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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 8. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 148.

Privatsphäre-Einstellungen. Nothing to hide!

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit Argumenten gegen die "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten"-Mentalität der Sicherheits-Industrie; und das, obwohl ich davon überzeugt bin, dass es am besten ist, sich gläsern und somit angreifbar zu machen.

Gestern habe ich die letzte Vorsicht über Bord geworfen und alle Facebook-Freundschaftsanfrager geaddet, einfach so. Alle Menschen, die ich kenne, lassen da Vorsicht walten. Die einen wollen nur Bekannte, die sie auch im echten Leben kennen, die andere akzeptieren nur Menschen aus ihrem weiteren Umfeld, jeder screent auf seine Art.
Hab ich auch gemacht, bisher. Abgecheckt, wen ich woher kennen könnte, wen um zwei oder drei Ecken, wer wo was Interessantes macht, nachgefragt etc.

Um dann draufzukommen, dass es eigentlich idiotisch ist: wer ein öffentliches Profil in einem sozialen Netzwerk hat, der signalisiert damit etwas. Hallo, sagt man, ich bin da, nimm mich und meine Präsentation zur Kenntnis! Das zu tun und gleichzeitig andere auszuschließen - eigentlich kontraproduktiv.
Der kleinere, engere Zirkel, der, mit dem man etwas per Telefon-Kontakt oder im echten Leben, im richtigen Gespräch verbindet, der braucht kein MySpace, kein VZ, kein Facebook, kein Netlog, kein Google+, kein Xing.
Aber dieser weitere Kreis von, sagen wir, lose Interessierten, der will vielleicht nur das Gefühl der Möglichkeit von Kontaktaufnahme oder Information.

Privatsphäre in Social Networks, eine seltsame Anforderung

Zu gefährlich, sagen gute Ratgeber. Unter Garantie sind da Leute dabei, die dir schaden wollen, die dich ausspionieren möchten.
Mag sein. Wer allerdings kriminelle Energie aufwendet, wird das so oder so schaffen, auch als einblicknehmender "Freund" eines Freundes, oder als Wurstsemmel-Paparazzi.

Und die klassischen Irrtümer, die von den Mainstream-Medien so gerne als "Gefahr" hochgepusht werden, die "Seht her, so betrunken war ich gestern!"-Bilder stell ich ja eh nicht rein. Und wenn das jemand anderer tut, ist es ohnehin nicht zu verhindern (außer halt dadurch, nicht besoffen zu sein). Und am deppert-Daherreden kann niemand jemanden hindern.

Dieser letzte dezente Schutz, den ich mir selber zugestanden habe, dieses Screening der Facebook-Anfragen, hat aber zunehmend ins Nichts geführt: es hatte schlicht keine Funktion mehr.
Und es war auch irgendwie inkonsequent - denn letztlich denke ich, dass wir in unserer gemeinsamen digitalen Zukunft eh gar keine andere Chance haben, als uns gläsern und somit weitgehend angreifbar zu machen.

Die Jungen, die das von Anbeginn an kennen, haben damit ohnehin keine Probleme. Die Älteren schon (so wie immer, so wie das früher auch bei der Einführung der Telefonie, des Schnurlos-Telefons und des Handys war, immer warnten die Alten vorm Untergang) - und weil die Älteren die Medien dominieren, kommt dann dieses seltsame Bild zu Stande, das uns so ängstlich macht.

Die Lüsternheit des Security-Geschäftsmodells

Ich spreche hier wohlgemerkt vom Alltag, vom Umgang auf Augenhöhe unter gleichberechtigten Teilnehmern, nicht vom Umgang von Instititutionen, vom Staat gegenüber seinen Bürgern.
Dass sich die, dass sich der an den vielen freiwillig abgegebenen Infos sattfrisst - geschenkt.
Wenn Vorratsdatenspeicherung, Raster-Fahndung, Überwachung und Security-Lüsternheit aus diesem Austausch dann aber ein Anklage-Forum inszenieren, in dem zweckentfremdet, instrumentalisiert und hysterisiert wird, dann kippt die der menschlichen Natur innewohnende Neugier, die Bassena-Seele jedoch in ein Geschäfts-Modell (im Fall der Interessen von Industrie und Institutionen direkt, im Fall des Staates indirekt).
Und ohne seine Zustimmung kann kein Individuum einem Geschäftsmodell unterworfen werden. So sollte es zumindest sein. Also lohnt sich ein Einsatz dafür.

Warum Privatsphäre wichtig ist, auch wenn du nix verbirgst

Deshalb hab ich nur kurz gestutzt, als ich jüngst auf die Merksätze gestoßen bin, die der US-Rechtsgelehrte Daniel J. Solove im Chronicle of Higher Educations veröffentlicht hat.
Why Privacy Matters Even if You Have 'Nothing to Hide' heißt der Text, ein Exzerpt aus seinem neuen Buch "Nothing to Hide: The False Tradeoff Between Privacy and Security".

Solove argumentiert nicht weinerlich oder verschwörungstheoretisch, sein Ansatz ist der, dass auch bei den bestmöglichen Absichten Mist gebaut werden kann.
Und er kann, das wird deutlich, das dümmlichste und missbräuchlichst-verwendetste Argument der Security-Industrie, der Überwachungs-Lobbyisten nicht mehr hören:
Wenn man nichts zu verbergen hat - wo wäre denn das Problem? Auch, weil der Umkehrschluss (wer etwas nicht freiwillig rausrückt, will etwas verbergen und verdient keine Privatsphäre) so nahe liegt.

Man darf nicht vergessen, die USA haben da in der McCarthy-Ära ein Trauma durchlebt und seitdem sind vor allem die Bürgerrechtler viel stärker sensibilisiert, als es hierzulande der Fall ist.
Trotzdem ist der Solove-Ansatz kein defensiver. Und genau das macht die Sache so spannend.

Totschlagargumente und ein paar Antworten darauf

Wer nichts zu verbergen hat, habe also nichts zu befürchten. Ein Totschlag-Argument.
Solove hat Gegenargumente gesammelt:

Die Gegenfrage: "Besitzen Sie Vorhänge? Warum eigentlich?"
oder "Kann ich ihre Kreditkarten-Rechnungen des letzten Jahres einsehen?" Oder: "Ich habe nichts zu verbergen. Ich habe aber auch nichts, was ich Ihnen zeigen möchte." Oder: "Darf ich dafür ein Nacktfoto machen und es ihren Nachbarn zeigen?". Oder die Feststellung "Wenn du nichts zu verbergen hast, dann hast du kein Leben".

Keine Sorge, der Rest des Textes und wohl auch des Buches ist korrekt und stringent erzählte Lebens- und Rechts-Praxis jenseits der Spassetteln.

Die einfach handhabbare Wehrhaftigkeit dauerwiederholten Totschlagargumenten gegenüber ist aber ein wichtiger Begleiter durch auch unseren recht harmlosen User-Alltag. Und selbst Narren, die einfach jeden als Facebook-Freund akzeptieren, sollten sich diese Fragen öfters stellen.
So und jetzt schau ich mir die Privatsphäre-Einstellungen noch einmal genauer an.