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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 8. 2011 - 18:53

Fußball-Journal '11-82.

Alle sind Verlierer: die U20-WM als vergebene Chance für einen Aufbruch.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einem Fazit der U20-Fußball-WM nach dem letzten Auftritt der ÖFB-Auswahl gegen Ägypten.

Die bisherigen Journale zur U20-WM:

Fußball-Journal '11-81b: Was nach dem letzten Spiel Österreichs bei der U20-WM noch zu sagen wäre. Oder: der fehlende Matchplan overrult die eitle System-Poserei.

Fußball-Journal '11-81a: Was vor dem letzten Gruppenspiel der U20-WM noch zu sagen wäre; oder: der Erfolg an der Oberfläche.

Fußball-Journal '11-77: Österreichs U 20 verliert 0:0. Das erste WM-Spiel offenbart alle Schwächen.

Fußball-Journal '11-76: Sich aus der Verantwortung nehmen - Start mit Vorbehalten.

Fußball-Journal '11-68; Was kann der heute fixierte U20-Kader für Kolumbien?

Fußball-Journal '11-64: Über jene Übeltäter und Prügelwerfer, die die WM-Teilnahme ganz bewusst behindern.

Fußball-Journal '11-56: Steinschlag auf dem Weg nach Kolumbien.

Fußball-Journal '11-39: Eine erste Auswahl für die WM in Kolumbien, oder: die Schmerzen des Andreas Heraf.

Fußball-Journal '11-34: Ausflug nach Cartagena. Die U20-WM beginnt heute Nacht.

Fußball-Journal '11-20: Die jungen Legionäre tragen die ÖFB-Nachwuchsteams.

Fußball-Journal '11-4: Zu früh ins Ausland. Über das Doppelpass-Spiel von Medien und Fußball-Akteuren.

Bei dieser WM haben alle verloren.

Der aufgebotene Kader, der sich nicht an der Last-Minute-Aufraffer-Mentalität der Qualifikations-Erfolge orientieren konnte.
Die Spieler, denen die Freistellung verwehrt wurde, auch weil sie mit der Ungewissheit leben müssen, dass es mit ihnen anders gelaufen wäre.
Der Coach und sein Team, das von Beginn des WM-Vorlaufs Unsicherheit und Versagensangst ausstrahlte und diesen Negativ-Resultaten auch schon allzu stark vorbaute.
Der ÖFB, der seiner U20-Auswahl weder einen rechtzeitigen noch einen erstklassigen Überflug und schon gar keine ausreichende Vorbereitung bot.
Die Bundesliga-Vereine, denen greißlerisches Kassenwarttum wichtiger war als vorausschauende Karriere-Planung für ihre jungen Spieler.
Die Bundesliga, die ihren Sonntagsreden zur Nachwuchsförderung keine Taten folgen lässt.
Die deutschen und schweizerischen Groß-Klubs, die die Spieler, denen sie ihren Willen aufzwangen, in die innere Emigration geschickt haben.
Die österreichischen Spieler an sich, und ihr Marktwert, weil die Präsentationsfläche fehlt, die seit 2007 einen exportträchtigen Aufwind produziert hat.
Die Konsumenten, weil sich jetzt im Medien-Mainstream wieder der Brauchmaehned-Gestus, was die Beschäftigung mit dem Nachwuchs betrifft, durchsetzt.
Und natürlich ich und einige andere, die sich intensiv mit dem Ereignis auseinandergesetzt haben, und jetzt mit einer Mischung aus Enttäuschung und Frustration konfrontiert sind.

Bei dieser WM haben alle verloren.

Der Kern des, ja, doch: Versagens ist eine sehr fußball-österreichische Einstellung. Anstatt sich wie etwa in Deutschland oder der Schweiz lang- oder zumindest mittelfristig an ein wichtiges Projekt anzunähern, klare Richtlinien zu vereinbaren, auf die internationale Kompatibilität zu achten und selbstgesteckte Ziele mit langem Atem anzustreben, wird hierzulande (ganz wie in der Politik) auf kurzfristigen Zuruf agiert. Dort, im Polit-Bereich, sind das (gesteuerte) Umfragen oder von Lobbyisten aus der Wirtschaft gestartete Kampagnen, hier im Fußball ist das die Nomenklatura der Alt-Internationalen, die sich die Pfründe aufteilen und der mit ihnen verbündete Medien-Mainstream, vor allem der Boulevard.

