Erstellt am: 10. 8. 2011 - 14:53 Uhr
Börsensturz und Politikverdrossenheit
In der jüngsten Achterbahnfahrt der Börsen waren sich die Kommentatoren aus Banken und Medien in einem einig: Das Versagen der Politik sei die Ursache. Falsch gehandelt, zu viel gestritten, zu wenig ehrlich, falsch kommuniziert etc., etc. – wirtschaftliche Krisen haben demzufolge nicht mit der Wirtschaft zu tun, sondern sind Schuld der Politik, die die Wirtschaft ständig ins Chaos pfuscht.
Blöd, dumm, faul...
Gegen wirtschaftspolitische Kritik ist an sich nichts zu sagen, billiges Politikerbashing schießt aber in letzter Zeit über jedes Ziel hinaus und wird zur Leerformel, mit der jede Diskussion um konkrete Verantwortlichkeiten für ein Problem zugeschüttet wird: "Erster Politiker muss ins Gefängnis", titelte eine Tageszeitung zur jüngsten Verurteilung von Uwe Scheuch, so, als wäre das nur der lang ersehnte Startschuss für die überfällige Einlochung eines ganzen Berufsstands.
Im Frühsommer stieß die Denunziation aller Politiker als "blöd, feig und wirtschaftlich ahnungslos" durch einen kurz davor mit Staatshilfe geretteten Bankier auf große Zustimmung, die sich losgelöst vom konkreten Anlass aus den vielfältigsten Quellen der Enttäuschung über die offizielle Politik speiste.
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Politik in der parlamentarischen Demokratie ist aber nun mal prinzipiell frustrierend gegenüber großen Erwartungen, weil im Gegensatz zur Diktatur eben keine Gruppe völlig diktieren kann, sondern Kompromisse und kleine Schritte der normale Gang der Dinge sind.
Milliarden auf Knopfdruck?
Viele öffentlich geäußerte Erwartungen in Bezug auf die Lösung der aktuellen Krise ignorieren das. Ständig neue Milliardenpakete zu schnüren und Reformen zu verabschieden, um "die nervösen Märkte" augenblicklich zu beruhigen, auf Knopfdruck und ohne politische Debatte, ist mit Demokratie auf Dauer nicht vereinbar.
Und selbst wenn: Börsenbewegungen sind kein verlässlicher Maßstab für gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, sondern Ergebnis des Zusammentreffens der unterschiedlichsten individuellen Kalküle und Erwartungen, die mitunter kaum eindeutig zu interpretieren sind. Derzeit wäre unklar, was wirtschaftspolitisch zu tun ist, um "die Märkte" zu beruhigen.
Auf den Finanzmärkten sind derzeit zwei Ängste bestimmend: Einerseits vor einer Überschuldung von Staaten, die dann Staatsanleihen nicht mehr vollständig zurückzahlen können, was den AnlegerInnen Verluste bescheren würde (Problem 1). Andererseits vor einer Verschlechterung der Konjunkturaussichten, weil das bedeutet weniger Gewinne für AktionärInnen und Schuldenbedienungs-Probleme im Privatsektor, also ebenfalls Verluste (Problem 2).
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Wenn die Staaten sich Problem 1 widmen und sparen, verschärfen sie Problem 2: Staatliches Sparen würgt die Konjunktur ab. Und umgekehrt: Wenn die Staatsausgaben hochgefahren werden, um die Konjunktur zu stützen, steigen die Schulden. Ein Dilemma.
Sparen, aber wo?
Die konjunkturschonendste Art der Budgetsanierung wäre, sich die Mittel dort zu holen, wo sie am wenigsten dringend gebraucht werden: Bei den Vermögenden, deren Milliarden auf den Börsen panisch hin- und hergeschaufelt werden, und wo aktuell aus Zukunftsangst jede langfristige Festlegung vermieden wird. Doch gerade hier ist die Gegenwehr bislang so effektiv wie kaum irgendwo, weil der Einfluss auf Medien und Politik exorbitant ist.
Die Verhinderung von Steuererhöhungen im jüngsten US-Budget-Kompromiss ist dafür das beste jüngste Beispiel.
Deshalb wird gern vornehmlich bei den Ausgaben des Staates angesetzt. Bei den Sozialausgaben können mit einem Federstrich Milliarden gekürzt werden, und bislang war der Widerstand meist ungefährlich. Die jüngste Protestwelle von Spanien bis Großbritannien könnte ein Indiz sein, dass sich das ändert.
Politik kann nur das bewegen, was zu Grunde liegende gesellschaftliche Kräfteverhältnisse erlauben. Und auf dieser Ebene scheint derzeit einiges in Bewegung zu geraten.