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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

6. 8. 2011 - 19:52

Rocker im Ravepelz

Schweben im Referenzhimmel: Primal Scream und Neon Indian live im Wiener WUK.

Natürlich war das gestern im Wiener WUK auf eine gewisse Weise auch ein Veteranentreffen. Etliche Gesichter von alten Freunden und verschollen geglaubten Bekannten tauchen in der Menge auf, die sich in der lauen Sommernacht vor der Veranstaltungshalle versammelt hat.

Menschen treffen sich wieder, die über die Jahre hinweg gerade mal vagen Facebook-Kontakt hatten. Lebensgeschichten werden in Kürzestform aufgerollt, aktuelle Beziehungsszenarien diskutiert.

Die latent muffige Stimmung, die auf bestimmten rückwärtsgerichteten Sommerfestivals spürbar ist, stellt sich aber nicht ein. Nicht nur, weil sich unter all die Thirty- und Fortysomethings auch entschieden Jüngere mischen, Neo-Mods, Brit-Pop-Novizen, Mädchen und Burschen, die ihre Wochenenden wohl in der Pratersauna verbringen.

Sondern weil es an diesem Abend um eine Band geht, die auf ihren zentralen Tonträgern immer freigeistig agierte, sich gegen Berechenbarkeit und Wertkonservativität auflehnte: Primal Scream.

Primal Scream

Christoph Liebentritt

Vor allem mit ihrem Schlüsselwerk "Screamadelica" sprengten die Briten 1991 das Korsett des Gitarrenrock auf eine Weise, die bis heute nachhallt. Vollgepumpt mit sämtlichen lustigen Zuckerl, die damals in Londoner Clubs verteilt wurden, händigte die Band dem befreundeten DJ Andrew Weatherall die Masterbänder gerade entstandener Tracks aus. Der damalige Nachwuchs-Produzent ließ entscheidende Spuren im Hallraum verschwinden, schraubte herum, remixte und dubbte das Material auf radikale Weise.

Am Ende lag ein Album vor, auf dem sich Primal Scream bisweilen nur mehr als Ahnung ihrer selbst wiederfanden, was waschechten Rockisten und Authentizitätsfanatikern wahrscheinlich heute noch einen Schauer über den Rücken jagt. Bobby Gillespie, Andrew Innes & Co. liebten ihn aber, diesen Mix aus Beatloops, Soul- und Funksprengseln, der ihren Sixtiesrock abgelöst hatte.

Und noch mehr liebten ihn die Massen. "Screamadelica" wurde, neben Alben der Happy Mondays und Stone Roses, zur Bibel der ersten Generation von Indiekids, die süchtig nach Bassdrums, Elektronik und bestimmten Pillen wurden.

Dass sich Primal Scream entschlossen haben, dieses legendäre Werk auf einer speziellen Tour mehr oder weniger komplett aufzuführen, durfte man im Vorfeld allerdings ruhig mit einer gewissen Skepis betrachten. Gerade was vor zwanzig Jahren eine kleine Revolution, genauer, eine Rave-O-Lution, entfachte, kann heute auch locker die Aura einer puren Nostalgieverstaltung verstrahlen.

Primal Scream

Primal Scream

Spätestens an dieser Stelle sei gesagt: Es ist alles nochmal gut gegangen. Mit einem energetischen "Movin' On Up" eröffnet das Scream Team den historischen Reigen, beschwört durch eine Soulsängerin verstärkt die kollektive Seelenreinigung, taucht aber schon bald in eine Zeitlupen-Zone ein, in der verhatschte Loops den Auftakt für endlos gedehnte Tracks machen.

Mittendrin macht uns Bobby Gillespie, der immer noch auf grandiose Weise viele Töne verfehlt, den zärtlich-verhuschten Stage-Schamanen, starrt dazwischen apathisch ins Leere, um dann wie Jim Morrison herumzutänzeln.

Apropos: Wer das alles lange nicht mehr gehört hat und im Kopf das Wörtchen "Rave" abgespeichert hat, wird heftig daran erinnert, dass Primal Scream vor allem eine psychedelische Rockband sind, inklusive einschlägig verdrogter Visuals, die Sechziger-Beatclub-Ästhetik mit 90ies-Zitaten kreuzen.

