Erstellt am: 5. 8. 2011 - 19:11 Uhr
Endless Summer III
Die Geschichte einer Gang
Christian Lehner
Und da waren sie wieder zurück unter den Lebenden. Noch Vor drei Jahren saßen mir die ausgemergelten Gestalten von Gang Gang Dance in einem kargen Hinterhof in Chinatown, Manhattan gegenüber und wirkten so hoffnungslos und verloren wie der gemeine Glee-Fan in Wacken. Der Hype um die Musikszene Brooklyns hatte gerade den Zenit der medialen Erregung erreicht und obwohl Gang Gang Dance neben den Dirty Projectors, Grizzly Bear und TV On The Radio eine der ausgelobtesten Bands von New York waren, wollte sich keine Hochstimmung ausbreiten in dem engen, grauen Hinterhof.
4AD
Einerseits war man bereits zu erschöpft vom jahrelangen Hungerkünstlern, das trotz weltweiter Präsenz kaum die Rechnung für das Notwendigste zahlte. Andererseits mussten die Indie-Clubber den Verlust des gesamten Band-Equipments verkraften, das wenige Tage vor unserem tête-à-tête aus dem Tourbus geklaut wurde – leider eine gar nicht so seltene Praxis im Big Apple. Sängerin Liz wirkte hinter der professionellen Fassade fast so panisch wie die Titelheldin des damals zur Besprechung stehenden, weit in die musikalische Auflösung von Weltbeats, Kraut und Electronika reichenden Werkes "St Dynphna". So mitleidserregend, wie sich die drei anwesenden Gang-Members damals präsentierten, hätte ich keinen Cent auf ein weiteres Album dieser sehr eigenwilligen, zwischen Club-Esoterik und Indie-Szene beheimateten Formation gewettet.
Nightboat to Ms. Liberty
Und heute, an einem Mittwochabend im heißesten Juli seit 1977, halte ich ein Ticket für die Triumphfahrt der wiedererstarkten Gang Gang Dance in der Hand. Die Luft steht, der Mensch stöhnt. Gut 250 Passagiere haben sich gegen 8pm am Pier 40 an der Westside von Manhattan eingefunden. Es ist noch immer unerträglich heiß. Die Schlussfolgerung: wenn schon Schwitzen, dann zumindest beim Tanzen. Gang Gang Dance feiern den Abschluss einer gloreichen Tour zum glorreichen, fünften Album Eye Contact.
Die drohende Pleite wurde vorerst mit einem Scheck aus dem Hause Florence And The Machine bzw. deren Label Island/Universal abgewendet. Die trotz Absatzkrise der Musikindustrie gut verkaufenden Engländer hatten sich für den Song Rabbit Heart etwas zu offensichtlich bei der Single House Jam vom letzten Gang Gang-Album bedient. Florence zahlten, ohne zu mucken. Kurz darauf landeten Gang Gang Dance beim edlen Label 4AD. Die Sonne begann wieder heller zu strahlen.
Mit dem im Frühjahr erschienene Album "Eye Contact" gelang der Band dann auch künstlerisch ein großer Wurf, stellt die dort verhandelte Musik doch eine Rückführung der gerade so angesagten Neo-Weltmusikentwürfe in den Kanon des westlichen Top40 Radios dar – bloß mit anderen Mitteln. "Eye Contact" ist ein herrlich giftiges Dance- und Meditationsalbum aus Batick, Bhangra, griechischem Schafskäse, Grime-Duftstoffen und ein bisschen Chrom. Allein der Autodrom-Hit "Mindkilla" pulverisiert das letzte M.I.A. Album bereits nach wenigen Takten. Ein Triumph. Und jetzt Leinen los!
Christian Lehner
"The Star of Palm Beach" lautet der Name des Ausflugschiffes, Golden Airplan der des Veranstalters und Rocks Off heißt die durchführende Company, die sonst Fan-Busfahrten zu Hair Metal-Konzerten organisert. Zwischen 20 und 30 Dollar kosten die Musik-Cruises im Schnitt. Gewöhnliche Ausflugsschiffe verlangen auch nicht weniger.
