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Susi Ondrušová

Preview / Review

11. 8. 2011 - 17:03

Lagerfeuer

Nach dem Brand im Sony Lager in Enfield. Was machen die150 Indielabels, nachdem sie ihre Lagerbestände verloren haben?

Vor sechs Tagen hatte ich am Off Festival Mogwai´s Gitarristen Stuart Braithwaite vor dem Mikro und während wir über Primal Scream plauderten und darüber dass "Higher Than The Sun" sein Lieblings-Screamadelica Song ist, dachte ich noch nach, ob ich in der kurzen Interview-Zeit vom Thema dieser Creation Records-Veröffentlichung auch auf das Thema Labelinfrastruktur zusprechen kommen sollte. Schließlich betreiben Mogwai das Label Rock Action Records, auf dem nicht nur ihre eigenen Platten erscheinen, sondern auch befreundete Bands wie Errors oder Remember Remember. Ich habe nicht nachgefragt und nur drei Tage später stehe ich vor meinem Plattenregal und versuche mich zu versichern, ob das 2008 veröffentlichte Debüt von Remember Remember dort versteckt ist. Es ist nämlich etwas passiert.

Lagerfeuer

In Ägypten geht's den Menschen um ihre Freiheit, in England um die Fernseher, bemerkt jemand lapidar auf twitter. (Interessant siehe auch hier)
Im Zuge der Ausschreitungen in London, haben Jugendliche auch das Sony DADC Center in Enfield geplündert ("20 lads just came out with loads of wii-consoles and stuff...") und anschließend in Brand gesetzt.

Löscharbeite am brennende Sonylager in Enfield

EPA /DANIEL DEME

Nächtliche Löscharbeiten am SONY-Gebäude in Ensfield

Die 20.000m2 große Fläche des Sony DADC Gebäudes wurde unter anderem von der PIAS Entertainment Group als Lager für ihre Vertriebswaren in England und Irland genutzt. PIAS ist eine der größten Vertriebsfirmen in Großbritannien. Die Liste der Indie-Labels, die ihre Alben über PIAS vertreiben ist gefühlt endlos und beinhaltet bedeutend mehr als nur das, was man hierzulande unter dem Terminus "FM4 Musik" in den letzten Jahren kennen und schätzen gelernt hat. Von 4AD, über Domino zu XL Recordings. (Eine detaillierte Liste findet sich hier.)

Über kurz oder lang?

Durch den Brand sind die Lagerbestände dieser Labels komplett zerstört worden. So leicht sich das als Fußnote in eine Reihe von zahlreichen Plünderungen der letzten Tage eingliedert, so schwer lassen sich die Folgen auf eine ganze Industrie, die mit Schwierigkeiten und Verkaufsrückständen zu kämpfen hat, zusammenzufassen.

Denn hinter jeder einzelnen Plattenfirma stehen andere logistische Details, die entscheiden werden, wie jedes einzelne dieser betroffenen Labels überleben wird. Sprich: Wie schnell die zerstörten Waren durch Nachpressungen ersetzt werden. Indie-Labels, die über einen größeren Cashflow verfügen, werden ihre Release-Pläne mit kürzeren Verzögerungen einhalten können, während sie auf Versicherungsgelder warten. Labels die eine Nische in einer Nische sind, geringere Verkaufszahlen haben werden es schwieriger haben, weil sie umso mehr von einem gut gefüllten Lagerbestand abhängig sind auf den sie momentan keinen Zugriff mehr haben.

