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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 8. 2011 - 17:54

Journal 2011. Eintrag 147.

Der Tod des letzten Pornojägers markiert das Ende der alten, erzreaktionären Spießer&Klemmer-Schule. Die neue, post-modernde Variante ist allerdings um ein Vielfaches gefährlicher.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute, aus mehreren aktuellen Anlässen (tags: Humer, Pfaller, Breivik, Sex & the City uvam) mit ein paar Anmerkungen zu akuten Sexualmoral.

Fast wäre sie mir entgangen, die Nachricht vom Tod des letzten Pornojägers. Durchaus zurecht: denn Martin Humer war deutlich jenseits seines Zeniths als erzkatholische, erzreaktionäre moralische Autorität einer fundamentalistisch motivierten, sexualfeindlichen Lobby.

Humers Lebensaufgabe: das Sichten und Zur-Anzeige-Bringen von Pornographie, sowie aktionistischer Protest gegen Kunst die sich mit Sexualität beschäftigt, und "entarteter" Kunst aller Art.

In den letzten Jahren driftete das Engelwerk-Mitglied dann in obstruse Randbereiche wie die Unterstützung von Holocaust-Leugnung oder die Restauration einer präkonzilianischen Kirche ab und wurde selbst von seiner engeren Umgebung nur noch belächelt.

Humer hatte in den 70ern und 80ern eine gesellschaftlich problematische Funktion, obwohl er auch schon damals eine reine Witzfigur bar jeder inhaltlicher Substanz war. Hatte sich Humer eine Kampagne angeschlossen (Bernhard, Nitsch, Lüpertz...) desavouierte sein Zutun eine seriöse Debatte - es führte viel mehr zu einer Zuspitzung, die Diskutanten zwang eine Seite einzunehmen.

Grobschlächtig-radikaler Fundamentalismus alter Schule...

Humers mit Bauernschläue getarnter Radikalismus hatte ob seiner Grobschlächtigkeit immer etwas Kurioses, gereichte in all seiner so unchristlich vorgetragenen Unversöhnlichkeit dem Beobachter immer auch zum Amusement.

Dabei war die Humer-Mixtur (aus radikaler Religiosität, radikaler knapp neben dem Nazismus geparkter Weltanschauung und radikalem Patriarchismus) nie witzig.
Man konnte sie nur sehr leicht nicht sehr ernst nehmen und dabei mit einer flächendeckenden Koalition aller gesellschaftlichen Kräfte rechnen. Wobei auch diese Rechnung nicht wirklich aufging: die Kronen-Zeitung etwa befand sich fast immer auf Humers Seite, und instrumentalisierte seine Position zu moderner Kunst, freier Sexualität und politischer Unbotmäßigkeit als Auftrag eines virtuellen "Volkswillens". Und diese Kampagnen haben dann nicht mehr die Lächerlichkeit eines Eiferers, der vor dem Burgtheater eine Fuhre Mist ablädt - sie greifen tiefer.

Trotzdem lässt sich diesen (meist von älteren Männern) abstrakt geführten Kampagnen immer ein wichtiges Gefühl entgegenhalten: die verdammen etwas, das sie nicht kennen und nie erfahren haben: Kirchenfürsten, Verleger-Oldies, Spießer alter Schule und Sexual-Klemmer haben eben schlicht keine Ahnung wovon sie sprechen; ihre Vorstellungen und Prägungen stammen noch aus den 50er des vorigen Jahrhunderts, haben also anno 2011 keine Relevanz.

...selbstmitleidige Opferrolle in der postmodernen Version

Die neue, postmoderne Variante der fundamentalistischen Porno-Ankläger, Sexualklemmer, Moralspießer basiert auf einer ganz anderen Erfahrung: been there, done that.

Wer weiß wovon er spricht, bekommt gleich eine ganz andere Deutungshoheit zugesprochen. Wer seine reaktionäre Sexualmoral aus der eigenen Erfahrung schöpft, besitzt Glaubwürdigkeit und ist keine Witzfigur der Marke Humer mehr.

Deutlich gemacht hat das, wie so vieles, was bislang nur unter der Oberfläche blubberte, aber nicht ganz hinauf in die Erkenntniswelt gedrungen ist, das Breivik-Manifest.

Im übrigen ist das ein Aspekt, der die aktuell überall so sehr zu Unrecht angegriffenen heimischen Rechtspopulisten völlig außen vor lässt: Haider, Strache und einige andere sind ja, im Gegensatz zur restlichen, zuallermeist asexuell agierenden Politiker-Kaste, fast schon Musterbeispiele eines immer noch hoch-modernen kennedy-mäßigen Zugangs zu einer lustvollen Interpretation der Rolle des Volks-tribunen.

