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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

9. 8. 2011 - 11:55

England brennt

Die Frage nach dem Warum muss gestellt werden.

Dieser Blog ist kein Augenzeugenbericht. Ich bin auf Urlaub und komme erst am Freitag wieder zurück nach England.

Mehr Infos zu den Unruhen in Großbritannien auf fm4.orf.at/londonriots

Aber ich lese die vielen Tweets und anderen Nachrichten von FreundInnen in London und rede mit ihnen am Telefon, und ich habe einen Eindruck von der Angst, die da umgeht. Und mehr als eine Ahnung von der Herkunft des Zorns, der sich da entlädt.

Schild: "Be Nice To Other Londoners"

twitpic

Lassen wir zuerst einmal gleich alle Scherze beiseite. Das ist kein Clash-Song, schon gar kein Kaiser Chiefs-Song, das ist der Anfang einer echten Katastrophe, die begonnen hat, schon lange bevor der erste Stein in die erste Fensterscheibe geflogen ist.

Ich weiß, es gibt nichts Unnötigeres als Leute, die nach dem Ereignis sagen, sie hätten's immer schon gewusst, aber ich darf kurz auf meine heurige Jahresvorschau mit dem Titel I predict... na was schon? hinweisen.

BBC

Gepanzerte Polizeiwagen gestern in Battersea

Wer glaubt, dass meine damalige Ansicht, dass die steigende soziale Härte, das Sparprogramm der Regierung und die wachsenden sozialen Gegensätze zu Straßenschlachten führen würden, nur linkes Geschwätz gewesen wäre, der sollte einmal diesen Kommentar im erzkonservativen Daily Telegraph lesen:

“In the bubble of the 1920s, the top 5 percent of earners creamed off one-third of personal income. Today, Britain is less equal, in wages, wealth and life chances, than at any time since then. Last year alone, the combined fortunes of the 1,000 richest people in Britain rose by 30 per cent to £333.5 billion.
Europe’s leaders, our own Prime Minister and Chancellor included, were parked on sun-loungers as London burned. Although the epicentre of the immediate economic crisis is the eurozone, successive British governments have colluded in incubating the poverty, the inequality and the inhumanity now exacerbated by financial turmoil.“

Straßenschlachten in London

BBC

Nordlondon gestern Abend

Doch bevor wir die Riots in London als politische Protestbewegung missverstehen: Mit dem ursprünglichen Anlass, dem Tod des Mark Duggan durch eine Polizeikugel, hat das, was jetzt überall in England passiert, überhaupt nichts mehr zu tun. Und auch nicht mit Anarchismus und spontaner Umverteilung.
Sehr wohl aber mit einer Gesellschaft, in der seit Jahrzehnten das Haben zur höchsten Ambition und das Habenwollen zum Lebensinhalt geworden ist. Einer Gesellschaft, die Shopping als einzige befriedigende Freizeitgestaltung kennt, und wo etwa zur Regeneration des armen Viertels Stratford vor den kommenden olympischen Spielen ausgerechnet ein Luxus-Einkaufszentrum errichtet wird.

Straßenschlachten in London

BBC

Man braucht sich in der Tat nicht allzu sehr wundern, wenn die, die all das nicht haben können, organisiert zur Gewalt greifen. Gerade London ist eine Stadt, die ihre Armen durch ihren Überfluss täglich von neuem demütigt.

Und doch ist das keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für das auf der Straße ausgeübte Recht des Stärkeren. Darin ist keine Spur von Glamour zu finden. Die Menschen haben Angst, echte, begründete Angst. Auch die Menschen in Polizeiuniformen, die bisher so auffällig zögerlich vorgegangen sind.

In der Zwischenzeit haben die EinwohnerInnen begonnen, Aufräumaktionen zu organisieren. So wie die Straßenschlachten werden auch diese mithilfe der neuen Technologien koordiniert.

Straßenschlachten in London

BBC

Möbelgeschäft in Croydon, südlich von London

PS: Übrigens wurde gestern in Enfield auch das Sony-Lagerhaus komplett zerstört, wo alle zum PIAS-Vertrieb gehörenden Independent-Labels ihre Tonträger aufbewahrten. Angeblich sind Schäden durch Riots nicht von der Versicherung gedeckt.