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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

30. 7. 2011 - 16:12

Die Stadt, die ewig schläft

Der Tod ist eines der zentralen Motive in der Kunst. Das dritte Buch von Jürgen Lagger zollt ihm bereits im Titel Tribut.

Cittá Morta, die tote Stadt, nennt der Villacher Autor seine Aufzeichnungen aus dem Leben eines Flaneurs. Der wandert durch Rom, durch die engen Gassen und großen Touristenorte der ewigen Stadt.

Mir ist
als lasse sich nicht alles ganz gewöhnlich an
(das ist nicht von mir)
als beginne eine träumerische Entfremdung, eine Entstellung der Welt ins Sonderbare um sich zu greifen,...

Bahnhof in Rom

skyscrapercity.com

Roma - Stazione Termini

Ein Zug fährt ein. Und man steigt aus. In Rom. "In welchem Chaos bin ich hier gelandet?", brüllt einem der Ich-Erzähler gleich entgegen. Mopeds knattern, das Leben brummt. Schatten auf schäbigen Wohnungswänden und Menschentrauben vor dem Fontana di Trevi.

Buchcover

Edition Laurin

Cittá Morta ist in der Edition Laurin erschienen

Endstation: Sehnsucht

Und dann erst das Flanieren. Zufällige Beobachtungen reihen sich aneinander, reiben sich aneinander in der Gedankenwelt der namenlosen Hauptfigur. Wie eine Touristin zwei Birnen und eine Banane zurechtschneidet, wie ein Mann in Kutte und Kapuze durch die Gassen zieht. Wie sich zwei junge Männer gegenseitig fotografieren, für die Bilder posieren.

...führt die Hand im selben Armschwung
innerhalb einer einzigen Bewegung
an die nackte Brust des Nichtsahnenden heran
(und fährt diesem in zwei schnellen, spielerischen Berührungen
im Zurückziehen des Arms
mit der nasskalten Hand darüber)
benetzt die Brustwarzen leicht
(die ziehen sich zusammen
[werden kleiner und hart]).

Männer begehren sich

Warner

Tod in Venedig, as seen by Visconti. Im Bild: Dirk Bogarde und Björn Andrésen

Eine Verquickung von Lebens- und Todessehnsucht beschreibt Jürgen Laggers Buch. Schon der Klappentext weist auf das Nahverhältnis zu Thomas Manns Décadence-Novelle "Der Tod in Venedig" hin. Homosexuelles Begehren, eingefasst in den Stimmungs- und Lebenslagen einer fremden Stadt, formuliert in verwirrenden Gedankensträngen.

Auf Schiene

Mit Kursivschrift, runden und eckigen Klammern bringt Lagger Struktur in seine lyrische Prosa. Geduld braucht man für "Cittá Morta", so viel steht fest. Der experimentelle Roman erzählt keine Geschichte im engeren Sinn, sondern treibt in vielen Bögen und Umwegen auf einen Endpunkt zu.

...ich bin unterwegs
(mit verschwitzten Kleidern ziellos durch die Stadt)
auf der Suche nach irgendwem
aber wo um Himmels Willen damit beginnen?
nach dir
ungewöhnlich bleich, die Haare...

Es lohnt sich, in der "Cittá Morta" zu verweilen. Lagger beherrscht seine Sprache, auch, wenn er es manchmal zu kompliziert treibt. Dann verliert man das Interesse, für einige Seiten. Bald spitzen sich die Worte aber wieder zu, beschreiben das Leben selbst und meinen den Tod.