Erstellt am: 11. 8. 2011 - 12:49 Uhr
Unruhen in England
Die letzte Nacht blieb es verhältnismäßig ruhig in den Straßen jener englischen Städte, in denen zuvor vier Nächte in Folge schwere Unruhen stattfanden. Zurückzuführen ist dies wohl auf die massive Polizeipräsenz, und dass Premier Cameron etwa erstmals den Einsatz von Wasserwerfern genehmigt hat.
Inzwischen beginnt so etwas wie eine erste Aufarbeitung der Ausschreitungen, oder besser gesagt, wie es dazu kommen konnte. Eine Armada an Psychologen, Soziologen und anderen Wissenschaftlern versucht händeringend zu erklären, wie es möglich war, dass mitten in England ein derartiger Gewaltexzess ausbricht.
EPA/KERIM OKTEN
Dabei wird auch über den Anlass der Riots diskutiert, wir erinnern uns: Vergangenen Donnerstag ist in London ein 29-jähriger, schwarzer Familienvater erschossen worden - nach zuerst friedlichen Protesten eskalierte die Situation am Samstag.
Erste Schuldzuweisungen von offizieller Seite waren schnell zur Hand: Das Opfer Marc Duggan wurde als Drogendealer, Gangmitglied und als bewaffnet beschrieben. Seit heute steht fest, er hat nachweislich nicht auf Polizisten geschossen, es war also keine Notwehr.
"The tests we commissioned have so far confirmed, that the bullet we found is a police-issued bullet", bestätigt eine Sprecherin der englischen Independent Police Complaints Commission. Damit kommen die ballistischen Untersuchungen zu einem Ende und belegen, dass ausschließlich aus Polizeiwaffen gefeuert wurde. Und so erscheinen erste offizielle Stellungnahmen, die von Notwehr sprachen, in einem durchaus fragwürdigen Licht.
Wie eine friedliche Demo zu Unruhen wird
Richard Seymour ist Blogger der beliebten englischen, links-stehenden Internet-Plattform Lenin´s Tomb. Er fasst die Inititalereignisse von vor einer Woche so zusammen:
"The circumstances of the killing are, that they allowed people to believe, that Mark Duggan had a weapon and that he shot that weapon at police officers, and that therefore you would conclude, they fired back in self defense. That is absolutely untrue, the IPCC has confirmed that the bullet that was fired and lodged in a police radio, was a police bullet. So it is an interesting question who fired that bullet and why - but it certainly wasn´t Mark Duggan."
Aber auch andere Aspekte des Vorgehens der Polizei sind für Richard Seymour mitverantwortlich am Ausbruch der Gewalt:
"In addition to that they didn´t inform the family, they let the family find out from the media. They didn´t send an officer to speak to the family, non of the usual procedures in this highly unusual circumstance was followed. So, general speaking, there was a backlash, a reaction against the police, as a result of this."
EPA/KERIM OKTEN
Und dieser Backlash hatte die bekannten Folgen. Allerdings war die Reaktion der lokalen Communities nicht von Beginn an gewalttätig. Die ersten Reaktionen und Proteste wegen Mark Duggans Tod waren friedlich, erst später entwickelten sich jene Szenen, die wir seit Tagen in den Nachrichten sehen.
"Well, this was until a certain amount of provocation by the police largely peaceful. It was a protest led by local community activists wanting answers, wanting dialogue with the police. And not getting it and being fought off. The real flashpoint came, according to eye-witnesses, when a 16-year old girl, who was shouting at the police, demanding answers from them, was beaten - by several of them, with riot-shields, the footage shows she´s on the ground and she´s getting kicks as well. Several independent eye-witnesses have verified this, so I would say, the police have done more than enough to provoke that situation."
Während unabhängige Blogger wie Richard Seymour also von Provokation durch die Polizei sprechen, redet die "andere Seite", also beispielsweise David Cameron, von einer "kranken Gesellschaft" und davon, dass die Unruhen "Vandalismus, nicht mehr und nicht weniger" seien. Fest steht mittlerweile aber auch, dass das Verständnis der englischen Bevölkerung, auch in den unterprivilegierten Schichten, für diese Gewaltexzesse enden wollend ist.