Erstellt am: 30. 7. 2011 - 09:39 Uhr
Fußball-Journal '11-77.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit dem ersten Österreich-Spiel bei der U20-Fußball-WM - optische Nachbereitung hier bei ballverliebt.eu.
Die bisherigen Journale zur U20-WM:
Fußball-Journal '11-76: Sich aus der Verantwortung nehmen - Start mit Vorbehalten.
Fußball-Journal '11-68; Was kann der heute fixierte U20-Kader für Kolumbien?
Fußball-Journal '11-64: Über jene Übeltäter und Prügelwerfer, die die WM-Teilnahme ganz bewusst behindern.
Fußball-Journal '11-56: Steinschlag auf dem Weg nach Kolumbien.
Fußball-Journal '11-39: Eine erste Auswahl für die WM in Kolumbien, oder: die Schmerzen des Andreas Heraf.
Fußball-Journal '11-34: Ausflug nach Cartagena. Die U20-WM beginnt heute Nacht.
Fußball-Journal '11-20: Die jungen Legionäre tragen die ÖFB-Nachwuchsteams.
Fußball-Journal '11-4: Zu früh ins Ausland. Über das Doppelpass-Spiel von Medien und Fußball-Akteuren.
Es hat keinen Sinn, die wilde Schlussphase herzunehmen; oder die vielen von Andi Weimann kreierten Chancen; ein womögliches Elferfoul an Teigl; oder Zuljs Doppelsitzer.
Das alles würde über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die U20-Auswahl des ÖFB nicht spielbestimmend war, sondern lange Zeit nur mitlief in diesem WM-Startspiel gegen Panama.
Die österreichische Öffentlichkeit ist derlei aktuell mehr als gewohnt. Praktisch alle Begegnungen auf internationalem Level laufen nämlich derzeit so ab.
Rapid läuft gegen Valencia irgendwie mit und gewinnt.
Die Austria ist gegen Ljubljana die deutlich schwächere Mannschaft und geht trotzdem in Führung.
Sturm Graz setzt sich zweimal gegen Videoton durch, obwohl man die spielerisch unterlegene Mannschaft ist.
Und sogar die SV Ried obsiegt, obwohl sie das von den Spielanteilen her gar nicht dürften.
Es gibt gerade eine Glückssträhne für österreichische Mannschaften, international. Und die verdeckt, dass man sich spielerisch gerade nicht unbedingt in einem kollektiven Hoch befindet.
Nach zuviel Europacup-Glück jetzt die gefühlte Niederlage
Die U20 ist nun die erste Mannschaft, die gefühlt ein Match verloren hat - auch, weil es kein Rückspiel gibt, nach diesem Hinspiel im panamesischen Outlet Cartagena.
Dabei war die U20 auch nicht schlechter als Ried oder die Austria. Aber es ist das Wesen so eines Turniers, dass die wesentlichen Dinge schneller, exakter und besser hinhauen müssen als im Alltag, und sei es nur der europäische, mit Doppelrunde.
Herafs Aufstellung litt merklich unter der Tatsache, eine B-Auswahl zu sein. Robert Zulj ist keine erste Wahl als Mittelstürmer, auch Weimann ist kein Center in einem 4-3-3. Offenbacher ist kein Zehner wie Holzhauser oder Knasmüllner, und Klem, der linke, der das gegen Matchende spielen musste, schon gar nicht. Erst Meilinger und Teigl in der Schlussphase konnten die Flanken so dominieren, wie das Florian Kainz oder Hierländer könnten. Und Gucher kann kein Alaba sein, weil er in einer taktischen Doppel-Sechs gefangen ist.
Das 4-3-3 funktioniert nicht - zu vorsichtig aufgestellt
Und da wären wir auch schon vom schwelenden Grund-Problem der problematischen Personal-Entwicklung über die Jahre beim akuten Problem vor Ort in Kolumbien: Herafs zur heiligen Kuh erklärtes 4-3-3 funktionierte nicht.
Zum einen, weil seinen offensiven Außen (die er selber Stürmer nennt) der Angriff über die Flügel misslang (wie die Kommentatoren meinten, auf Geheiß des Chefs). Zum anderen, weil die (wieder neue) Variante mit der Doppelsechs (das also Robert Gucher, der für eine offensivere Rolle prädestiniert ist, neben Tobias Kainz spielen musste, anstatt vor ihm) das Spiel lähmte. So franste das System nämlich in ein berechenbares 4-2-3-1 aus, also die übervorsichtige Variante.
Der ÖFB-Kader
1 – Samuel Radlinger (Hannover/D, Tormann)
2 – Richard Windbichler (Admira, Innenverteidiger)
3 – Emir Dilaver (Austria, an sich defensives Mittelfeld, hier Linksverteidiger)
4 – Lukas Rotpuller (Austria, Innenverteidiger)
5 – Michael Schimpelsberger (Rapid, dort Rechtsverteidiger, hier wieder Innenverteidiger)
6 – Tobias Kainz (Heerenveen/NED, defensives Mittelfeld)
7 – Kevin Stöger (Stuttgart/D, offensives Mittelfeld)
8 – Robert Gucher (Kapfenberg, Mittelfeld, Sechser und Achter)
9 – Andreas Weiman (Aston Villa, Stürmer)
10 – Radovan Mitrovic (Utrecht/NED, Stürmer, im letzten Moment für den verletzten Djuricin nachnominiert)
11 – Daniel Offenbacher (Salzburg, Mittelfeld-Allrounder)
12 – Christoph Riegler (St. Pölten,Tormann)
13 – Marcel Ziegl (Ried, eigentlich ein Zehner, hier Außenverteidiger)
14 – Patrick Farkas (Mattersburg, an sich rechtes Mittelfeld, hier Rechtsverteidiger)
15 – Lukas Rath (Mattersburg, Linksverteidiger, hier Innenverteidiger)
16 – Georg Teigl (Salzburg, Mittelfeld-Allrounder)
17 – Marco Meilinger (Salzburg, Mittelfeld-Allrounder)
18 – Christian Klem (Sturm, linke Außenbahn)
19 – Daniel Schütz (Innsbruck, rechte Außenbahn)
20 – Robert Zulj (Ried, Stürmer)
21 – Philip Petermann (Parndorf, Tormann)
Das erste Match in der Gruppe E gegen Panama (im Stationsort Cartagena) ging heute Nacht torlos aus.