Frau fotografiert das brennende Sonylager in Enfield, London

EPA /DANIEL DEME

Aus dem SONY-Lager steigt noch immer Rauch auf

Beispiel Chemikal Underground

Chemikal Underground, die als PIAS-Partner das Sony Lager genutzt haben, greifen bei aktuellen Bestellungen, die zum Beispiel über den Webshop eintrudeln, auf ein Lager in Glasgow zurück. Die Frage ist, wie auf Bestellungen von Einzelhändlern reagiert werden kann und wird, ganz zu schweigen vom Label-Backkatalog: z.B. Alben von Bands, die gar nicht mehr existieren oder Alben, wo die geringe Nachfrage momentan keine Nachpressung rechtfertigt. Denn der Indiesektor ist im Longtail zuhause. Hier setzt man auf viele Titel die wenig nachgefragt werden, im Gegensatz zu wenigen Titeln die viel nachgefragt werden.

Beispiel Domino

Indessen meldet Domino Records UK, dass die Veröffentlichung der neuen Arctic Monkeys Single "The Hellcat Spangled Shalalala" zwar wie geplant am 15. August stattfindetn wird, aber unter limitierter Auflage. Denn "all stock going to usual retail outlets" ist zerstört. Die Domino-Kollegin aus Deutschland meint hingegen, dass sie ihre Lager-Lieferung schon bekommen hat, die sie "durch die nächsten Wochen bringen wird".

Beispiel Ninja Tune/Rough Trade

Rough Trade Deutschland, die für den 12. August den Release von Toddla T´s Album "Watch Me Dance" vorbereiten, sind schon mit Silberlingen für ihre Märkte beliefert worden. Die Vinylpressung ist im Feuer vernichtet worden und wird noch auf sich warten lassen. Jamie Collinson, Labelmanager von Big Dada und Head of International bei Ninja Tune, wo auch Sublabels wie Counter Records (The Heavy, Death Set ua) oder Big Dada (Roots Manuva ua) dazu zählen, spricht im Falle Toddla T von einer einwöchigen Verzögerung, die bitter ist, weil sie den "homemarket" betrifft.

Weiters erklärt er: "We lost about 100.000 units across all formats and the whole catalog. Some of that will be irreplaceable...But we tend to keep our stocks very trimm, most of the titles in there would be in active stock that we repress constantly and that we sell well. We have 21 years worth of back catalogue. It´s kind of a doubleedged world. We lost a lot of units because we have such a big backcatalogue and some smaller labels probably lost less units but at the same time because we have been around a bit longer and are a mid to large sized indie: we can survive without too much trouble. It might affect our cashflow for a couple of months and it might affect our profits if we don’t get the insurance through which we might not get of course because rioting isn't always covered but for smaller labels it might be much more difficult because they might struggle to pay for more stock to be pressed immediately which means they´ll loose orders and money coming in and it can all turn into a spiral. Everyone is concerned and hoping that doesn’t happen. In terms of us it will affect some figures at the end of the year but we´ll survive."

Die Beggars Group (Matador, XL, Rough Trade, 4AD u.a.) vermeldet, dass sie 750.000 Units verloren haben. "It will take the label ten days to replace the CDs and at least three months to replace their vinyl stock!" meint Beggars Group Chairman Martin Mills.

Zynische Stimmen vermelden mittlerweile, dass für den Fall, dass die Versicherungen die ganzen Herstellungskosten für die verlorenen Lagerbestände übernehmen, einige Labels nun auch Waren ersetzt bekommen, die sich sowieso nicht verkauft haben und auf denen sie sitzengeblieben wären.

Beispiel Memphis Industries

Ollie Jacob beschäftigt beim Indielabel Memphis Industries seinen Bruder Matt Jacob und einen Teilzeitmitarbeiter und im Jahr durchschnittlich 5 bis 8 Releases heraus. Er kann diesen Kommentaren nichts abgewinnen, denn „PIAS didnt encourage you to have a load of stuff sittin around in your warehouse and they charged you heavily for that, so you tended to keep things tight on the stock numbers.“

Memphis Industries vor dreizehn Jahren von den Brüdern Ollie und Matt Jacob gegründet, hat 90 Prozent ihrer Verkaufsbestände verloren. 10 Prozent ihres Backkatalogs so zum Beispiel auch das letzte Album von The Go! Team "Rolling Blackouts" befindet sich in ihrem Londoner Büro. Man braucht weniger als 140 Zeichen, um die Situation als "Devastated!" zusammenzufassen. Wenigstens ihr in Islington gelegenes Büro, das sie Anfang der Woche räumen mussten, ist von den Plünderungen verschont geblieben, so dass sie im Vergleich zu anderen Geschäftsbetreibern wenigstens einen Arbeitsplatz haben.

