Erstellt am: 31. 7. 2011 - 12:05 Uhr
Song Zum Sonntag: Locas in Love
Locas In Love Zu Hause, mit "Auto Destruct" zum Nachhören
Ein Interview mit der klugen Band
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über den Song zum Sonntag macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Du musst alles verlernen, was du gelernt hast und alles vergessen, was du weißt. Und immer weiter weg gehen, bis du dich enfernt hast, davon, wie du warst, davon, wie du heißt. Wasch alles ab von der Schande der Scham und der Schuld. Wasch alles gründlich ab und hab Geduld. Wer wird dieses gebrochene Herz reparieren? Wer kann ein gebrochenes Herz ausbessern? Wer wird uns wärmen, wenn wir nicht aufhören zu frieren? Du musst alles verlernen und alles vergessen.Dann leg eine Münze auf die Schienen und warte auf den Zug, der dich wegbringt von hier - dann warte, was passiert.
Für ein gutes Leben, für ein richtiges Leben reicht es nicht, kurz nachzudenken, die richtigen Bücher zu lesen. Man muss wirklich neu beginnen. Alles löschen, Auto Destruct. Die gute Nachricht: Wenn das erst erledigt ist, wenn man sich von dem Ballast befreit hat, kann man zuversichtlich, gespannt und geduldig warten und es wird besser werden - das Neue, Andere wird kommen und dich verändern.
Locas In Love
Und die noch bessere Nachricht: Diese Lösung (über die man diskutieren kann und soll - ich selbst halte ja das Gegenteil für richtig - aber sie ist eine Variante der Lebensgestaltung und mit LiL darüber zu diskutieren könnte eine wahre Freude sein) erbietet sich nämlich nicht nur für Jungverliebte mit angeknacksten Herzen, sondern auch für Jungpolitisierte, die am Bösen der Welt zu verzweifeln drohen, und sogar für die Welt selber. Hier ist auf eine so frische wie nachdenkliche, so neue wie traditionelle Art "das Private politisch und das Politische privat" - und wir sprechen von einer bei deutschen Jungbands nicht gerade aktuell produktiven Tradition (mit Ausnahme von Ja, Panik vielleicht).
Das wird am Anfang von Klavier, Gesang und Harmoniegesang erklärt und wiederholt, untermalt von eindringlichen Indie-Gitarren, gesteigert wie derzeit andernorts mit Orchestern und Glockenspielen und beendet von einem kurzen, knappen Verstärkerkrachen - das klingt auf eine angenehme Art altmodisch und so stur, wie es sich für eine kluge Band gehört.
locas in love
Was für eine kluge Band also: Ihre Vision des guten deutschen Popsongs handelt von Liebe und Kritik, beides radikal und bedingungslos, beides ohne das andere schal bis undenkbar und beides stets präsent. Ihre metaphernreichen Texte klingen so "englisch" (ich sage mal: aphoristisch, direkt und tiefsinnig, dreifach durchdacht und doch spontan) wie seit "die Regierung" nur wenig Deutsches.
Sie nahmen ihre aktuelle Platte in Glasgow mit dem Delgados Produzenten Paul Savage auf, weshalb der schnarrende Gesang von schön warmen und dicken Gitarren davongetragen wird. Die Stadt der bettelarmen, gleichsam wütend linken und romantisch verliebten Bands von JAMC bis Belle & Sebastian, von Arab Strap bis Delgados ist eine gute Heimat für Locas in Love und sie sind ein guter Neuzugang für sie. Solche kleinen Entscheidungen deuten darauf hin, dass hier kluge und sensible Leute über alles genau nachdenken - dazu trägt Björn Sonneberg die William Reid Memorial Frisur.
Auf die Frage nach Vorbildern sagen sie nicht einfach "Smiths, Pixies, Lindenberg" oder so etwas, sondern sehen sich in einer Tradition, die sich speist aus "Fugazi, Cheap Trick, Hannah Arendt und daraus, die Welt zu beobachten - und Dinge, die man dann als wahr erkennt, zu Songs zu machen." Man merkt, dass sich hier Intellektuelle am Leben reiben, und ich habe eine Hoffnung, dass dies ein produktives und vertrauenswürdiges Paradigma für gute KünstlerInnen sein und bleiben soll - obwohl und vielleicht gerade, weil das so selten geworden ist.