Christian Lehner
Wir kommen (hoffentlich) wieder! Um 8:30 pm legt die "Star" vom Pier 40 an der Westside von Manhattan ab. Im Hudson River tuckern wir nach Süden in Richtung Freiheitsstatue.
Christian Lehner
Gang Gang Dance Sängerin Liz fürchtet die Seekrankheit, gibt sich aber zuversichtlich - immerhin hat sie gerade von einem Fan ein Blumensträußchen geschenkt bekommen. Vor zwei Jahren sammelte ihre Truppe an Bord eines russischen Schiffes in Japan erste Erfahrung in Sachen Musizieren-auf-den-Wellen.
Christian Lehner
Für so eine Bootsfahrt
Christian Lehner
muss natürlich
Christian Lehner
die passende Adjustierung gefunden werden -
Christian Lehner
v.a. wenn selbst die Brise hot as toast ist...
Christian Lehner
Die Opener Bubbles fallen zunächst mit einer interessanten Anordnung von Instrumenten und Maskottchen auf...
Christian lehner
... und angesichts der Aufmachung von Tasten- und Hau-Drauf-Mann Alain Levitt fragt man sich, wer hier auf diesem Schiff eigentlich das Steuer/Ruder in der Hand hält.
Christian Lehner
Allerdings werden diese die Sicherheit der Passagiere betreffenden Fragen mit dem ersten Aufheulen der Anlage weggeblasen. Es ist nicht nur heiß, was uns die Bubbles da kredenzen, es ist auch sehr laut. Sänger Jason P. Grisell liest die Songtexte aus einem Buch. Seine Frauenkleider flattern. Im wirklichen Leben hat er vor gut einem Jahr ein befreundetes Paar getraut. Kein Scheiß jetzt.
Christian Lehner
Der hart vorgetragene Synth-Core lässt die See beben.
Christian Lehner
Ja, es schaukelt nun mal auf einem Schiff!
Christian Lehner
Mittlerweile befinden wir uns an der Südspitze von Manhattan. Hallo, Ms. Liberty!
Christian Lehner
Die Nacht senkt sich über den natürlichen Hafen von New York. Jersey City und Downtown-Manhatten erstrahlen im Lichtkegel der Zivilisation. Der Bug teilt Meerwasser.
Endless Summer I - The People's Tape
Endless Summer II - Ein Mixtape der Grillwave Schule 2011
Christian lehner
Gang Gang Dance are taking over.
Christian Lehner
Gefühlt steigt die Temperatur auf 110 °F. Einzig das AC-klimatisierte Unterdeck lädt zur kreativen Kühlung.
Christian Lehner
Von dort aus schieben sich bald die Brooklyn und Manhattan Bridge ins Sichtfeld. Wir sind längst am East River.
Christian Lehner
Und Wende, ihr Tropenhelme und Tattoo-Entchen!
Christian Lehner
Während wir mit den Zehen zu Gang Gang Dance raven und gleichzeitig die Vista genießen ...
Christian Lehner
... stürmt die Gang vor der Kulisse so ziemlich aller Club-Checker, die mir bis dato in NY begegnet sind, sowie den Passagieren der "Star Of Palm Beach" durch ihr Set,
Christian Lehner
als ob sie gerade am Anfang ...
Christian Lehner
... und nicht am Ende einer langen Tour stehen würden. Nice!
Christian Lehner
Und heiß!
Christian Lehner
Nach drei Stunden ist der Boots-Rave auch schon wieder vorbei. Die "Star" erholt sich frisch vertäut am Pier 40. Die Passagiere wackeln von Bord. Sie mussten nicht einmal auf einschlägige Erfrischungen zurückgreifen, denn weiche Knie waren auch so garantiert.
Christian Lehner