Erstellt am: 7. 8. 2011 - 17:10 Uhr
Wer ratet mit?
Mit dem Sommerloch wird's für die Finanz-Community dieses Jahr wohl nichts: Mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Rating Agentur Standard&Poors am Freitag Nachmittag ist ein weiterer Zwischenhöhepunkt im Krisenkrimi erreicht. Welche Bedeutung hat dieses Ereignis, wer sind die Akteure und ihre Rollen?
Rate mal, was ich wert bin
Drei große Ratingagenturen (Standard&Poors, Moody's und Fitch) bewerten Wertpapiere von Unternehmen und Staaten auf der ganzen Welt: Wer als wirtschaftlich stark eingeschätzt wird, gilt als kreditwürdig und kriegt gute Noten. Wer schwächelt (wegen schlechter Wirtschaftsaussichten, hoher Schuldenlast oder einer Wirtschaftspolitik, die auf Finanzmärkten nicht geschätzt wird), wird herabgestuft.
http://www.flickr.com/photos/amagill/
Bezahlt werden die Agenturen dafür von denen, die sie benoten. Mit den Noten gehen die Benoteten dann auf die Finanzmärkte, wenn sie Kredite brauchen. Je besser die Noten (das sogenannte Rating), desto geringere Zinsen verrechnen in der Regel die GläubigerInnen. Denn die Ratings sind Gütesiegel, die eine ähnliche Funktion erfüllen wie das Sternchensystem bei Filmbewertungen, (Ver)Käuferbewertungen bei Online-Handelsplattformen und Hotel-Rankings: Eilige NutzerInnen auf der Suche nach einer Empfehlung angesichts einer unübersichtlichen Auswahl kriegen auf einen Blick ein Urteil präsentiert, an dem sie sich orientieren können, wenn sie nicht mühevoll jede/n einzelne/n SchuldnerIn individuell auf Herz und Nieren prüfen wollen, dem/der sie z.B. eine Anleihe abkaufen wollen.
Wieso Staaten?
Wie kann es sein, dass ein privates Unternehmen über einen souveränen Staat ein Urteil fällt? Und wozu soll das gut sein? Der Begriff "Staatsschulden" verleitet mitunter zu dem Missverständnis, Staaten würden sich gegenseitig Geld leihen und schulden. Das ist jedoch der Ausnahmefall (prominente Fälle: Staatsfonds wie jener von China, der der größte Käufer von US-Staatsanleihen ist; Griechenland, Irland und Portugal, die derzeit von den EU-Partnerländern per "Rettungsschirm" Notfallskredite erhalten).
In der Regel finanzieren Staaten ihre Schulden durch Ausgabe von Anleihen (das ist eine Art handelbarer Kredit) auf den Finanzmärkten: Diese werden dann von Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und privaten AnlegerInnen (hier kann man z.B. als Privatperson der Republik Österreich Geld leihen) gekauft.
Mit dem eingenommenen Geld finanziert der Staat seine Ausgaben, und zahlt die Summe zu einem späteren Zeitpunkt gegen Zinsen an die AnleihegläubigerInnen zurück (und nimmt dann in der Regel neue Anleihen auf).
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Staatsanleihen sind sehr beliebt, weil sie als die sicherste Form der Anlage gelten, darum haben wirtschaftsstarke Staaten üblicherweise die besten Ratings von allen SchuldnerInnen. Der Grund: Während Unternehmen leicht mal Bankrott gehen und ihre Anleihen nicht voll zurückzahlen können, hat der Staat durch sein Steuermonopol die Möglichkeit, sich Geld zur Schuldenrückzahlung auch per Zwang zu beschaffen. In den letzten Jahrzehnten hatten Staaten daher gute Ratings, erst in jüngster Zeit werden nun auch bei Staaten aus Europa und Nordamerika Bankrottgefahren höher eingeschätzt, und immer mehr Staaten von den Ratingagenturen herabgestuft.
Staaten unterwerfen sich also der Beurteilung durch Ratingagenturen, weil AnlegerInnen das wollen, und weil bei guten Ratings günstige Kredite winken.
Die große Rating-Verschwörung?
Wer solche folgenreichen Einschätzungen erstellt, macht sich natürlich angreifbar. Ratingagenturen wurden in den letzten Jahren massiv kritisiert: Sie hätten die Finanzkrise 2008 nicht vorhergesehen, stattdessen durch Bestnoten für windige Wertpapiere diese sogar mitverursacht.
Und jüngste Herabstufungen der Kreditwürdigkeit von Ländern wie Griechenland, Irland und Portugal wurden als mitverantwortlich für die Verschärfung der Schuldenkrise dieser Länder bezichtigt, denn dadurch wurden die Zinsen für deren Staatsschulden ins Unbezahlbare katapultiert. Die Tatsache, dass die drei großen Ratingagenturen in den USA ihren Hauptsitz haben, wurde von manchen sogar als Indiz für eine US-Verschwörung gewertet, mit dem Ziel, die Europäische Einigung mittels gezielter Rating-Verschlechterungen zu torpedieren.
Vieles davon ist überzogen: Ratingagenturen können genauso wenig die Zukunft vorhersehen, wie irgendjemand anders. Und sie greifen deshalb wie jede andere Instanz auf Werturteile und subjektive Einschätzungen zurück, und zwar aus dem Blickwinkel von Gläubigern. Diese Einschätzung ist in vielen Fällen mit guten Gründen bestreitbar. Deshalb ist es durchaus problematisch, Länder-Ratings zum höchsten Maßstab für eine gute Wirtschaftspolitik zu machen, und Ratings können folglich bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen eine eigene Analyse und politische Debatte nicht ersetzen.
USA vor dem Abgrund?
Die jüngste Herabstufung der USA ist möglicherweise auch ein Versuch der Ratingagenturen, nach der massiven Kritik der letzten Zeit wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen.
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Ob und welche Folgen dieser Schritt haben wird, ist nicht genau vorhersehbar. US-Staatsanleihen haben den Status der sichersten Anlage der Welt, sie sind der Fluchthafen in jeder Krise, weil dahinter eine so große und starke Wirtschaft und die Weltwährung Dollar steht. Und weil so viel US-Staatsanleihen ständig gehandelt werden wie kein anderes Wertpapier, sind die US-Papiere auch deshalb so beliebt, weil das Risiko für KäuferInnen, je unfreiwillig darauf sitzen zu bleiben, geringer ist als bei jedem anderen Papier. Und das ist in der Krisenstimmung, in der sich die Märkte seit längerem befinden, ein zentraler Faktor:
Topsichere Alternativen gibt es eigentlich nicht, deshalb kaufen viele, die ihr Geld in Zeiten der Unsicherheit nicht in riskante Investitionen anlegen wollen, US-Staatsanleihen auch bei weiteren Rating-Herabstufungen weiterhin gern (wenngleich möglicherweise die Zinskosten für den Staat steigen). Darüber hinaus ist nur eines sicher: Der Krisen-Sommer bleibt heiß.