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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

8. 8. 2011 - 15:02

Party mit Bildungsauftrag

Stuck! Festival, Tag 2 und 3: Esben and The Witch, Metronomy, Puro Instinct, Apparat und mehr

Der Donnerstag ist zwar schon gut besucht gewesen, war aber noch ein wenig der Aufwärmtag. An Tag 2 des - man kann das schon gleich nochmal vorausschicken - was Programm, Abwicklung und die Chillvibes in der knisternden Luft anbelangt ziemlich famosen Stuck! Festivals - sind die Haupthalle und die Bar mit kleinerer Bühne prall gefüllt. Unangenehm, stressig und nervig wird die ganze Angelegenheit im Salzburger Rockhouse trotzdem nie. Die Menschen sind bester Dinge, die Atmosphäre zittert vor geteilter Freude, hier an etwas Schönem teilzuhaben.

Esben And The Witch

Lorena Meichelböck

Esben and The Witch

FM Belfast

Die zwei anscheinend gleichermaßen populären, was Zuspruch von Seiten des Publikums anbelangt, und an diesem Tag sicherlich als Co-Headliner zu bezeichnenden Bands Metronomy und FM Belfast, führen den großen Raum publikumstechnisch sehr nahe an die Grenzen der Belastbarkeit. In a good way. Selten wurden mehr Hände in der Luft und glühendere Gesichter gesehen. FM Belfast erweisen sich nach einigen Besuchen in Österreich wieder einmal als ausgezeichnete Live- und vor allen Dingen Party-Band. Matching Outfits aus Biedermann-Hemd, Fliege dran und Hosenträgern, große Publikums-Interaktion samt verblüffenden Brocken Deutsch ("Fick Dich!") und ein schon gut erprobtes Cover von Rage Against The Machines "Killing In The Name" verfehlen selten die Wirkung.

Metronomy

Lorena Meichelböck

Metronomy

Die englische Indiepopband mit elektronischem Unterton Metronomy um Mastermind Joseph Mount kann sich verstärkt auf sehr gute Lieder verlassen ("The Look", "The Bay", "She Wants" beispielsweise) - und auf die schon seit ewigen Zeiten zum Band-Standard gewordenen, jeweils an die Brust der Mitglieder applizierten Lichter. Vor dem großen und prächtig schillernden Konsens-Pop gibt's aber wie schon am Tag zuvor im besten Sinne weirdere Momente zu erleben: Die sehr gute experimentelle Pop-Musik von Jools Hunter aus Österreich/Berlin, die stark auf geloopte, live auf der Bühne selbst eingesungene Sprach-Schnipsel baut und von der - wenn noch nicht alles verloren ist - in näherer Zukunft wohl noch einiges zu hören sein wird.

Esben and the Witch

Oder aber das Trio Esben and the Witch aus Brighton, dessen Debüt-Album "Violet Cries" zu den besseren Alben dieses Jahres gehört. Nun führt die Band das Trendwort der Stunde im Bandnamen, und man könnte so also geneigt sein, die Gruppe sofort im entsprechenden Fach im Plattenregal einzuordnen - mit zähflüssiger Beat-Appropriation aus R'n'b und Dubstep, wie im Witch House nicht selten üblich, hat die Band jedoch nichts am Hut.

Gothic und düster ist es aber schon, was Esben and the Witch an hyperreduziertem Drum-Set-Up (eine Stand-Tom, ein Becken) Gitarre und Bass plus im Hintergrund zischelndem und polterndem Elektronik-Gerümpel fabrizieren. Ein einnehmender Minimal-Pop, der an Siouxie and the Banshees, The Cure und - in aufbrausenderen Momenten - an The Jesus and Mary Chain gemahnt. Dazu zucken die Bandmitglieder mitunter scheinbar ohne jegliche rhythmische Motivation durch die Gegend und machen den Exorzismus körperlich erfahrbar.

Alle Fotos:
Lorena Meichelböck/ we-are-salzburg.com

FM Belfast

Lorena Meichelböck

FM Belfast
Puro Instinct

Lorena Meichelböck

Puro Instinct

Puro Instinct

Ein kleiner Höhepunkt erreicht den kleinen Raum in Gestalt der noch sehr jungen Band rund Puro Instinct um das Schwesternpaar Skylar und Piper Kaplan aus Los Angeles. Das Debüt-Album "Headbangers In Ecstasy", das im September endlich regulär in Europa erscheinen wird, ist tatsächlich eine der positivsten Überraschungen des Jahres soweit. Zwar fügt sich die Platte geschmeidig in aktuelle Trends - Dreampop, Hippie-Chic, Chillwave mit Gitarre - ist aber stets mehr als Kopie des Zeitgeists. Piper Kaplan: "I've been doing this shit since I was born."
Verwaschene Pop-Songs, die die Geister der Cocteau Twins, früher Bangles oder auch von Courtney Love in zahmen, dafür aber inspirierten Momenten heraufbeschwören. Entgegen des von den Kaplan-Sisters in Videos und auf Promo-Fotos kultivierten verträumten Elfen- und Feen-Images gibt sich die Band live arrogant, als sympathischer Kotzbrocken und komplett von sich selbst überzeugt. Das Publikum, das außerhalb des Blog-Hypes noch nicht brennend heiß auf Puro Instinct gewartet hat, wird mit Blicken des Eises gestraft. Große, großartige Band.

Puro Instinct

Lorena Meichelböck

Am Samstag: Apparat und Band

Der Samstag bringt neben den immer sehr guten Francis International Airport und Bilderbuch auch Österreich wiederum einiges an Gewagterem und Unbekanntem.

Apparat

Lorena Meichelböck

Nach der englischen Band Scanners, verwandelt das Kölner Produzenten-Duo Coma, das bald schon mit einer zweiten EP beim Kölner Label KOMPAKT vorstellig werden wird, das Rockhouse kurzzeitig in ein geschmackvolles Rave. Der Headliner ist Sascha Ring aus Berlin aka. Apparat plus Band. Der primär für emotional aufgeladene Knusper-Elektronik bekannte Apparat gehört mit seinem aktuellen Programm zu der Sorte Live-Darbietung, die sich kaum an Party-Signale andient und deren Musik tendenziell eine zum Zuhören, weniger zum Abfeiern ist.

Größtenteils spielt die Band Stücke vom - so viel kann schon verraten werden: sehr, sehr guten - demnächst erscheinenden Apparat-Album "The Devil's Walk", über das an dieser Stelle noch einiges zu berichten sein wird, aber auch Hits wie "Arcadia", oder "Rusty Nails" von der elektronischen Super-Group Moderat werden eingestreut. Als Zugabe gibt's "Black Water", einen der vielen Höhepunkte auf "The Devil's Walk". Selbst dafür, dass große Teile des von Apparat und Band dargebotenen Materials großen Teilen des Publikums unbekannt sein dürften, ist die Reaktion eine nachgerade euphorische. Zu Recht.

Darüber, dass sich danach das DJ-Set von einem der Herren von Bloc Party mit Stangenwaren-"Elektro" als eher mittelmäßige Angelegenheit gestaltet, die so ziemlich jeder zweite Mensch mit einem Laptop wohl ähnlich spannend hätte darbieten können, soll gleich wieder geschwiegen werden. Es kann bei einem solch feinen Festival wie dem Stuck!, das forscht und ausprobiert, das neben Party-Granaten Unbekanntes stellt und Pop mit Experimentellerem kurzschließt, wohl nicht immer alles komplett aufgehen.