Denn neben einer politisch, ökonomisch und sozial zu einem Zerrbild geronnenen Welt kommt dort auch der Sexual-Politik ein bedeutender Begründungs-Aspekt zu. Breivik ist sich sicher ein Opfer der kulturmarxistischen Pornographisierung der gesellschaft zu sein. Seine teilnahmslose Mutter, sein abwesender Vater, sein zum Monster aufgeblasener Stiefvater - simpel personalisiert und hochgerechnet, dazu problembefreit von jeglicher Gesellschaftsanalyse, stilisiert er sie und die Abkehr von einer fundamentalistisch-katholischen sexualitätsbekämpfenden Kirche als verderbte Elemente, die wegen ihrer diesbezüglichen Verkommenheit auch im großen Abwehrkampf gegen den islamischen Feind versagt hätten (und deshalb zum Abschuss freizugeben wären).

Sexueller Kreuzzug samt Schlampen-Charts als Fundament

Da ist Breivik recht nah an Humer dran.
Ihm fehlt das Lächerliche des Spießers, der sich immer alles versagen musste. Breivik hat seinen sexuellen Kreuzzug, der ihn durch Europa geführt hat, schon hinter sich: hat Statistiken geführt, eine Art Schlampen-Chart nach der Bereitschaft der weiblichen Bevölkerung zu One-Nite-Stands mit ihm, den attraktiven nordischen Hünen gestaltet. Damit passt er exakt in das klassische Muster: in der Jugend die Sau rauslassen, sobald man den Erwachsenen-Status erreicht Hände falten und Sexualitätsfeindlichkeit auf die Fahnen schreiben.

Bei der Klage über die von diesem "Schlampentum" ausagelöste Moral (vor allem der "schmutzigen Einfluss" von Popstars wie Madonna und Lady Gaga wird moniert) trifft sich Breiviks Weltbild interessanterweise mit einer seit einiger Zeit auch breit diskutierten Klage der Kultur.Philosophie: die Hinwendung zur Pornografisierung, die vor allem die weiblichen Stars der Mainstream-Kultur betreiben, ist auch eines der zentralen Argumente, mit denen Robert Pfallers "Wofür es sich zu leben lohnt" einen Verlust von tatsächlicher Sinnlichkeit (zuungunsten einer industriell vorgefertigten schnellen Konsumierbarkeit) beklagt.

Und genau mit auf Frauenangst und Frauenhass basierenden Argumenten wie diesen steht die Ideologie der Generation Breivik ganz schnell im Mainstream der politischen und kukturellen Diskurse. Und ist deshalb tausendmal effizienter als die Vorgänger der Generation Humer.

Selbststilisierte Opfer der feministisch-sexuellen Revolution

Letztlich ist die bei Breivik (und spiegelgleich im islamischen Mainstream-Diskurs) auffindbare Debatte um das Familienbild, die Schande die Mütter und Schwestern mit unziemlichen Verhalten über Rasse, Nation, Religion bringt, seit Jahren ganz massiv im Mainstream-Diskurs angelegt.

Das muss man gar nicht als Zerstörung auf Basis des "Sekundäreffekt der feministisch-sexuellen Revolution" verstehen, wie Breivik das in seiner umfangreichen Kreuzritter-Fantasie festhält (wichtiger Link dazu: Ute Scheub in der taz).
Ich darf nur an die unsägliche Gender-Erregung erinnern, die hierzulande vor zehn Jahren beim Anlaufen von "Sex & the City" im Herzen einer eigentlich nachdenklich-fortgeschrittenen Debattenkultur stattgefunden hat. Alles, was Männern seit immer und natürlich auch in den dümmsten Ausprägungen kultureller Massenkultur selbstverständlich erlaubt war (also die dumpfestmögliche Absonderung sämtlicher Irrläufer) wurde hier, im Fall der überzeichneten Frauen, problematisiert und mit moralischen Alarmzeichen übersät, die recht stark an die aktuelle Debatte andocken.

Mit anderen Worten: unsere ureigene Spießer&Klemmerei ist höchst anfällig für solche Rezeptoren ansteuernde Ideologien. Und wenn sie dann auch noch im postmodernen Duktus des seen-it-all vorgetragen werden, dann steht der sexual-politics-Part des Breivik-Manifests mittendrin im gesellschaftlichen Mainstream.
Bis jetzt im Übrigen ziemlich unbeeinsprucht.