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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 7. 2011 - 20:19

Journal 2011. Eintrag 145.

Breiviks erster Erfolg im Medien-Mainstream: der Aufschwung der arabischen Moderne ist in unserem kollektiven Bewusstsein wieder vom Bild des Radikal-Islamisten verdrängt worden.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute schon wieder mit einer Folge des Osloer Attentats.

Siehe dazu auch: Journal 2011. Eintrag 141, Was Breiviks "Vienna School of Thought" ist und wer seine "Brethren" sind

Journal 2011. Eintrag 142, Schockstarren und andere strategische Seltsamkeiten. Was die österreichischen Reaktionen auf Oslo erzählen.

Journal 2011. Eintrag 143, 'Fremdes Land'. Das Buch zum Kontrollwahn. Die Security-Demokratie als Roman

Journal 2011. Eintrag 144, Die Gretchenfrage: Wie wird das europäische Christentum mit den neuen Kreuzrittern umgehen?.

Die Rührung war greifbar.
Mit Tränen in den Augen haben wir, hat ganz Europa die arabischen Revolutionen im ersten Quartal dieses Jahres verfolgt, die von einer gebildeten Jugend getragene Revolte in Tunesien, die von einer Massenbewegung bewirkte Absetzung des Mubarak-Regimes in Ägypten, die Aufstände in Syrien, Jemen und Libyen.

Diese Erhebungen haben uns nicht nur die neue Macht von Social Media demonstriert und uns an die verlorene Utopiefähigkeit erinnert, sie haben nicht nur die portugiesische oder die spanische Jugend-Rebellion nach sich gezogen, sie haben auch unser Bild von der Starrheit und der Unveränderbarkeit der arabischen Nationen mit islamischer Staatsreligion auf den Kopf gestellt.

Dieses folkloristische Bild, diese nicht unabsichtlich medial verbreitete Außenansicht der arabischen Welt war nämlich der zentrale Angelpunkt für unser aller Sicht auf den Islam und die islamische Gefahr. Wenn man nichts weiß, die betreffenden Länder und die Menschen nicht kennt, die Religiosität oder Weltlichkeit nicht einschätzen kann, dann bleibt dem Mainstream gar nicht anderes üblich als die klassischen Klischee-Bilder zu glauben, die da gezielt transportiert werden.

Die Bilder der neobürgerlichen Aufständischen...

Genau diese Bilder wurden von den arabischen Revolutionen quasi in die Luft gesprengt - denn die Rebellen vom Tahrir-Platz, die entsprachen viel eher dem, was man in den letzten Monaten als Wutbürger klassifiziert hatte; einer neuen, politisch bewussten, aktionistisch aktiven Ausprägung einer bürgerlichen Wehrhaftigkeit.

Jetzt, ein paar Monate später passiert das Breivik-Massaker und sofort sind all diese neuen Bilder wieder vergessen. Wenn vom Islam, der Gefahr aus dem arabischen Bereich, vom djihadistischen Fundamentalismus die Rede ist, kommt sofort wieder das alte Bild der folkloristischen Bartfratze nach Taliban-Muster an die Oberfläche.

Letztlich ist vielleicht genau das der große Sieg den Anders Breivik im Mainstream, also bei jenen Menschen, die seine wirren politischen Manifeste sofort als baren Blödsinn erkannt und deshalb ihr Gift nicht an sich herangelassen haben. Dass er unser Bild vom Islam wieder ins vorige Jahrtausend zurückgeschossen hat.

... werden durch den aggressiven Radikal-Fundi ersetzt.

Das ist gleichermaßen absurd wie bitter.

Denn die Revolten, das bestätigen alle entsprechenden Untersuchungen und Fachmeinungen, haben die arabische, die islamische Moderne zumindest einmal eingeläutet; und in einigen durchaus nicht unproblematischen Bereichen, etwa im Konflikt zwischen Israel und Palästinensern, haben sich die Erhebungen ausgewirkt, den Einfluss der politischen Realos erhöht und die Wirkung der Radikalen und Fundis zurückgedrängt.