Erfolg gilt in Österreich nicht als etwas, was durch stringente Maßnahmen planbar ist, sondern als ein Bonus, der einem zufällt, weil man halt eine lässige Burschentruppe ist. An dieses Märchen glaubt die gesamte Nation seit Cordoba, die Nomenklatura hält diesen Mythos (dass alles was mit Plänen, Konzepten, Philosophien, dem Rausschauen in den internationalen Bereich, Systemen, Strategien etc. zu tun hat, ein überflüssiger Schas sei; und dass der Erfolg sich aus dem Genie einzelner und der puren Spiellust/kunst/freude von selber einstellt) aufrecht.

Wenn seitdem, aus dem Zufall heraus, irgendwer igrendetwas erreicht hat, dann wurde das von genau diesem System vereinnahmt und als Zeichen dafür, dass die "gute geleistete Arbeit" Früchte getragen hätte, gedeutet - obwohl man sich immer weiter von der internationalen Klasse entfernt, anstatt sich anzunähern.

Östereichs zweifelhafte Politik: auf den Zufall vertrauen

Innerhalb dieses Systems, das jeden Spieler oder Coach, der von auswärts reinkommt, entweder sofort assimiliert und zwei Klassen runterzerrt oder zur Verzweiflung und zum Aufbruch anderswohin zwingt, ist nur in seltenen Ausnahme-Fällen etwas möglich.
Das 07er-Wunder durch Paul Gludovatz gab es nur, weil er in ÖFB kurz vor dem Abschied stand und deshalb nix zu verlieren hatte. Ansonsten spielen selbst die jede zweite Saison halbwegs erfolgreichen Vereine maximal in der zweiten oder dritten europäischen Liga.

Vor allem im Nachwuchs-Bereich, wo sich durch die halbwegs gut funktionierende, halbwegs systematisch durchgezogene (aber immer noch enorm verbesserungswürdige) Reform der Akademien und Leistungszentren so etwas wie eine Talente-Sichtung, die sich europäisch nicht genieren muss, herauskristallisiert. Dieses bis vor ein paar Jahren funktionierende System wurde allerdings zuletzt durch Eitelkeiten, persönliche Karriere-Pläne und andere Unsinnigkeiten wieder desavouiert.

Herafs U20-Kader für Kolumbien ist das Resultat dieser zweifelhaften Politik (so wie es das Versagen der U21 im Vorjahr war). Heraf instrumentalisiert, ebenso wie Andreas Herzog und Dietmar Constantini, die Nachwuchs-Teamspieler als Schachfiguren des Aufmarschplans der eigenen Ich-AG. Es geht nicht mehr um systematischen Aufbau, um eine Jahrgangs-Politik, wie sie Deutsche oder Schweizer betreiben (deren Durchlässigkeit auf genauen Absprachen basiert), sondern darum, die anderen zu ärgern und sich Vasallen aufzubauen. Das hat was vom hundertjährigen Krieg - aber nichts in einer Nachwuchs-Abteilung einer nationalen Verbands zu suchen.

Dauerumstellung und Dauerrotation sind keine Philosophie

Aus diesen Gründen, und auch weil sein Umgang mit komplizierteren jungen Menschen (da spielt auch der Generations-Konflikt der analogen Oldies mit den jungen Digitalen massiv rein) ein grenzwertiger ist, beraubte sich Heraf systematisch seines Kreativ-Potentials.

Als ihm schließlich auch noch Alaba und Holzhauser verweigert wurden (inwieweit er sich da besser hätte einsetzen können, lässt sich schwer sagen. Fakt ist, dass sich Alaba etwa für die letztjährige Euro selber einberufen hat - der ÖFB und Heraf hatten nicht dran gedacht) und Djuricin verletzt ausfiel, war das Gerüst zu schwach, um sich gegen andere, besser eingespielte Truppen durchsetzen zu können.

