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Pia Reiser

Filmflimmern

8. 8. 2011 - 17:37

The (Vint)age of Innocence

J. J. Abrams' Film "Super 8" ist super mit einer liegenden Acht. Unendlich super. Eine filmische Liebeserklärung an Steven Spielberg, die Kindheit und das Filmemachen.

Der Mann beherrscht sein Handwerk: Um die Tragödie, die "Super 8" vorausgeht, zu erzählen, braucht Regisseur J. J. Abrams kein einziges gesprochenes Wort. Das hätte Hitchcock gefallen, und nicht nur dem. In der ersten Szene tauscht ein Arbeiter einer Stahlfabrik auf einem "Days without accidents"- Schild die Zahlen aus. Statt 784 steht da nun 1. Es ist also schon wieder was passiert und es ist nicht die letzte Tragödie die Lilian, Ohio bevorsteht.

Monate nach dem Unfalltod seiner Mutter schleicht sich der 12jährige Joe Lamb nachts mit seinen Freunden raus, um weitere Szenen für den Zombiefilm zu drehen, den der engagierte, rundliche Charles bei einem Wettbewerb einreichen will. Es sind die großen Ferien des Jahres 1979, die Freunde lachen und mampfen Gummiwürmer in der lauen Sommernacht. Was kaum noch besser werden könnte, wird aufregender durch die Ankunft von Alice. Die patente 14jährige hat sich das Auto ihres Vaters geschnappt und kutschiert die jungen Zombiefilmer durch die Nacht. Und übernimmt auch noch eine Hauptrolle in deren Film. Denn, so Charles, auch in einem Horrorfilm muss sowas wie eine Liebesgeschichte vorkommen, damit der Film funktioniert.

Kinder stehen in einem Feld und drehen einen FIlm, Szenenbild aus "Super 8"

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Mädchen und Monster

Kinder als Hauptfiguren eines Films, der sich nicht explizit an Kinder richtet, findet man im aktuellen Kino selten. Abrams wagt und gewinnt: Grandios gecastete junge Darsteller tragen diesen Film, der nicht warm, sondern mindestens heißherzig ist. In der Mitte der teilweise zahnbespangten und bebrillten Jungs, glänzt die grandiose Elle Fanning, die für die Bubenbande noch fremder und faszinierender als jegliches Monster ist. Schließlich ist sie ein Mädchen.

Geheimisse

Abrams weiß um die Anziehungskraft und Verführungskunst des Geheimnisvollen und Mysteriösen, egal ob es sich um Mädchen oder entgleiste Züge handelt, und nur aus Kindersicht gelingt dieser Blick auf die seltsamen Geschehnisse so unschuldig und voller Möglichkeiten. Das Publikum muss erst wieder lernen die Inszenierung des Geheimnisses zu genießen und nicht - sehr erwachsen und rational - auf die Auflösung und Aufklärung zu drängen, von der es ohnehin nur enttäuscht werden kann.

Elle Fanning in "Super 8"

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In dieser einen Feriennacht werden die Kinder in "Super 8" Zeugen, wie ein Auto auf die Gleise rast, um einen Zug aufzuhalten. Der Zug entgleist, explodiert und kratzt eine Schneise der Verwüstung in die Landschaft. Aus ist es, mit dem Vorstadt-Idyll. Und wär' das nicht schon aufregend genug, stellt sich raus, dass in den Waggons etwas war, das nun endgültig die Beschaulichkeit der Kleinstadt beendet. Haustiere laufen weg, Menschen verschwinden, das Militär rückt an, will aber keine Antworten geben. In der Kleinstadt munkelt man von einer russischen Invasion.

3 Männer in Militäruniform stellen sich zwei Kindern in den Weg

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Spielberg Hommage

"Super 8" trägt ein Actionmäntelchen mit einigen CGI-Abzeichen, doch darunter schlägt ein sentimentales Herz aus Gold. Der 45jährige Filmemacher Abrams, der als Kind ebenfalls mit der Super 8-Kamera Zombiefilme gedreht hat und die Filme Steven Spielbergs im Kino gesehen hat, arrangiert eigene Kindheitserinnerungen mit Erinnerungen an Spielberg-Filme. Dass Spielberg bei "Super 8" als Produzent fungiert ist also nur konsequent.

Die eigene Kindheit im Film gespiegelt, während Erzählweise und Ausstattung Filme wie "E.T.", "Close Encounters of the Third Kind", "The Goonies" oder "Stand by me" zitieren: Es ist ein Spiegelkabinett der Referenzen und Verbeugungen, aber kein lebloser Zitatezombie. "Super 8" wird zusammengehalten von einer originären Geschichte um Verlust, Freundschaft, Vertrauen und Väter. Abrams beweist, dass er die Kunst des Geschichtenerzählens beherrscht. Wie sein Vorbild Spielberg, der Zampano des amerikanischen Erzählkinos.

