aussichten.
Die Fußball-Nation, und der heimische Fußball-Journalismus ist ihr öffentlicher Vertreter, kann den Kopf nicht mehr lange in den Sand stecken, ohne daran zu ersticken. Eine kritische Öffentlichkeit neuer Qualität wird das nicht zulassen.