Das verbrannte Sonylager, in Enfield nach den London Riots

EPA /DANIEL DEME

Das ausgebrannte Lager

Für Ende August haben Memphis Industries den Release vom neuen Album der New Yorker Cymbal Eat Guitars vorbereitet, von der ersten Auflage liegen 150 Exemplare in ihrem Büro in Islington, der Rest wurde vernichtet und muss nachgepresst werden. Der Release wird verschoben. Was zu einer Zeit, in der Memphis Industries nur einen Release plant, weniger „crucial“ ist wie Ollie Jacob erklärt: „We´re in a fortunate position, earlier this year we had Phoenix Foundation come out and do really well, two weeks before the The Go Team came out and did really well and so if that stock had gone at a point where we had invested heavily in those bands, you know you´re never gonna catch up on that again. We´ve lost 3000 CDs with Cymbal Eat Guitars, we´re gonna play catch up and that record is gonna suffer but if we had 2, 3 lined up it´d been even worse.”

Der gebürtige Londoner erklärt weiter “We already got most of our keytitles repressed, that´s been the priority. At the same time we´re working with PIAS to see when they´ll be up and running in terms of having a warehouse and basically how long we´ll be without distribution. At the moment it´s looking surprisingly good as they´re saying they´ll be up and running and functioning at the end of next week which will be amazing.”

Support your local Indielabel

Das Feuer im Sony Lager hat gezeigt, dass die "Szene" traditionell zusammenhält. Im Bemühen, an einem Strang zu ziehen, lautet die Botschaft der Indielabels verständlich - aber angesichts der Situation der Riots allgemein auch ein wenig paradox - "Konsum!" Ob im labeleigenen Webshop oder auf digitalen Plattformen: Support your local Indielabel. Jamie Collinson von Ninja Tune meint: “I think it´s just emblematic of how futile all this rioting was over here really. It affects the artists that come from these areas and represent these areas!”

In einer Industrie, die damit zu kämpfen hat, dass ihre zukünftige und auch ehemalige "Zielgruppe" an haptischen Waren immer weniger Interesse zeigt, ist die Solidarität (#labellove) theoretisch irgendwie rührend, manche Fundraising Schritte aber auch unlogisch. Zum Beispiel der Aufruf, Geld für PIAS zu spenden. Die Betreiber von „Labellove“ meinen „ideally we want to distribute the money in relation to the percentage of stock lost by each label. If we can’t get the relevant information to do that then we will split it evenly between the PIAS clients.” Aha.

Es erübrigt sich zu sagen, dass der Verlust von Waren harmlos ist im Vergleich zu den Schicksalen vieler Londoner Familien, die durch die jüngsten Plünderungen und Brandstiftungen zum Beispiel ihre Wohnungen verloren haben. Insofern scheinen die Pläne vom Musikblog The Quietus angemessener: nämlich in mit Charity Konzerten helfen, Geld für die Community zu sammeln und bei diesen Events zusätzlich den betroffenen Labels eine Öffentlichkeit und Verkaufsplattform zu bieten. Zusammenhalt und Vorbilder sind eher Mangelware als MP3s und Vinyl, selbst wenn sie zwischen den Zeilen auf diesen Tonträgern gefunden werden können.

Ollie Jacob von Memphis Industries bemerkt auf die Frage wie die Stimmung im Moment ist, mit einem lachenden und weinenden Auge: „It helps that it started raining!“