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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 8. 2011 - 11:43

Fußball-Journal '11-78.

Man kann gegen Brasilien verlieren; entscheidend ist nur das Wie und das Warum. Oder: Heraf spielt für die Galerie. Zum zweiten Match Österreichs bei der U20-WM.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit dem zweiten Österreich-Spiel bei der U20-Fußball-WM

Die bisherigen Journale zur U20-WM:

Fußball-Journal '11-77: Österreichs U 20 verliert 0:0. Das erste WM-Spiel offenbart alle Schwächen.

Fußball-Journal '11-76: Sich aus der Verantwortung nehmen - Start mit Vorbehalten.

Fußball-Journal '11-68; Was kann der heute fixierte U20-Kader für Kolumbien?

Fußball-Journal '11-64: Über jene Übeltäter und Prügelwerfer, die die WM-Teilnahme ganz bewusst behindern.

Fußball-Journal '11-56: Steinschlag auf dem Weg nach Kolumbien.

Fußball-Journal '11-39: Eine erste Auswahl für die WM in Kolumbien, oder: die Schmerzen des Andreas Heraf.

Fußball-Journal '11-34: Ausflug nach Cartagena. Die U20-WM beginnt heute Nacht.

Fußball-Journal '11-20: Die jungen Legionäre tragen die ÖFB-Nachwuchsteams.

Fußball-Journal '11-4: Zu früh ins Ausland. Über das Doppelpass-Spiel von Medien und Fußball-Akteuren.

Schlimm ist nicht die deutliche Niederlage gegen Brasilien, die heute Nacht in Barranquilla über das ÖFB-U20-Team hereinbrach wie österreichische Maturanten über Bodrom.
Schlimm ist die Überflüssigkeit der Umstände, die dazu maßgeblich beigetragen haben: dass nämlich der Coach unbedingt für die Galerie aufstellen und pseudo-taktieren musste. Und noch schlimmer ist, dass Ägypten im Spiel davor deutlich aufgezeigt hat, wie man das alles besser macht; und auch wie man Panama sinnvollerweise begegnen sollte.

Das alles wirft mehr als nur einen Schatten über die österreichische Vorbereitung auf diese WM.

Andreas Heraf hatte radikal umgestellt. Von angekündigten 4-3-3 des ersten Spiels (das dann eh nur ein hatschertes 4-2-3-1 war) zu einem irgendwie modern klingenden 3-4-3. Und auch personell wurde rochiert: Windbichler, Ziegl rein, Teigl, Meilinger, Offenbacher oder Schütz nicht.

Trainer Heraf entdeckt die Fünfer-Abwehr wieder

De facto spielte dann (solange man davon sprechen konnte, dass die ÖFB-Auswahl mitspielte, also im 1. Teil der 1. Halbzeit) eine 5er-Abwehr, wie man sie seit den seligen 80ern (und damals so eh nur in Österreich praktiziert) nicht mehr gesehen hat: ängstlich, eng aneinanderstehend, mit zaghaftestem Aufbau nach vorn, tunlichst bedacht alle Schnittstellen zuzustellen.
Die große Rapid-Mannschaft, deren Teil Heraf ja zeitweise war, hat auch so gespielt. Seit damals ist die 5er-Abwehr aber auf dem Mistzhaufen der Fußball-Geschichte gelagert; und nur ganz selten wird sie noch herausgeholt. Von Nordkorea zum Beispiel, bei der letzten WM; als sie gedachten Defensiv-Beton anzurühren.

Vor dieser 5er-Abwehr stand recht verloren Tobias Kainz im Zentrum, und, ein wenig vor ihm eine offensive Dreierreihe, die - wie schon im ersten Spiel - zu wenig Anbindung an den vereinzelten Stürmer (diesmal von Beginn an Andreas Weimann) fand.
Ein 5-1-3-1 also.

Die Nordkoreanisierung des österreichischen Spiels

Von der Mittelfeld-Raute, die Heraf angekündigt hatte, war - ebenso wie von den drei Spitzen - nichts zu sehen. Die defensiven Außenspieler (Ziegl rechts und vor allem Dilaver links) waren von Beginn an in Defensiv-Gewerkel verstrickt; die paar Momente des Spielaufbaus, in denen sie sich tatsächlich ins Mittelfeld trauten, blieben im untersten einstelligen Bereich. Gucher in der Offensiv-Zentrale ist eine doch eher vorsichtig zu nennende Interpretation.

Der Höhepunkt der Absurdität war Herafs Ankündigung seine "Außenstürmer", also farkas und Klem entgegen ihres starken Fußes einzusetzen, also Klem rechts und Farkas links. Die zwei sollten so von außen in die Mitte ziehen, mit dem Ball auf ihrem starken Fuß.

Interessante Idee, aber - vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die finale Konstellation im Panama-Spiel, als Meilinger rechts und Teigl links systematisch an die grundlinie gingen, die einzig gut funktionierende war - in der Praxis völlig absurd.

Die Konfusion der falscher Annahmen verliert das Spiel

Nach geschätzten acht Minuten war der Unsinn eh vom Tisch, Farkas bliebt rechts, Klem (der schon im ersten Match zentral agieren musste, etwas, was er gar nicht kann, weswegen er auch unsichtbar blieb) links.