Vier Jungs starren auf etwas außerhalb des Bildes, im Hintergrund brennt ein Haus

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Weißer Hai und CGI-Monster

Das glühende Herz von "Super 8" sind nicht die Spezialeffekte, die nach 2011 ausschauen, sondern die zeitlose Geschichte. Das Monster ist egal, es will wie E.T. im Grunde nur nach Hause telefonieren. Wie schon bei "Cloverfield", den Abrams produziert hat, wird es auch lange nicht wirklich gezeigt. Auch damit beruft sich Abrams auf Spielberg und dessen "Jaws"/"Der weiße Hai", der auch erst spät dem Kinopublikum in dreizahnreihiger Pracht präsentiert wird.

Dieser Film ist wohl einen der wichtigsten Brüche in der Hollywood'schen Geschichtsschreibung, denn "Jaws" ist - grob gesagt - das Ende des New Hollywood und der Beginn der Blockbuster. Mit einer umfassenden Werbekampagne wird "Jaws" zum popkulturellen Phänomen, das die Filmindustrie prägt. Marketing-Kampagnen, Zweitverwertung, Sequels, Themenparks. Ein Film ist nicht mehr nur ein Film, eine neue Ära beginnt. Auch J. J. Abrams ist ein Meister, wenn es um virale Marketingkampagnen geht, über ein Jahr gibt es immer wieder Schnipsel, Bilder, Informationshappen zum Film, der zu einem Hoffnungsträger dieses Kinosommers wird. Und wie bei "Jaws" ist weder Kern noch Erfolgsrezept des Films ein weißer Plastikhai oder ein CGI-Vieh. Die sind nur Aufhänger, um archetypische Geschichten zu erzählen von Menschen in Amityville oder eben Lilian.

Menschen stehen auf einer verwüsteten Straße, Szenenbild aus "Super 8"

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Ende der Kindheit

"Super 8" ist eine Ballade an die Kindheit, die trotz all der gemampften Gummiwürmer alles andere als reines Honiglecken ist. Abrams zelebriert das kindliche Freiheitsgefühl, wenn auf Bonanzarädern durch die Stadt gefahren wird oder wenn man sich nachts aus dem Haus schleicht, um Filme zu drehen. Die Erwachsenen sind weitgehend abwesend und verkörpern nur Funktionen. Narbengesichtige Militärs, windige Autoverkäufer mit Toupet, liebevolle Eltern einer Großfamilie und zwei konträre Vaterfiguren: Joes Vater, der Polizist und Alice Vater, der Stahlarbeiter mit Alkoholproblem. Die fehlende Mutter bei beiden Kindern wird zum verbindenden Element zwischen Alice und Joe, eine Lücke, die sich nicht schließen lässt, wird mit etwas anderem überbrückt.

In einer bezaubernden Szene bittet Joe, der beim Zombiefilm fürs Make-Up zuständig ist, Alice die Augen zu schließen, um sie besser schminken zu können. Verlegenheit, Unsicherheit und das wohlige Gefühl, jemandem so nah sein zu können, aber auch das nahende Ende der Kindheit packt Abrams in diesen winzigen Moment.

Kinder in einem Diner, Szenenbild aus "Super 8"

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Bittersüße Schwere

"Super 8" läuft seit 5. August 2011 in den österreichischen Kinos

Nostalgie durchflutet "Super 8", die Kamera schmiegt sich an die Super 8 Kamera der Kinder und lässt uns dem Surrgeräusch lauschen, wenn der Projektor in Joes Kinderzimmer Aufnahmen der Mutter auf ein gespanntes Leintuch wirft. Film findet als Erinnerungskonserve und Erzählmedium Eingang in "Super 8", Abrams huldigt die Macht der Bilder, den Prozess des Filmemachens und die Freude an der Fiktion. Die Kinderzimmer in "Super 8" sind Museen der Popkultur: Comics, Actionfiguren, Filmposter. Liebevolle Schreine einer vergangenen Zeit, die das Vintage- und Retroherz pochen lassen.

Zwei Kinder, Szenenbild aus "Super 8"

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Sehnsuchtsvoll lässt einen "Super 8" zurück, man will die eigenen Filme, die man als Kind gemacht hat, wieder anschauen oder sogar wieder welche drehen. Der Film umarmt einen, putzt einem die Nase und wischt eventuell geflossene Tränen weg. "Super 8" ist nämlich super mit einer liegenden Acht. Unendlich super.