Die Doors und verwandte Combos schwirren als überdeutliche Vorbilder herum, gar nicht zu reden von den Rolling Stones, dieser wohl wichtigsten Band, was das Bühnenauftreten von Primal Scream - und entschieden weniger ihre Alben - betrifft.

Menschen, die von "Screamadelica" angefixt, mit dem damals vage gehaltenen Rave-Begriff ernst gemacht haben und danach in Techno- und House-Gefilde verschwanden, müssen also im WUK mit ausführlichem Virtuosen-Lärm aus Marshallverstärkern rechnen. Der junge Livegitarrist Barrie Cadogan, der mit seiner eher fadgasigen Bluesband Little Barrie die Tour supportet, liefert sich im Verbund mit Scream-Urgestein Andrew Innes durchaus schweinische Gitarrensolo-Duelle.

Aber auch wenn man auf solche Uralt-Stilmittel des Rock'n'Roll allergisch reagiert, die Intensitätsmaschine Primal Scream verschluckt in ihrem hypnotischen Mahlstrom jegliche Kritik an Details. Vor allem eine überragende Endlos-Version von "Higher Than The Sun" wird wohl noch lange in Erinnerung bleiben.

Lieber vergessen möchte man den Zugabenblock, in dem Gillespie und seine Band dann den Mick Jagger so richtig von der Leine lassen. Get Your Rocks Off, Baby, man kennt das vom letzten Auftritt der Band in der Wiener Arena, der zur Gänze im Zeichen eines erdigen Retro-Rock stand, der zwar lustig einfährt, einer solch innovativen Band aber nicht würdig ist.

Keine Spur am ganzen Abend übrigens von meinen ganz persönlichen Primal Scream, von Alben wie dem Düster-Dub-Rock-Epos "Vanishing Point", dem unerreichten Futurismus-Meisterwerk "XTMNTR" oder dem Electropunk-Epos "Evil Heat". Es sei ihnen verziehen, immerhin wurde die diffizile Aufgabe, "Screamadelica" 2011 wiederauferstehen zu lassen, charmant erledigt.

Fotos: Christoph Liebentritt

Eine Überraschung gibt es danach noch als mitternächtlichen Konzert-Bonus im WUK. Der mexikanischstämmige Alan Palomo bringt sein Einmannprojekt Neon Indian mit Bandbegleitung auf die Bühne. Nur mehr vereinzelte Hipster-Häufchen mit vermutlichem Vice-Abonnement versammeln sich zu dieser späten Stunde im Zuschauerraum, die Veteranen haben sich großteils schon in Richtung Schlummer verabschiedet.

Sie versäumen aber eines der fantastischsten Konzerte seit langem, wenn man - wie der Schreiber dieser Zeilen - gerade schwer abhängig von einer bestimmten Art des flirrenden, schwebenden Sehnsuchts-Dancepop ist.

Lässt sich auf den Albumsongs von Neon Indian, die den dubiosen Chillwave-Stempel verpasst bekamen, eine Affinität zu den psychedelischen Primal Scream-Momenten feststellen, mutiert die Band live zu einem perfekt eingespielten und überaus hübsch anzusehenden Referenzmonster, das jeden engen Rahmen sprengt.

MGMT, Elvis, die Friendly Fires, Vangelis, die Flaming Lips, Twin Shadwo, das Electric Light Orchestra, Grunge und Modularrecords kommen mir gleichzeitig in den Sinn, ganz euphorisierende Musik ist das, die zwar mit zuckersüßen Melodien berauscht, aber mit weirden Synthsounds, Gamegeräuschen und verzerrten Bässen gegen die Pop-Glattheit ankämpft.

Neon Indian kennen wie Primal Scream keine Grenzen und sind wie die Briten gleichzeitig alles andere als beliebig, zwei Bands, die in Zitatwelten leben und dennoch das Vakuum der Postmoderne überwinden. Wie immer geht es um Leidenschaftlichkeit, davon hatte dieser Abend mehr als genug.