Die spielten ihre Matches allesamt (Brasilien sowieso, Ägypten und Panama aber noch mehr) innnerhalb einer klar erkennbaren Philosophie in reibungslos umstellbaren Systemen, während Heraf wie so oft (auch schon während der Qualifikation und der U19-Euro) hektisch herumexperimentierte und andauernd Aufstellungen präsentierte, die sein Kader nicht ausfüllen konnte.
Dass mehr als die Hälfte der jeweils eingesetzten Akteure nicht auf den Positionen, die sie im Verein oder zuvor bei der U20 gespielt hatten, auflaufen durften, sagt schon alles.

Hier die Analyse des Kurier.

Und hier quillt Herafs erprobt eingeschränkte Erkenntnisfähigkeit aus dem offiziellen ÖFB-Nachbericht zum Ägypten-Match: da für den Aufstieg ein Sieg nötig war, habe "Heraf die Startelf auch mit einem offensiven 4-4-2-System aufs Feld" geschickt. Will er uns allen Ernstes das defensive, flache 4-4-2 mit zwei Sechsern im Nachhinein als offensiv verkaufen?

Diese irgendwie selbstsüchtig und poserhaft daherkommende Strategie hat auch mehr von Selbstverwirklichung als von einem echten Plan oder gar einer Philosophie. Denn "Ich spiel 4-3-3!" (Subtext: "Wie Barca!") ist weder das eine noch das andere, sondern nur Angeberei. Vor allem, wenn die Akteure für dieses 4-3-3 fehlen.

Weil selbstständig denkende Köpfe fehlen, geht es schief

Und weil es genau die waren, (wie zuletzt auch ein Kurier-Kommentar richtig anmerkte) die in den wichtigen Spielen in den entscheidenden Momenten das strategische Heft des Handels selber in die Hand nahmen und sich auf dem Platz neu und sinnvoll organisierten, ging diesmal alles schief.

Solche Spieler (Alaba, Holzhauser oder Nutella-Boy Knasmüllner) sind es, die den Unterschied ausmachen können. Und sie brauchen effektive Stürmer, schnelle Flügelspieler, gut ausgebildete Sechser und eine Abwehr, bei der es nicht wurscht ist, wer innen und wer außen spielt.

So gesehen hat in Kolumbien also letztlich alles gefehlt. Da gab es Flügelspieler, die nicht an die Grundlinie gehen durften; Linke, die rechts spielen mussten, Rechte auf Links, Center am Flügel und anderes mehr. Bis auf Tormann Radlinger und mit Abstrichen Kainz und Schimpelsberger durfte niemand dreimal auf derselben Position spielen.

Und so kam es, dass die Unsinnigkeiten und Unfassbarkeiten des österreichischen Fußball-Systems im Verbund mit einem nachlässigen ÖFB, einem übertrieben interpretierten Trainer-Ego, einer verheerenden Abstellungspolitik und einer zu wirr und schwach eingestellten Mannschaft, die sich letztlich dann (zurecht) auch selber nichts mehr zutrauen durfte, eine Chance verpasst wurde.

So sind jetzt alle Verlierer wieder in der Verantwortung

Denn natürlich hätte es den vielen Akteuren, die noch bei heimischen Klubs aktiv sind (nur vier der Eingesetzten waren Legionäre), etwas gebracht, im Achtelfinale gegen z.B. Argentinien im internationalen Fokus stehen zu können. Und natürlich hätte eine Bestätigung des 07er Resultats (09 war man eh schon nicht dabei) international durchaus Image gebracht.

Allerdings: vielleicht ist es besser so.
Denn: ein Erfolg wäre unter diesen gesamten Umständen doch eher Zufall gewesen; und den hätten dann wieder eh nur die falschen als "Resultat der guten Arbeit" für sich beansprucht und damit nur wieder Jahre weiterer Untätigkeit bedeutet.

So sind jetzt alle Verlierer erst recht in der Verantwortung.