In der Nacht von Montag auf Dienstag, um drei, gibts das zweite Spiel gegen Brasilien in Barranquilla. Und in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, auch wieder um 3 ist Anpfiff gegen Ägypten - dann wieder in Cartagena.
Alle Spiele live in ORF eins.
Das wäre gegen Brasilien nachvollziehbar, wenn man Angst hat, durch Kurzpass-Orgien in der Mitte überrrollt zu werden - aber gegen Panama, im Auftaktspiel?
Erst die finale Strategie bewirkte ein wenig mehr: die frisch gebrachten Meilinger und Teigl probierten Dauerläufe an die Grundlinie. Allerdings war da wiederum Klem, der klassischste Außenspieler im Kader, im Offensiv-Zentrum falsch besetzt. Und Gucher musste sich weiter im Defensiv-Zentrum bedeckt halten. Auch von Tobias Kainz Fähigkeiten in der Spieleröffnung war nix zu bemerken.
Da hat die Herafsche Angst die Seele des Spiels dieser Mannschaft aufgegessen.
Positiva: die Abwehr passt; auch, weil sie kaum geprüft war
Gestimmt hat die Defensive.
Sam Radlinger ins Tor zu stellen: gute Wahl. Der Lange gab schnell Sicherheit. Die im Gegensatz zu ihrer Ausbildung völlig umfunktionierte Kette Farkas - Schimpelsberger - Rath - Dilaver erfüllte ihre Abwehr-Jobs großteils gut. Auch, weil die Vorstöße der jungen Panamesen nur partiell gefährlich wurden. Da aber Jimenez, Alvares und Davis die Flanken gut besetzt hatten, kam offensiv praktisch gar nichts. Farkas war erst in der vogelwilden Schlussphase offensiv vorhanden, Dilaver hatte nur ein paar Vorstöße - zu wenig für effektive Außenverteidiger moderner Prägung.
Dem Elchtest wird die Abwehr allerdings erst im nächsten Spiel unterzogen werden. Nicht, weil Panama schwach war - die sind mit einem bombensicheren fächerförmigen 4-5-1 losgefahren, als wären sie Japan bei der letzten WM, und haben vor allem durch ihr bereits erwähntes sehr effektives Flügelspiel einiges durchgewirbelt. Trotzdem wird da noch Härteres kommen.
Positiv auch die Vorstellung von Georg Teigl, der sich als belebendes Element einbrachte und deutlich weniger Angst ausstrahlte als Schütz, Zulj, aber auch Offenbacher oder Klem.
Teigl ist neben Weimann der Spielertypus, auf den sich das System Heraf bis dato verlassen konnte, wenn es um das Übertreffen von vagen Vorgaben oder falschen Einschätzungen ging: der Hauruck-Spieler, der alles noch umreißt, durch Verve, individuelle Klasse oder das Talent der strukturellen Umorganisation.
Das System Heraf verlässt sich auf seine Hauruck-Akteure
Bis dato hatten das die superspielintelligenten Leute erledigt, die eben nicht dabei sind oder dabei sein können. Vordringlich David Alaba, dann auch Raphael Holzhauser oder Christoph Knasmüllner; zuletzt auch Marco Djuricin.
Letztlich hat sich das System Heraf vom Können dieser Umreißer abhängig gemacht - kein gravierender Fehler, wenn man auf zumindest zwei oder drei davon (und dazu eben Weimann oder Teigl) zurückgreifen kann. Wenn allerdings die Mehrheit dieser Spieler fehlt, wenn ein anderer Dauerleistungsträger wie Christian Klem nicht fit ist und deswegen mehr mitschwimmt als sonstwas, dann bricht dieses System allerdings zusammen.
Und so war heute Nacht nur in Ansätzen das zu sehen, was dieses ÖFB-Team von seiner Veranlagung her kann: auch weil der Hauruck-Modus durch die starre Defensive im zentralen Mittelfeld nicht rechtzeitig freigesetzt wurde; weil zuviele der Offensiv-Akteure recht gehemmt agierten.
Ja, auch weil Weimann echt Pech hatte; und weil Teigl zu spät kam, was wiederum mit seiner Fitness und den üblichen Darm-Geschichten zu tun hat.
Aber: nein, mit reinem Pech hat das nichts zu tun. Eher mit strukturellen Baustellen.
Die wären allerdings, zumindest teilweise, unter Kontrolle zu kriegen: eine bessere Rolle für Gucher etwa; ein deutlicheres Flügelspiel; der Mut, von Anfang an auf Weimann im Zentrum zu setzen, auch, wenn er sich da als Chancentod erwiesen hat; mehr Mut im Außenverteidiger-Spiel; besser aufpassen bei der Ernährung von Teigl oder Klem.
Da geht noch mehr.
Immerhin muss Brasilien den nächsten Gegner dadurch ernstnehmen.
Auch wenn Brasilien und Ägypten bei ihrem 1:1 deutlich zielorientierter und strategisch sattelfester aussehen.