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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 8. 2011 - 23:26

Journal 2011. Eintrag 146.

Wie die Filmindustrie wider besseres Wissen ein virtuelles Feindbild pflegt.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Piraten-Geschichte der anderen Art. Und um eine Sparte der Unterhaltungs-Industrie, die lieber ein abgeschmacktes Piraten-Klischee aufrechterhält, anstatt sich um veränderte Gegebenheiten zu kümmern.

Der Konsument, das meldet heute die dem Markt und seinen Mechanismen perfekt dienende Financial Times, hat kein Interesse mehr am Kauf von DVDs.
Er will sie leihen, digital, versteht sich. Und vielleicht lässt er sich von der Unterhaltungs-Industrie, also von Hollywood, dazu überreden, sie auch zu besitzen, digital, gegen seinen eigentlichen Willen, wer weiß.

Und wieder bröselt ein Geschäftsmodell der Kultur-Industrie. Obwohl der Umgang mit diesen filigranen Änderungen schon von einem Lernfortschritt zeugt.

Im deutschsprachigen Raum ist es noch nicht ganz soweit. Da geht es vorrangig immer noch darum die Download-Piraten zu kriminalisieren; egal ob es sich um den durchschnittlichen User oder die Betreiber von Seiten wie kino.to handelt.

Dabei weiß es die Filmindustrie besser: sie verfügt über eine Studie (vom renommierten GfK-Institut), die belegt dass die "illegalen" On-Demand-User die entsprechenden Seiten nicht als Ersatz für Kino/DVDetc-Besuche/Käufe dienen, sondern sich dort Appetit holen.

Die Studie, die Klischees wiederlegt, bleibt unter Verschluss

Nur: die Studie hat nicht nur keine Auswirkungen auf die Politik der Filmindustrie - es gibt sie offiziell gar nicht. Sie wird unter Verschluss gehalten. Erinnert ein wenig daran, wie diverse Patente für unzerreißbare Strümpfe oder erneuerbare Energien von jenen Geschäftszweigen, die mit vergleichsweise Klumpert ein großes Geschäft machen, vom Markt gekauft wurden. Nur, dass in diesem Fall kein Geschäft zu machen ist - das Verschweigen dieser Studie dient ausschließlich dazu die eigene, zunehmend weltfremde, Haltung, zu rechtfertigen.

Die Vertuschung hat also rein ideologische Gründe; Und ist natürlich auch völlig sinnlos. Denn natürlich sickert sowas durch. In der Berliner Zeitung vom Wochenende steht ein kurzer Abriss dieser Story, der auch die Versuche der GfK beschreibt auf das interne Leck zu stoßen; so panisch ist man.

Natürlich ist kein Auftraggeber einer Studie verpflichtet, ein Resultat zu veröffentlichen, wenn es nicht dem Auftragsziel entspricht. In der Regel passiert das auch - Studien auf Bestellung, das ist ein riesenhafter, gut geölter Markt. Manchmal, wenn niemand vorher nachdenkt, wenn Entwicklungen verschlafen werden, passiert aber genau sowas.

Angst vor Internet-Piraten, die es so gar nicht gibt

Und dann ist es eine Frage des Mutes, wie man damit umgeht.
Die deutsche Filmindustrie, die auf dem Mantra "böses Internet!" die letzten Jahre verpennt hat, besitzt davon scheinbar zu wenig. Die Piraten-Klischees, die man in schlechten Spot-Reihen jahrelang aufgebaut hat (die vom Konsumenten immer schon als lachhaft abgetan wurden und nur von einer sich an den eigenen Erfindungen berauschenden Szene sexy gefunden wurden), sind gegessen, der Schmäh vom die Künstler und die Industrie ruinierenden unersättlichen Web-User hat sich überlebt.

Die Filmindustrie, so formuliert es der Berliner-Zeitungs-Autor Rüdiger Suchsland sehr höflich, "bewegt sich konzeptionell immer noch nicht auf der Höhe der Zeit". Denn es geht dem Konsumenten nicht um Eigentumsrechte, sondern um Zugangsrechte. Und da entscheidet schnelle und praktikable Bereitstellung.

Und da wären wir wieder bei dem, was die FT da heute (sicher mit Zustimmung der entsprechenden Industrie) öffentlich festgestellt hat: jetzt wo die DVD-Verkäufe merklich (und seit 2006 kontinuierlich) zurückgehen, wollen die Studios "you to buy movies digitally and to own them. But the consumer wants access to film and TV programming without the burden of ownership." zitiert man einen Experten von IHS Screen Digest, einer Firma, die eine Fachstudie über digitale Filmverkäufe verfasst hat.

Der Besitz von Filmen ist längst nicht mehr anstrebenswert

Der Besitz von Musik, Filmen etc ist für die neue digitale Generation nichts Anstrebenswertes mehr (das ist etwas für die alten HiFi-Freunde, die sich noch mit antiquiertem Unsinn wie dem Überspielen auf verschiedene Datenträger beschäftigen) - die wollen ihr Zeug in Clouds auslagern, denen ist die Möglichkeit von überall her an das Gewünschte ranzukommen wichtiger als herkömmlicher, haptischer und räumlich begrenzter Zugriff. Wer sammelt im Youtube-Zeitalter noch Videoclips?

"Consumers want to rent, not buy, in a digital world", zitiert die FT einen Analysten von BTIG Research, "there are so many ways to access content: why should you ever need to actually own a movie?"

Gute Frage. Und im Prä-Video-Zeitalter, also bis tief in die 80er hinein, als es die Option Filme zu besitzen nur für Millionäre und Freaks mit einem Vorführraum gab, hat sie sich auch niemand ernsthaft gestellt.
Deshalb ist der Rücksturz, der Verzicht auf diese Art von Besitz auch nichts wirklich Überraschendes - und in dieser Hinsicht ist die dann doch historisch leicht anders strukturierte Musik-Besitz-Sache (das geht ja dann doch schon ein paar Jahrzehnte länger) auch nicht ganz vergleichbar.

In jedem Fall liegt das neue Geschäftsmodell (rent statt own) auf der Hand, das Business-Modell also auf der Straße. Auch für die deutschsprachige Film-Industrie, inklusive der heimischen Adepten und ihrer übertriebenen Piraten-Hatz. Neue Erkenntnisse über neue Rezeptionsbedingungen gehen nämlich nicht weg, nur weil man die ersten Studien darüber versteckt.