Noch absurder in dieser an Grotesken eh schon nicht armen Aufstellung ist allerdings die Begründung für diese Maßnahmen: die Massierung in der Mitte, mit drei Innenverteidigern, wurde damit begründet dass die Brasilianer immer übers Zentrum angreifen würden. Zugleich warnte Heraf aber auch vor der gefährlichen linken Angriffseite der vierfachen U20-Weltmeister. Was jetzt, Zentrum oder links?

Dass die ersten Angriffswellen der kleinen Seleção dann über rechts losrollten, vervollständigt ein Bild der völligen Konfusion der falschen Annahmen.
Die theoretisch richtigen Auswechslungen in der zweiten Halbzeit fruchteten dann nix mehr - das Spiel war durch die vergeigte Ausgangsposition verlorengegangen.

Hochhängende Trauben nehmen dem Taktikfuchs die Sicht

Und genau das ist so ärgerlich.
Nicht die Niederlage an sich, sondern das durch Herafs "Ich bin so ein Taktikfuchs!"-Ego verursachtes Wirrwarr. Echte Taktikfüchse (Gludovatz) gehen damit nicht angeben und stellen ihre Systeme und Strategien auch auf die Fähigkeiten der Spieler ab.

Heraf, der clevere Fuchs im Hühnerstall ÖFB hat gerochen, dass die seit einiger Zeit schwelende, durch dumme Constantini-Sager nur noch befeuerte Taktik-Debatte ihn vielleicht an die Spitze spülen könnte. Und so verband er das klassische Networking der Ex-Teamspieler-Lobby mit der modischen Klopp/Tuchel/Taktik-Pose; oder dem, was Heraf dafür hält.
Ich habe seine vielgerühmten taktischen Fähigkeiten ehrlich gesagt noch in keinem einzigen Spiel erkennen können. Und das Brasilien-Match setzt diesem Gehabe dann auch irgendwie die Krone auf.
Dass irgendein Akteur der Ronaldo/Arnautovic-Schule für die Galerie, also für die Optik, die Zuschauer, sein Ego (und somit womöglich gegen den Teamerfolg spielt, das geht ja noch an; auch weil es schnell abzustellen ist.

Wenn allerdings der Coach für die Galerie spielt, dann gibt's keine Rettung. Schlimmer vercoachen als das geht gar nicht.

Der letzte Gruppengegner Ägypten als Positiv-Beispiel

In Ägypten ist man bis etwa Mitte 20 jung, fußballerisch. Im Nationalteam gibt es vielleicht zwei Spieler unter 25, selbst die U23 setzt ausschließlich auf Ü20. Und die Akteure der ägyptischen U20 spielen fast ausschließlich in den Jugendteams der ägyptischen Liga.
Trotzdem sind sie erstklassig ausgebildet, technisch sattelfest, und taktisch stabil.
Das 4-2-3-1 das El Sayed Daa gegen Panama hinstellt, ist präzis gebaut: die Außenverteidiger stoßen mit vor, manchmal auch beide zugleich, zumindest einer die beiden Sechser ist bei jeder Offensiv-Aktion dabei, die offensive Dreierreihe steht beim frühen Pressing auf einer Höhe mit dem Stoßstürmer.

Das sieht nicht nur gut aus, das hat auch einen Punkt gegen Brasilien und gestern einen Sieg gegen Panama gebracht.

Der entscheidende Unterschied zum Österreich-Spiel gegen Panama war der, dass die taktische und systemische Stabilität der Ägypter sie in die Lage versetzte von Beginn an gefährliche Angriffe zu fahren und damit eine Spiel/Ball-Überlegenheit zu erzielen.

Wer das Spiel nicht bestimmen kann, gewinnt es selten

Die vielen hübschen Chancen der ÖFB-Auswahl gegen Panama haben vielleicht einigen die Sicht verstellt: die spielbestimmende Mannschaft waren die Panameños, nicht die unsrigen. Panamas Manko, in ihren beiden bisherigen Spielen, ist dass sie ihr gefälliges Kombinationsspiel nicht in echte Torgefahr umsetzen können.

Und zwar egal, ob es mit ihrem (echten) 4-3-3 gegen Österreich oder wie heute Nacht mit einem 4-2-3-1 (da ihr Zehner, Josimar wieder einsatzfähig war) stattfand.

Higjlghts beider Partien sind heute abend auf Sport Plus (auf tw1) nochmal nachzusehen, ab 21.15.
Und hier noch die Analyse von ballverliebt, die ich in einigen Bereichen nicht teile - denn dort hat man tatsächlich ein 3-3-3-1 gesehen, als ob Ziegl und Dilaver in der Grund-formation jemals ins Mittelfeld gerückt wären.

Ich will nicht anmaßend wirken, aber das hätte man in den vielen DVDs, auf deren Beschaffung bzw Besitz Heraf immer so stolz referenzierte, eigentlich erkennen können. Gegen eine halbwegs stabile Abwehr tut sich Panamas Offensive schwer - so flink auch das Flügelspiel abgeht, der letzte Paß kommt nicht an.

Ägypten hat all das erkannt, die Lehren gezogen und völlig verdient gewonnen, steht de facto schon im Achtelfinale.
Ob sich das für Panama und das ÖFB-Team ausgeht, hängt von der Lernfähigkeit des Stabes ab.