Die Expertensicht auf die arabische und islamische Welt zeichnet ein anderes, neues Bild. Die von den Medien vermittelte Sicht auf den neuen, das Schicksal seines Landes mitbestimmenden Bürger (die kleine Reihe der arte-News mit Porträts aus den arabischen Revolutionen etwa ist da vorbildhaft herauszuheben) hat das Image radikal gedreht.

In dem Moment aber, wo es um die Migrations-Bewegungen oder, noch schlimmer, die unterstellten heimlichen Hegemonial-Raubzüge aus diesen Gebieten, die aus Europa Eurabia machen wollen (eines der Leitmotive von Breivik, den Gates-of-Vienna-Figuren und den populistischen Rechtsextremen) geht, sehen wir nicht mehr die arabische Moderne, deren Entstehen wir so lebendig miterlebt haben, sondern wieder nur das alte Zerrbild, das uns die selbsternannten Verteidiger des christlichen Abendlandes über Jahrzehnte vorgeführt haben.

Der Islam-Diskurs ist wieder beim alten Zerrbild gelandet

Dabei sind die rund um die Revolution entstandenen Flucht/Migrations-Bewegungen etwa aus Tunesien selbstverständlich aus diesem neuen, bürgerbewussten Denken gespeist und nicht von den reaktionären, regimetreuen Islamtreuen alten Stils determiniert.

Natürlich wird dieses Bild, ein Zerrbild, seit Jahrzehnten bewusst gepflegt und gefüttert. Und das nicht nur von den Kreuzritter-Psychos und Templer-Narren im rechtsextremen Netzwerk, sondern vor allem von den Wertkonservativen, die die westliche Wirtschaft, ihre Politik und ihre Medien lenken. Also den Murdochs und Camerons und ihren jeweiligen Entsprechungen.

Nur zögerlich haben diese Macht-Konglomerate die arabische Moderne zugelassen - schließlich waren die Erhebungen spannend und sorgten für Quote und dienten zur Ablenkung diverser hausgemachter Krisen. Dass dabei Partner (denn Gaddafi, Mubarak, Assad oder Ben Ali sind/waren in erster Linie wichtige Verbündete und Handelspartner - ihre Menschenrechtsverletzungen interessieren den westlichen Macht-Komplex nur per Lippenbekenntnis) beschädigt wurden, nahm man eh erst hin, als die Unumkehrbarkeit kenntlich wurde (die Sarkozy-Regierung hielt ja Ben Ali lange Zeit die Treue). Man konnte nicht anders als das Bild der arabischen, islamischen Moderne zu vermitteln, es war eine Art Kollateralschaden.

Die konservativen Verlage forcieren bewusst einen Backlash

Das Breivik-Attentat bietet jetzt eine willkommene Gelegenheit dieses allzu positive Bild wieder nach hinten zu korrigieren. Denn von den arabischen Revolten ist (medial und politisch) kaum noch die Rede - dafür setzt nach Oslo ein massiver Backlash ein.
Und schon ist wieder die offensive Islamisierung schuld dran, dass der arme Breivik übergeschnappt ist, sich wirren Rechtsextremen angeschlossen und dutzende Menschen umgebracht hat. Ein Opfer dieser Wilden ist er; und derer, die nicht genug gegen diese Radikal-Islamisten getan haben, die linken Kultur- und Politmarxisten. So argumentieren die konservativen Medienhäuser in all ihren Publikationen.

Dieser Breivik-Sprech kommt dem Medien-Mainstream gerade recht um das viel zu vertraute, neobürgerliche Bild der islamischen Moderne zugunsten des alten Fundi-Bilds der übergeschnappten Kalifat-Freaks zu verdrängen. Um so die vor allem wirtschaftlichen Ängste betreff Migration und Verdrängungswettbewerb aufrecht zu erhalten, die wiederum als Argumentation für strikte und wirtschaftsfreundliche Regulierungen sorgen.

Das konservative Konglomerat aus Wirtschaftsinteressen, politischer Herrschaft und Verlags-Meinungsmacherei nützt also die Bilder eines im Kreuzritterwahn verhafteten rechtextremen Attentäters, um das noch zarte Pflänzlein der arabischen Moderne wieder aus unseren Köpfen rauszudrängen.