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Clemens Setz

Schriftsteller und Übersetzer

8. 8. 2011 - 13:06

Rittlings auf der Brustwarze

Mit Clemens Setz auf "Gullivers Reisen". Teil 7: Makrophilie, eine sexuelle Fantasie, die dieses Kapitel mit Sicherheit für immer zu heilen vermag. Eine Sommer-Mit-Lese-Aktion.

Ein Klassiker im Sommer: Gebucht. Mit Clemens Setz "Gullivers Reisen" lesen. Jeden Montag und Donnerstag auf fm4.orf.at/clemenssetz

Es geht weiter mit dem Crashkurs in Menschheit. Als wäre Gulliver nicht schon genug irritiert durch die Zumutungen der riesenhaften Insekten, durch die ständig drohenden Anfeindungen des Hofzwerges und durch einen kleinen Wachtelhund sowie einen noch kleineren Hänfling, die beide versuchen, ihn mit sich davonzutragen – muss er nun auch noch die schwierigste Prüfung bestehen, die das Schicksal (Jonathan Swift) für ihn vorbereitet hat.

„Die Ehrendamen luden Glumdalclitch oft in ihre Gemächer ein und baten sie, mich mitzubringen, um das Vergnügen zu haben, mich zu sehen und zu befühlen. Sie entkleideten mich oft von Kopf bis Fuß und legten mich in voller Länge an ihren Busen, worüber ich großen Ekel empfand, weil ihre Haut (um die Wahrheit zu sagen) einen sehr fatalen Geruch verbreitete.“

Okay, schütteln wir uns einen Augenblick und verweilen dann auf dieser Stelle. Wenn ein Abschnitt des Buches es verdient hat, in allen Jungendbuch-Editionen von „Gullivers Reisen“ gestrichen zu werden, dann wahrscheinlich dieser.

3D Modell: Frau mit Winzling

Remnant of Giants

Die sexuelle Fantasie, die dieses Kapitel mit Sicherheit für immer zu heilen vermag, heißt Makrophilie. Die Vorstellung, dass man von einem riesigen Mann oder einer riesigen Frau benutzt wird.

Ich kann mich erinnern, irgendwo einmal einen Dildo gesehen zu haben, der wie ein kleines Männchen modelliert war, von Aussehen und Figur vergleichbar mit einer Ken-Puppe, nur eben glatter und ohne abgespreizte Glieder. Im Grunde sah er aus wie ein nackter Plastiksoldat, wenn er im lupengebündelten Sonnenstrahl zu schmelzen beginnt...
Wie bei allem, was mit menschlicher Sexualität zu tun hat, gibt es auch bei der Makrophilie absurde Unterkategorien, die den wirklichen Kennern vermutlich wieder viel zu grob sein werden. Hier aus Wikipedia:

An interest in macrophilia can also be commonly and closely linked to a variety of other fetishes:
Breast fetishism – Being pressed against, or placed between, the breasts of a giant woman
Crush fetishism – Being stepped on by a giant person.
Foot fetishism – Worshiping the feet of a giant person.
Nose fetishism – Being pressed against a giant person's nose.
Vorarephilia – Being eaten by a giant person.

Es gibt also Menschen, deren Fantasie es ist, gegen die Nase eines riesigen Menschen gepresst zu werden. Oder zwischen den Brüsten einer riesigen Frau zu verschwinden. Das Problem dabei ist, dass die Fantasie des Makrophilen nicht wirklich zoomt (und es ist ihr gutes Recht, das nicht zu tun), sondern nur vergrößert. Denn würde sie wirklich zoomen, sähe sie folgendes:

gullivers reisen

insel verlag

Jonathan Swift: "Gullivers Reisen", in einer Übersetzung von Franz Kottenkamp, erschienen im Insel Taschenbuch

„Sie pflegten sich nämlich in meiner Gegenwart bis auf die Haut zu entkleiden und ihre Hemden anzuziehen, während ich auf ihrem Toilettentisch direkt vor ihren nackten Körpern stand, was wahrhaftig sehr weit davon entfernt war, ein verführerischer Anblick für mich zu sein [...]. Ihre Haut erschien nämlich, wenn ich sie aus der Nähe sah, so rau und ungleichmäßig, so verschiedenfarbig, mit hier und da einem tellergroßen Leberfleck und Haaren, die davon herabhingen, dicker als Bindfäden [...]“.

Die Damen urinieren sogar in Gullivers Gegenwart. Und eine setzt ihn – Gipfel des Entsetzens! – „rittlings auf eine ihrer Brustwarzen“.

Nach dieser großen Entwöhnung von allen möglichen Konzepten menschlicher Schönheit und Würde ist es sehr erstaunlich, zu welcher Hymne auf sein Heimatland Gulliver im nächsten Kapitel noch fähig ist. Der König von Brobdingnag (hier: Jonathan Swift in Verkleidung) möchte von ihm mehr über das Staatswesen und das allgemeine Leben in England bzw. Europa erfahren. Gulliver erläutert das House of Commons und das House of Lords und all die weise eingerichteten Ämter und so weiter, auch die Wirtschaft und das Finanzwesen Europas. Und natürlich muss kommen, was wir schon erwartet haben. Der König hat Bedenken. Er hält einen langen Monolog, eine glänzende, nur aus Fragen bestehende Widerlegung all der schönen Dinge, von denen Gulliver berichtet.

Hier ein vollkommen zufällig herausgepicktes Beispiel: „Wenn aber, was ich ihm gesagt hätte, wahr sei, so könne er [der König] immer noch nicht begreifen, wie ein Königreich gleich einer Privatperson über seine Verhältnisse leben könne. Er fragte mich, wer unsere Gläubiger seien und woher wir das Geld nähmen, sie zu bezahlen.“

Das Fazit

„Aus dem, was ich deinem Bericht entnommen habe [...], kann ich nur den Schluss ziehen, dass die große Masse eurer Eingeborenen die schädlichste Art von kleinem, scheußlichem Ungeziefer ist, dem die Natur jemals erlaubt hat, auf der Oberfläche der Erde herumzukriechen.“